Rabenmutter 2.0

In der Sandhölle

Vor allem bei (Noch-)Nicht- oder Ganz-Frisch-Eltern ist das Bild eines Nachmittages auf dem Spielplatz geprägt von den eigenen, bereits leicht eingestaubten und deshalb oftmals rosaroten Kindheitserinnerungen. Daraus resultierend verbinden sie Sandkasten, Rutsche und Schaukel mit Spaß und Abenteuer für die Kleinen und Entspannung pur für die Großen. Denn die Erwachsenen sitzen auf Spielplätzen schließlich nur gemütlich auf einem Bänkchen, schmökern vielleicht in einem Buch oder unterhalten sich mit Gleichgesinnten während sie kleine Leckereien aus Tupperdosen naschen. So schön
Fakt ist: Spielplätze sind die sandgewordene Hölle auf Erden, in denen Eltern JAHRELANG gefangen gehalten und auf vielfältige Weise gefoltert werden. Physisch wie psychisch. Tagein, tagaus, Sommer wie Winter, bei Regen und Sonnenschein. Ohne Unterlass. Es gibt kein Entrinnen. Und (mal so ganz nebenbei erwähnt) meistens auch keine Klo’s, was ein echtes Problem, aber dennoch natürlich nur die Spitze des Sandberges ist.

Ich sage das, obwohl ich eigentlich noch Glück habe. Denn meine 18 Monate alte Tochter gehört bisher eher zur faulen – oder positiv ausgedrückt – zur gemütlichen Sorte Kind. Während ihre kleinen Freunde gleich nach dem Ausstieg aSpielplatz2us dem Kinderwagen wie vom wilden Affen gebissen herumrennen (und ihre Mütter damit nötigen, ihnen in ebenso forschem Tempo zu folgen), Klettergerüste für deutlich ältere Kinder erklimmen wollen (und ihre Mütter damit zwingen, sie unter ständigem, oftmals wenig pädagogisch wertvollem Geschimpfe von irgendwelchen Leitern zu pflücken) oder sich direkt von einer viel zu hohen Rutsche seitwärts über das Geländer in den sicheren Tod stürzen wollen (und ihren Mütter damit einen Herzstillstand nach dem anderen bescheren), sitzt meine Kleine erst einmal eine dreiviertel Stunde auf ihrem bewindelten Hintern im Sand und spielt in Seelenruhe mit Schaufel und Förmchen. Sie hat den sportlichen Ehrgeiz ihrer Mutter geerbt – was sie auch wöchentlich im Baby-Turn-Kurs beweist, wenn sie die Gerüste im Mini-Kletterparcour entweder gleich völlig ignoriert oder maximal als Sitzgelegenheit nutzt, um sich intensiv mit dem Ablutschen eines Balles zu befassen. Ich bin natürlich Stolz wie Bolle ;)

Doch auch ein ruhiges, entspanntes Kind bedeutet nicht, dass man als Mama eine Freistunde gewonnen hat, die man gemütlich auf einem Bänkchen sitzend genießen kann. Denn das Elend beginnt schon damit, dass es einfach so gut wie keine Bänkchen gibt. Und wenn doch, sind diese natürlich entweder besetzt oder mit Vogelscheiße beschmiert. Bei einigen Spielplätzen kann sich Mutti zwar vorsichtig auf dem Rand des Sandkastens niederlassen. Aber das ist, wie gesagt, nicht immer gegeben und zudem echt nicht schön oder gar bequem. Trotzdem natürlich irgendwann besser als ewig rumzustehen. Allerdings auch nur, bis das eigene Kind (oder auch ein fremdes) den Sandeimer über Hose, Schuhe und ggf. auch unglücklicherweise gerade geöffnete Hand- oder Wickeltasche ausleert. Dann ist Stehen schnell wieder die bessere Alternative.

