Rabenmutter 2.0

Tod den doofen Sprüchen

Jeder kennt sie, jeder hasst sie: Die doofen Sprüche und unaufgeforderten Ratschläge von Leuten, die meinen, es besser zu wissen. Mal aufgrund von (angeblicher) Erfahrung, mal auf Basis von Hörensagen, gerne aus purer Überheblichkeit und häufig – wie ich finde am grässlichsten – einfach nur um den eigenen, unnützen Senf dazu zu geben. Daraus entstehen höchst unschöne Situationen. Zum Beispiel, wenn ein Single in „netter“ Runde von Paaren mit aufmunternden und noch nie dagewesenen Schlaumeier-Sätzen wie „Du findest auch noch den Richtigen!“, „Ich vermisse ja meine Solo-Zeiten!“, „Dein Leben ist doch so viel aufregender als das von uns langweiligen, glücklichen Pärchen!“ oder gar „Vielleicht braucht dein Karma die Einsamkeit!“ (jaaaa, so herzlose Penner gibt es wirklich!!!) bedacht wird. Da mag man als Solist doch sofort im Kreis kotzen!

Glücklicherweise gibt es sowas wie ausgleichende Gerechtigkeit und diese selbstgefälligen Pärchen bekommen garantiert auch ihr Fett weg – spätestens, wenn sie den Schritt vor den Altar wagen. Dann nämlich treten die bereits Verheirateten auf den Plan und strotzen nur so vor 100fach durchgekauten und wieder hochgewürgten Zukunfts-Weisheiten: „Jetzt wird sich alles für euch ändern – und nicht gerade zum besten!“, „Eine Ehe ist kein Zuckerschlecken!“, „Jede dritte Ehe wird geschieden!“, „Der betrügt dich irgendwann. Machen sie doch alle!“ Na, herzlichen Dank auch! Da kann man die Vorfreude auf die Hochzeit doch gleich doppelt genießen! Wer braucht so einen verbalen Dünnpfiff? Richtig, niemand!!!

Ernsthaft ätzend wird es allerdings erst, wenn ein Kind unterwegs ist. Sobald man nämlich freudestrahlend verkündet hat, dass die große Liebe nun auch noch mit einem Baby gekrönt wird, kommIMG_3745en die Besserwisser, Hobby-Pädagogen und Miesmacher aus ihren Löchern gekrochen und versauen einem das Familien-Glück, bevor es überhaupt das Licht der Welt erblickt. Denn: NATÜRLICH belastet Nachwuchs die Beziehung und tötet so ziemlich alles, was einst die Liebe schön machte! DAS hieß es schließlich gerade gestern erst in diesem tollen Bericht bei Explosiv! Und die Geburt wird sicher der blanke Horror – war jedenfalls bei der Nichte von der Tochter von Tante Bertas Freundin so. Puhhhh, und die vielen Kilos … tja, wenns mit dem Stillen klappt (und das ist ja nun wirklich nicht so einfach), gehen die vielleicht wieder weg … sonst … Naja, Hauptsache, das Kind ist gesund. Ist es doch, oder? Dazu MÜSSEN natürlich noch die 3.000 mega wichtigen und zu 100 Prozent zuverlässigen (NICHT!) Tests gemacht werden! Ist ja ne Risiko-Schwangerschaft, wenn die Mutter schon so ur-alt (über 35) ist. Überhaupt: Voll mutig, bei den Gefahren überhaupt schwanger zu werden!
GRAUENVOLL!!!! Da hilft eigentlich nicht mal LÄCHELN UND WINKEN! Da geht nur noch schreien und zuschlagen!

Mir persönlich ist es ja dann noch am liebsten, wenn die Kommentatoren meiner aktuellen Problemchen selbst eigentlich so gar keine Ahnung haben. Also NICHT verheiratet sind und KEINE Kinder haben. Die wissen es wirklich am besten und haben die tollsten Tipps auf Lager, die garantiert funktionieren, weil … tja, weil es eben so ist – weiß doch wirklich jeder!

Und wieso wird der Null-Ahnung-Faktor eigentlich so oft und gern als Einleitung zur Beratungsstunde genutzt, obwohl der den selbsternannten Sozialpädagogen doch eigentlich gleich ins Aus katapultieren sollte? Gefällt mir ganz besonders bei meinem größten Leid-Thema: dem unterirdisch schlechten Schlafverhalten meiner Tochter.

