Rabenmutter 2.0

Die “Religion” des Tragens

Ich bin sicher nicht die Einzige, der folgendes bereits aufgefallen ist: Offenbar geht einigen Mamis zwischen der erfolgreicher Einnistung der Eizelle und den daraus resultierenden Strapazen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterdasein der Humor verloren. Was ja echt schade ist, denn vieles von dem, was wir Mütter (und natürlich auch Väter) tagtäglich mit unseren süßen, kleinen Mini-Me’s erleben, kann man doch eigentlich nur ertragen, wenn man laut und heftig darüber lacht. Also später, mein ich … viel später … lange nachdem man zum fünften mal in einer Nacht das Bett bezogen, die Scherben des ehemals zwei Meter hohen Spiegels zusammengefegt, das Handy aus dem Brei gefischt oder die Kotze eines fremden Kindes vom eigenen Spross gewischt hat, mit dem man eigentlich nur wegen einer Impfung im Wartezimmer des Kinderarztes gesessen hatte. Ich persönlich wäre wohl längst an dem ganzen Sch…. äh, Scheibenkleister erstickt und ein bisschen Gaga geworden, wenn ich nicht regelmäßig in (eventuell leicht hysterisches) Gelächter ausbrechen würde. Daher ist es für mich wirklich extrem erstaunlich und ebenso befremdlich, wenn ich auf diese ganz spezielle Sorte Mutter treffe – nämlich die, die NICHT lacht, sondern ALLES so schrecklich ernst nimmt, dass selbst mir im (aufgezwungenen) Gespräch, dass Lächeln im Gesicht gefriert.

Das Gute an dieser Sorte Mütter: Man erkennt sie schon aus der Entfernung! Auf dem Spielplatz zum Beispiel sitzen sie gern mit ihren Kleinen im Sand, bauen HOCHKONZENTRIERT und mit BIER-ERNSTEM Gesichtsausdruck an umfangreichen Sandburgen-Anlagen und schimpfen – pädagogisch wertvoll zwar, aber dennoch offensichtlich wirklich erzürnt – mit ihrem Nachwuchs, wenn das Bauwerk auch nur angefasst wird (äh, warum nochmal baut man Sandburgen? Ach ja, für Kinder! ;) ). Potenzielle „fremde“ Mitspieler werden sogar schon bei den ersten, zaghaften Annäherungsversuchen mit bösen Blicken heftig abgestraft … aber nur so lange, bis die Erziehungsberechtigte des sich nähernden GOZILLAS ausgemacht ist. Dann wird DIE mit Blicken GETÖTET!

Unnötig zu erwähnen, dass die clevere Mami da besser sofort auf Abstand geht und vor allem tunlichst vermeidet, irgendein Gespräch in der Nähe einer solchen ÜBER-Mutter zu führen. Denn was diese Damen noch mehr lieben, als perfekte Sandburgen, sind Unterhaltungen, die sie mit ihrem Allwissen torpedieren können – sie praktizieren sozusagen „Konversationsbombing“ (das Pendant zum Photobombing :D ).
Obwohl ich mir also über die stetige Gefahr des „Konversationsbombing“ durch Über-Mütter durchaus bewusst bin, wurde ich vor einigen Tagen mal wieder Opfer einer solchen Attacke. Ich hab aber auch echt nicht aufgepasst! UND ich habe ein Thema auf den Spielplatz „getragen“, dass in der Mami-Szene einer Religion gleicht: Ich brachte ein Tragetuch mit, um es einer Freundin zu leihen und ihr vorher zu zeigen, wie man es bindet. (Also echt: Mein Fehler!!!)
Grundsätzlich muss man wissen: Das Thema „Tragen“ wird – zumindest solange die Kids noch offiziell in die Kategorie Baby gehören – ebenso so heiß und vor allem ausschließlich höchst ERNSTAFT diskutiert wie die „richtige“ Art zu gebären und Beikost-Einführung. Da wird nicht gelacht oder gescherzt! Es geht schließlich nicht um SPASS – es geht ums TRAGEN! Das ist EXISTENZIELL wichtig für die kindliche Entwicklung! Vorausgesetzt, es wird richtig gemacht. Sonst ist ALLES VERLOREN und Mutti kommt in die Trage-Hölle!