Grundsätzlich ist Sitzen aber eh erst eine Option, wenn das Kind bereits etwas älter ist und gewisse Dinge schon gelernt hat. Z.B. das nicht alles, was sich so im Sandkasten findet, in den Mund gehört. Denn solange Zwergnase alles ableckt, müssen Mama und/oder Papa immer ganz nah am Geschehen und zu blitzschnellen Reaktionen fähig sein. Das schließt Gespräche mit anderen Erwachsenen kategorisch aus, denn nur eine Sekunde der Unachtsamkeit – zu der es garantiert kommt, weil man schon aus Höflichkeit zwischendurch den Blickkontakt zum Gesprächspartner sucht – kann dazu führen, dass der kleine Sonnenschein einen Hundehaufen, Scherben, Kronkorken, Essensreste von anderen Kindern, giftige Beeren, benutzte Kondome oder (je nach Stadt- bzw. Stadtteil) Spritzen und Nadeln Richtung Mund befördert. Klar, als Eltern muss man lockerer werden, übertriebene Ekelgefühle schnell überwinden und dem Kind durchaus mal erlauben, ein Löffelchen Sand zu probieren, einen Stein abzuschlecken und ein bisschen Holz zu zerkauen. Aber alles hat eben seine Grenzen. Und die sind erreicht, wenn’s um die oben aufgeführten Fundstücke geht.

Irgendwann jedenfalls hat sogar meine kleine Mausemaus genug vom Wühlen im Sand, steht auf und schaut sich nach neuen Wirkungsstätten um. Meistens fällt ihre Wahl dann auf die Rutsche, denn alles andere ist ihr (noch) zu anstrengend, gefährlich oder körperlich zu fordernd (GOTTSEIDANK!).
Madam erklimmt die Rutsche bisher ausschließlich mit Hilfe von Mamas tatkräftiger Unterstützung – sie ist ja auch noch klein – was bedeutet, dass ich ca. 20-40 Mal 11,5 Kilo in die Höhe stemmen darf. Und jedes Mal, wenn sie dort oben auf dem blöden Rutsch-Türmchen steht, rutscht mein Herz schon mal los in Richtung Hose, denn die Dinger haben mehr Öffnungen, die einen Sturz ermöglichen, als Mütter Hände haben. Während sie also dort oben steht, lacht und in ihre kleinen Patschhändchen klatscht, versuche ich sie auf Zehenspitzen im Sand stehend wenigstens noch mit den Fingerspitzen festzuhalten und dabei verbal davon zu überzeugen, sich endlich tatsächlich zur Rutsche zu BEWEGEN, sich HINZUSETZTEN und die Schüppe beim rutschen VERDAMMT NOCHMAL AUS DEM MUND ZU NEHMEN. Alles zusammen klappt natürlich nur selten. Meistens stößt sie sich erst einmal an irgendeinem Balken den Kopf und bricht augenblicklich in markerschütterndes Geschrei und Tränen aus. Dann muss sie „gerettet“ und getröstet werden, bevor es wieder losgehen kann. Oder sie täuscht den Absturz durch eines der Scheiß Löcher im Turm vor, was dazu führt, dass ich unter dem Turm im Zickzack zu den Öffnungen springe, um mein ggf. abstürzendes Kind zu fangen. Rutscht sie dann doch irgendwann endlich, büßt sie leider häufig auf halber Strecke einen Großteil ihrer Körperspannung ein. Folgend knallt ihr Köpfchen auf die Rutsche oder den Handlauf, was wiederrum zu Gebrüll und Tränen führt. Nicht zuletzt, weil eine Schüppe im Mund bei derlei „Unfällen“ zusätzliches Schmerzpotenzial birgt. Übrigens: Ein Tränennasses Gesichtchen bietet Sand/Dreck ideale Haftungsbedingungen.

Während ich also an, unter und neben der Rutsche um das Überleben meiner Erstgeborenen kämpfe, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich das nächste Problem manifestiert: Das liebevoll ausgesuchte und im Bio-Spielwarenladen teuer bezahlte Sandspielzeug bekommt Beine. Im Grunde ist natürlich überhaupt nichts dabei, wenn auch andere Kinder mit den Plastik-Eiswaffeln und -löffeln meiner Tochter spielen. Sie macht das schließlich auch. Blöd wird es nur, wenn der Spielplatz groß und die anderen Kinder schnelle „Verschlepper“ sind. Denn man hat halt nur ein paar Augen, das zumeist auf das sich gerade auf der Rutsche den Hals brechende Töchterchen gerichtet ist. Da ist es schwer, gleichzeitig 5-20 Sandsachen im Blick zu behalten, die in alle vier Himmelsrichtungen verteilt werden. Und selbst wenn man sich vorher dazu herabgelassen hat, alle Schäufelchen und Eimerchen fein säuberlich mit Edding als Eigentum von Ella auszuzeichnen, muss man den ganzen Kram trotzdem suchen, sich nach jedem ähnlich aussehenden Mini-Trichter bücken, ihn drehen und wenden, um die Beschriftung zu finden und dabei unermüdlich entschuldigend lächeln, um nicht von Kindern – oder schlimmer noch – anderen Müttern des Diebstahls bezichtigt zu werden. Eine wahre Wonne, die jeden Tag auf dem Spielplatz krönt, denn trotz aller Bemühungen, bleiben immer mindestens zwei der gesuchten Dinge auf ewig verloren. Wenn’s besonders schlecht läuft, ist das aktuelle Lieblingsspielzeug des Wonneproppens dabei, was einen Heimweg unter Wutgebrüll und Verlusttränen garantiert.
Um mein persönliches Leid in dieser Sache zu minimieren, händige ich bei Ankunft am Sandkasten nur noch zwei Spielzeuge aus und behalte alle anderen als Reserve zurück. Braucht mein Kind neben diesen beiden noch weitere, wird sie welche finden – unter den Sachen von anderen Kindern. Und da sie eine sitzende, keine wegrennende Spielerin ist, fühle ich mich fast gar nicht mies bei dieser Lösung, denn sie bleibt genau dort, wo sie etwas findet, dass ihre Aufmerksamkeit fesselt.