Eine Mutti aus unserem Turn-Kurs beglückte mich vor einigen Wochen mit folgendem Spruch: „ Also mein Torben-Hendrik schläft ja 10 Stunden durch seit er 6 Wochen alt ist. Ich lege ihn abends einfach in SEIN Bett, lese EINE Geschichte vor und mache ALLES dunkel! Vielleicht solltest du das mal ausprobieren.“ Ich habe sehr tief durchgeatmet, von 10 rückwärts runtergezählt, meine Fingernägel in meine Handflächen gepresst und so lächelnd wie möglich geantwortet: „Ahhhh, na, das ist ja interessant!“ WAS DENKT DIE TRULLA SICH??? Das ich nach 18 Monaten Schlafentzug und nächtlicher Folter durch mein (tagsüber noch ein bisschen mehr als nachts) geliebtes Kind nicht schon LÄNGST alles versucht hätte? Ich solls dunkel machen? Ehrlich???? Hält die mich für den größten Volltrottel auf Erden? Himmel noch eins, am liebsten hätte ich sie direkt angebrüllt, dass sie einfach die Backen halten soll, wenn sie keine Ahnung hat! Ratschläge sollten nur Leute erteilen, die Lösungen aufgrund von PROBLEMEN gefunden haben und nicht, weil sie vom Glück so vollgeschissen wurden, dass sie die Sonne nicht mehr sehen! Manno, das wurmt mich wirklich! (Eventuell habe ich einfach zu viele GRANDIOSE Ratschläge zum Thema Schlafen von zu vielen „professionellen Baby-Schlaftherapeuten“ bekommen! :D)

Ich gönne natürlich jedem sein durchschlafendes Wunder-Baby (Gibt’s die echt???)! Aber mal ganz ernsthaft: Wenn du nicht weißt, wie es ist, jede Nacht minimum 5 mal geweckt zu werden – und das seit über anderthalb Jahren –, mit jedem nur erdenklichen „Trick“ bereits an deinem Baby gescheitert bist und es eine gute Nacht nennst, wenn dein Kind NUR 2 Flaschen erbrüllt hat und bloß von 2:10 – 4:15 wach war, DANN.GIB.KEINE.TIPPS!!!! Oder frag wenigstens vorher, was dein Ratschlag-Opfer denn schon alles probiert hat. Denn sonst machst du es doch wirklich nur noch schlimmer. Und das ist nicht nur bei völlig übermüdeten Müttern so, sondern auch bei allen anderen, die NICHT um das Erteilen von Weisheiten gebeten haben, sondern nur mal ihr Leid klagen oder sogar schlicht etwas erzählen wollen. Sollte doch erlaubt sein, oder?

Mega geil sind auch die vielen anderen Sprüche und Floskeln, die einem als Mutter regelmäßig begegnen. Immer passend und daher wirklich am häufigsten gehört (und natürlich auch von mir gern eingesetzt ;)) ist der Satz: Jedes Kind ist anders. Im Grunde stimmt das einfach. Kinder sind wirklich so unterschiedlich, dass man sich theoretisch schon aufgrund dieser Wahrheit jeden Tipp in die zerrauften Haare schmieren kann! Der Satz funktioniert aber auch wunderbar als Synonym für: „Ich denke, du machst alles falsch! Ich bin nur zu höflich, es dir ins Gesicht zu sagen.“

Gaaaanz beliebt bei Müttern mit zwei oder mehr Kindern ist die Floskel: Ein Kind ist kein Kind! Nichts provoziert, beleidigt und schmerzt Ein-Kind-Mamis mehr als diese 5 Worte. Denn er besagt: Was immer du leistest, erleidest und erträgst – es ist bloß ein Fliegenschiss und damit wertlos gegenüber dem, was ich leiste! (Mutti-Kriegskunst auf höchstem Niveau!) Dabei stimmt der Spruch ja nicht mal. Fakt ist doch: Das erste Kind ist es, dass die größten Veränderungen mit sich bringt! Und es ist das erste Kind, mit dem die frischgebackenen Eltern lernen, nicht länger nur ein Paar, sondern eben Eltern zu sein. Das erste Kind ist die größte Herausforderung, die das Leben bietet. Die folgenden Kinder sind hingegen der wahre Beweis von Mut! Wer ein Kind hat, das (als Paar) „überlebt“ und sich bewusst für eine Steigerung der eh schon immensen Anforderungen entscheidet, verdient Respekt! Das entschuldigt aber nicht, ekelhaft zu anderen Eltern zu sein. Müde sind wir alle – die einen mehr, die anderen weniger. Wieso verbindet uns das nicht?