Das Problem ist nur, das es gar nicht so einfach ist, es richtig zu machen. Ganz besonders, weil die Definition von RICHTIG so sehr variiert, je nachdem, wen man fragt. Ich persönlich fand (und finde) ja immer, dass das Wohlbefinden von Mutter und Kind ausschlaggebend sein sollte (klingt eigentlich doch auch logisch, oder? Steht aber trotzdem nicht zwingend im Fokus). Daher habe ich mich damals – nach mehreren gescheiterten Versuchen mit einem festen Tragetuch – für ein elastisches entschieden. Und ich habe es geliebt! Nach nur wenigen Versuchen hatte ich den Bogen raus und konnte das Tuch so binden, dass alles perfekt, straff, aber dennoch gemütlich saß. Ich habe mich pudelwohl gefühlt … und die kleine Madam auch! Ich konnte mich prima bewegen, hatte die Hände frei und das Mäuschen schlief. Baby im Tuch tragen war also absolut mein Ding und ICH war glücklich damit. DARAN erinnere ich mich, wenn ich an die ersten Monate mit Klein-Ella denke. Vergessen habe ich allerdings, dass ich mit meinem elastischen Tragetuch nicht „Regel-Konform“ war und des Öfteren von spass-bremsenden, niemals lachenden und ewig ernsthaft diskutierenden Über-Muttis deswegen angefeindet wurde (das die aber auch immer Zeit & Lust dazu haben, sich ständig wegen jedem Driss zu streiten?!).

Glücklicherweise wurde ich aber ja wieder daran erinnert, als ich auf dem Spielplatz besagte Freundin in mein fliederfarbenes, gefühlt 10 Meter langes Wickel-Läppchen packte. SIE war direkt begeistert, weil sie gerne eine Alternative zum fixen Tragesystem wollte, mit den festen Tüchern aber ebenso versagte wie ich früher. Happy End, könnte man also meinen. ABER NICHT DOCH! Denn PLÖPP stand sie da, die uns eigentlich fremde Über-Mutti und ranzte meine Freundin von der Seite an: „Besorg dir lieber ein Festes!“ Und während wir noch – ob dieses Konversatzionsbombing-Anschlages vom Feinsten – erstaunt und wie totale Trottel doof aus der Wäsche guckten, rümpfte Miss Mega-Nerv heftigst die Nase und schob schön abfällig in wunderbar überheblicher Tonlage hinterher: „Diese elastischen Tücher sind nix! Ich kenne mich da aus! Du kannst sie nur bis maximal 5 Kilo nutzen (Ähhhh, NEIN!) und sie halten auch nicht richtig (Ähhhh, DOCH!). Nach höchstens einer Stunde lockern die sich (Ähhhh, NEIN!). Ne, echt jetzt, die sind nix! Du MUSST ein festes nehmen!“

Und ZACK war sie wieder da, meine Erinnerung an die ganzen Giftspritzen, die mich am Anfang meines Mami-Daseins immer wieder so verunsichert hatten, weil sie mir einreden wollten, ich würde alles falsch machen. Angesichts dieses Flash-Backs rotteten sich mein Instinkt und mein nachhaltig verletzter Mutti-Stolz augenblicklich zusammen und empfahlen mir dringlichst, auf selbem Niveau zu kontern: mit kratzen, an den Haaren ziehen und gegen das Schienbein treten. Aaaaaaber ich bin ja irre erwachsen und mir meiner Vorbildfunktion bewusst! Deshalb habe ich höflich gelächelt und der Dame locker flockig (in kurzen, einfachen Sätzen ;) ) erklärt, dass sie wohl einfach keine Ahnung hat von elastischen Tüchern (DAS konnte ich mir nicht verkneifen!) und das es grundsätzlich doch wohl einzig und allein darum ginge, ein für Mutter und Kind passendes Transport-System zu finden – so ganz individuell. Und ob das nun ein elastisches oder ein festes Tuch, ein Tragesystem oder ein Kinderwagen wäre, solle doch bitte den beiden überlassen werden. Ende!