Schlimmer, als so „vollgespamt“ werden, ist nur eines: Wenn man sich selbst dabei erwischt. Da stellen sich mir ernsthaft die Nackenhaare hoch! Letztens hörte ich mich zu einer Freundin sagen, die das Stillen früh an den Nagel gehängt hat, weil es einfach nicht richtig klappen wollte, dass ich es am Anfang auch sehr unangenehm gefunden hätte, aber halt drangeblieben wäre. „Ist ja schließlich von der Natur so gedacht“, blubberte es aus mir raus. PFUI! PFUI! PFUI! Schande über mich! Bei mir und meiner Tochter hats eben einfach funktioniert. Und das direkt. Ich habe also keinen blassen Schimmer, wie das ist, wenn man mehrmals täglich an diesen entwürdigenden Pumpmaschinen hängt, das Baby ständig weint, weil es nicht satt wird und die Frustration der Mutter ins unermessliche steigt. Ich kenne das nicht! Und damit habe ich auch kein Recht, darüber zu urteilen. Schon gar nicht mit so abgedroschenen Wortmüll! Ich wollte es nicht, aber ich habe ihr damit gesagt, dass sie meiner Meinung nach nicht hart genug darum gekämpft hat. Ganz eklig! Wirklich nicht absichtlich widerwärtig, aber eben trotzdem ganz, ganz widerwärtig. Und natürlich nur ein popeliges Beispiel von vielen … leider. So ziemlich jede junge Mutter, die ich treffe, deren Kind deutlich jünger ist als meines, die ich also mit „Erfahrung“ übertrumpfen kann … übertrumpfe ich. Es ist, als hätten sie ein Schild um, auf dem steht: „Hilf mir! Beantworte meine Fragen – vor allem die unausgesprochenen!“ Es ist schrecklich. Ich hasse es selbst so sehr, so von oben herab behandelt zu werden, dass ich mich fast übergeben muss, wenn ich mich selbst Sätze sagen höre, die mit „Also ich habe, als Ella so alt war, …“ oder „Was wirklich Wunder wirkt, ist …“! beginnen. Vorher mal abklopfen, was eigentlich schon probiert wurde und ob Ratschläge grundsätzlich willkommen sind, mache ich so gut wie nie. Warum eigentlich? Meine kleine Tochter frage ich ja auch, ob ich ihr beim Lätzchen ausziehen helfen soll, anstatt es ihr sofort selbst abzunehmen. Muss doch auch bei Erwachsenen gehen.

Also: Warum quälen wir uns gegenseitig mit dummen Sprüchen, fiesen Kommentaren und gehaltlosen, unerwünschten Ratschlägen? Interessiert es uns einfach mehr, uns selbst reden zu hören und unsere Storys loszuwerden, als jemandem wirklich zu helfen? Können wir nicht NUR ein offenes Ohr bieten, ohne direkt Loszuschwafeln? Was ist so schwer daran, einfach mal die Fresse zu halten? Wieso sagen Menschen nicht öfter Dinge wie: „Ach, dass tut mir leid zu hören. KANN ICH IRGENDETWAS FÜR DICH TUN?“ oder ganz ehrlich: „Ich selbst habe null Ahnung, wie das ist, was du gerade erlebst. Aber ich habe eine Freundin, der es ähnlich erging. Willst du wissen, was sie gemacht hat?“ Und dann die Antwort abwarten, bevor man die Ratschlag-Kiste öffnet…

Ich versuch das jetzt mal. Ich frage, bevor ich dumm daher quatsche. Und ich halte die Schnauze, wenn ich nix zu sagen habe. Kann doch nicht so schwer sein! Macht jemand mit?

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8 Kommentare für “Tod den doofen Sprüchen

  1. Das fällt mir wirklich schwer die Klappe zu halten, ich gebe gerne Ratschläge…. Als Mutter und als Pädagogin die Klappe zu halten ist doppelt so schwer finde ich 🙈aber du hast schon Recht, ich frage meinen Sohn ja auch ob er meine Hilfe benötigt, bevor ich seine Hausaufgaben mache oder ihm das Brötchen aufschneide. Warum also nicht bei Erwachsenen… Momentan sind viele in meinem Umkreis schwanger, da ich da ein recht großes Wissen habe, werd ich diesmal fragen bevor ich ungefragt die Kiste öffne. Vielleicht.. An guten Tagen… Mit Sonne.

  2. Ein Kind ist kein Kind – ja, wurde letztens zu mir gesagt und ja, es war ein Stich ins Herz. Kein schöner Spruch, der tut richtig weh… Den werde ich beim zweiten Kind hoffentlich nie sagen weil es, de facto, einfach überhaupt nicht stimmt! Penner! ;-)

  3. Ich glaube inzwischen, dass das ganze “Übertrumpfen” und Ratschläge erteilen die einzige Form ist, in der Mütter von ihren Erlebnissen erzählen können, um sie zu verarbeiten. Und betrachte jedes “Also bei meinem Kind war das so” als Anekdote, die nichts mit mir zu tun hat.

    1. Ja genau so. Man möchte als Mama auch einmal Wahrgenommen werden. Vielleicht sogar auf einem Niveau über dem des Kindes. Denn welcher Partner, sofern vorhanden, bringt sich denn in solche Themen mit ein? Das Teilen und somit auch das Verarbeiten fehlt. Dabei ist der Mensch ein grundsätzlich soziales Wesen. Und ein Stück weit sieht der Ratschlaggebende sich vielleicht auch in der Zeit zurück versetzt und möchte dem Gegenüber etwas leid ersparen. Und mal ehrlich, wer hat denn heute noch Zeit, auch noch bei Erwachsenen darauf zu achten, achtsam mit ihnen umzugehen? Die dafür nötige Energie fließt in die Minis – und die Großen können das schon reflektiert einordnen.

  4. Ach ja, selbst wenn man (noch) nicht Mutter ist, passiert es einem, sich ungefragte und definitiv nicht erbetene Ratschläge anhören zu müssen. Ich habe das schon immer -mein Leben lang- ätzend gefunden. Aber vielleicht haben sie auch ihre Daseinsberechtigung, die Immer-alles-besser-Wissenden. ;-)
    Also ich mach mit!! (beim Üben, nicht selbst so zu sein, wie man andere nicht erleben mag)