Und so ist es doch, oder? Soll doch jede/r machen wir sie/er lustig ist! Ich fand Tragetuch super (also meins), hab aber auch parallel immer irgendein fixes Trage-System genutzt, weil ich das einfach und schneller einzusetzen fand, wenn ich Madam mal wieder wegen einer ihrer berüchtigten Schreiattacken spontan aus dem Kinderwagen (den ich auch geliebt habe) nehmen musste. Ich habe also Trage-/bzw. Transport-Religions-Hopping betrieben und wurde dafür ständig mit abwertenden Blicken von anderen Mamis bedacht.
Für Unwissende: Die Festes-Tuch-Muttis schauen auf die Elastisches-Tuch-Muttis herab, die wiederrum auf System-Trägerinnen und alle auf die ausschließlichen Kinderwagen-Schieberinnen.
Rückblickend – mit aufgefrischten Erinnerungen – muss ich sagen: HERRJE! Muss das denn sein? Kann man nicht einfach sagen…

  • Du hast Interesse daran, dein Baby zu tragen: Dann mach das! Wenn du unsicher bist, ob du allein die richtige Version für dich findest, dann lass dich von einem Profi beraten (es gibt ganz tolle Trageberaterinnen – man erkennt sie daran, dass sie niemandem IHRE Meinung aufzwingen wollen, sondern tatsächlich dabei helfen, den individuell richtigen Weg zu finden). Oder probiere dich einfach durch das ganze Angebot, schau Youtube-Videos (hab ich gemacht :D ) und frag Freundinnen. Aber vor allem: Hör auf dein Bauchgefühl und dein Baby. Damit liegst du nie falsch.
  • Du möchtest oder kannst – aus welchen Gründen auch immer – NICHT tragen: Das ist völlig in Ordnung! Dein Kind wird trotzdem glücklich und gesund groß werden! Lass dir nichts anderes einreden! Und rechtfertige dich vor allem nicht, wenn eine Über-Mutti dich erwischt und dir einreden will, du versagst deinem Kind etwas existenziell Wichtiges. Einfach lächeln und winken … und weggehen ;) .

Vielleicht schaffe ich es irgendwann auch, mich überhaupt nicht mehr auf diese nervigen, absolut überflüssigen Diskussionen einzulassen. Damit füttert man diese Konversationbombing-Mamis nur noch an und gibt ihnen, worauf sie scharf sind. Denn DIE wollen nicht helfen oder beraten, die wollen nur RECHT haben. Ich kann da gar nicht mit! Echt nicht! Wenn überhaupt … hab schließlich ICH Recht :D .

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12 Kommentare für “Die “Religion” des Tragens

  1. Lustig, bei mir war es genau umgedreht. Ich werde heute noch, 17 Monate nach der Geburt, um Rechtfertigung gebeten, weil sich unserer Tochter gegen den Kinderwagen entschieden hat, ausschließlich getragen und gestillt wurde (bis dann Nr2 im Bauch den Hahn abgedreht hat) und mich eher in der Schublade “Bedürfnisorientiert” und “entspannten” Erziehungsstil einquartiert habe, obwohl wir auch feste Regeln und Grenzen haben. Da unsere Tochter aber nicht jedem die Hand geben oder Hallo sagen muss und bei Bedarf, auch im bereits 9. Monat, von mit hochgekommen wird, bin ich natürlich eine Übermutter perse. Und wenn sie die Mütze nicht aufsetzen möchte, erkläre ich ihr kurz, warum es notwendig ist und dann kann sie entscheiden. Und hoppla, die kleine ist gar nicht dumm. Bei anderen artet alles in Zwang und Druck aus und ich mache mich manchmal dann eben zum Vollhorst und vermittelt es mit etwas mehr Humor. Ganz ehrlich, ist mir scheißegal was andere Mütter über mich denken. Ich habe ein glückliches Kind und wenn man andere Kinder dann manchmal so sieht…kann ja bei mir nicht alles so falsch sein oder?! :)

  2. Ich hätte meine kleine Maus auch gerne getragen, sie fand das aber in jeder Art total doof.
    Hab dann die ersten zwei Monate den Kinderwagen benutzt.
    Danach war der auch out. Musste dann den maxi cosi auf das Gestell packen. Die Kleine wollte alles sehen. Wenn es ein Geschwisterchen gibt dann versuche ich es noch mal.

  3. Klasse geschrieben. Konversationsbombing!!!! ? Ich hatte auch zwei so dogmatische Mit-Mamis, die mir das Gefühl gäbe, alles gaaanz falsch zu machen. Tragen, Beikost, Autositz, Babymonitor, schadstoffverseuchte Produkte … Aus allem wurde eine Religion gemacht. manchmal hat es mich tatsächlich unter Druck gesetzt, aber meistens hat ein Blick auf mein entspanntes, zufriedenes Baby auch mich entspannen lassen.

  4. Ich bin dann wohl eine Rabenmutter die dazu lernt ?

    Der Große wurde das erste halbe Jahr gar nicht getragen weil er sich in der Manduca nicht wohl fühlte und nur schrie. Ich wusste es halt nicht besser und dachte: Hauptsache Tragen”. Als er dann groß genug dafür war wollte er gar nicht mehr raus aus der geliebten Trage. Und mit gerade mal einem Jahr musste er schon drauf verzichten weil ich mich nicht traute ihn schwanger zu tragen.
    Bei der kleinen Maus nahm ich noch während der Schwangerschaft Kontakt zu einer Trageberaterin auf und trug die kleine Maus dann von Beginn an mit Sling (festes Tragetuch für Bindemuffel) oder ner MaiTai-Trage und wir lieben sie die Tragen, egal welche.
    Ob ich mich bei einem dritten Kind (welches es nicht geben wird) vielleicht doch für ein konventionelles Tuch, das man binden muss, entscheiden würde kann ich nicht sagen, aber diese gefühlt kilometer langen Stoffbahnen sind mir noch immer suspekt.

  5. Ja, kenn ich auch diese BesserswisserInnen (Ihr Kind schwitzt unter der Regenplane! Die Kinder schwitzen ALLE unter Regenplanen!!! – Soll ich es nassregnen lassen???) Konnte wegen Wirbelsäule nie Tragen und bin mit KiWa und Buggy glücklich und Kind auch.

  6. Hallo Du,
    ich bin gerade auf deinen tollen Blog gestossen und bin total begeistert. Deshalb bin ich auch gleich mal Leserin bei dir geworden. Liebe Grüße, Petra von Papier und Tintenwelten für Klein und Gross

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  7. Oh, ist das erfrischend zu lesen!
    Ich als Untermensch – äh nach deiner Klassifizierung Mami unterster Kategorie (deine Klassifizierung finde ich großartig und habe es auch immer so wahrgenommen…) – musste klein Frieda aus gesundheitlichen Gründen ausschließlich im Kinderwagen transportieren (den sie übrigens immer sehr geliebt hat und immer noch liebt – Tragetuch habe ich nur gaaaanz am Anfang machen können, als sie noch “leicht” war und meistens hat sie geschrieben- in beiden Varianten übrigens und im Manducca ebenfalls… ). Und was musste ich mir alles anhören oder an Blicken gefallen lassen… Leider wird ein ähnlicher Druck ja beim Thema “Stillen”, “Pucken”, “Gläschen” erzeugt. Da ich scheinbar in allen Kategorien versagt habe, verdiene ich eigentlich rechtmäßig den Titel der Rabenmutter, liebe Anke! – Und habe schon mal ein Sparkonto extra für Friedas therapeutischen Behandlungen angelegt, die ja laut Aussagen der Super-Mamis auf mich zukommen werden… Bislang habe ich es zum Glück nur mit einem sehr aufgeweckten und lebhaften Kind zu tun, soooo falsch kann das also alles dann doch nicht gewesen sein…

    1. Jaaaa, ganz offensichtlich bist du auch eine Rabenmutter ? Vielleicht sollten wir diesen Titel einfach als Kompliment betrachten – ich persönlich finde nämlich, ein aufgewecktes, glückliches Kind ist das beste Zeichen für “Alles-richtig-gemacht”! ?