Die einzige Schwierigkeit daran ist, dass ich unweigerlich in direkten Kontakt mit anderen Müttern treten muss. Das klingt jetzt erst einmal nicht schlimm, ist es aber. Denn was kinderlose Menschen nicht wissen: Unter Müttern bzw. Eltern herrscht Krieg. Und zwar ein fieser. Kinder werden ab dem Moment ihrer Geburt verglichen, aneinander gemessen, bewertet und abgestempelt. Ebenso die Mütter. Hier ein paar Beispiele:

Ist das Kind etwas klein für das Alter? Oder zu groß? Die Mutter hat die Ernährung auf jeden Fall nicht im Griff! Bekommt es Gläschen-Brei? Widerlich! Wieso kocht die Mutter nicht selbst??? Wird das Kind womöglich noch gestillt, obwohl es doch SCHON 6 MONATE ALT ist? Um Gottes willen! Das ist unverantwortlich! Steckt das Baby im Tragetuch? Igitt, so ne Bio-Tante! Kinderwagen? Diese Mutter liebt ihr Kind wohl nicht genug, um es zu tragen! Ist die Mutter sehr schlank? Die ist ja total eitel und geht zum Sport, anstatt sich um ihr Kind zu kümmern! Ist die Mutter moppelig? Faules Stück! Bekommt die Schwangerschaftskilos wohl nicht runter!
Und wehe, dass Thema Schlafen wird angeschnitten! Dann ist verbaler Mord-und-Todschlag vorprogrammiert!

In diesen Krieg involviert wird man spätestens mit der Teilnahme am Schwangerschafts-Rückbildungs- oder dem ersten Babykurs. Hier vermitteln einem die anderen Mamis schnell: Man selbst macht alles falsch, sollte sich wirklich schämen und wird es nie lernen! Und das Schlimmste daran ist, dass man sich den Quatsch zu Herzen nimmt (ganz besonders am Anfang). Und das sogar als gestandene Frau von Mitte 30 (*Husthust*), die es besser wissen sollte.
Natürlich ist es eigentlich peinlich, dass es mir auch heute noch etwas unangenehm auffällt, wenn ich auf dem Spielplatz mit gerümpfter Nase von anderen Mamis gemustert werde oder ich mich an diesem leisen Tuscheln störe, wenn mein Kind mal wieder eine Kelle Sand isst, die Rutsche ableckt oder einfach so wie am Spieß brüllt, nur um Sekunden später laut aufzulachen und davon zu rennen, als wäre nichts gewesen. Ich sollte drauf sch*****! Oder mit Dreck werfen. Das wäre wenigstens eine Reaktion auf angemessenem Niveau. Gute Idee. Versuch ich mal …

Irgendwann während des Nachmittages auf dem Spielplatz kommt auch noch unweigerlich der Moment, da mein Kind von sehr plötzlichem, dafür aber direkt beißendem Hunger gequält wird. Und zwar exakt dann, wenn eine Tupperdose geöffnet wird. Wo ist egal. Von wem ist ebenfalls egal. Der Klang einer sich öffnenden Tupperdose funktioniert bei Kindern nämlich ähnlich wie eine Hundepfeife bei bellenden Vierbeinern. Meine Tochter bildet da leider keine Ausnahme. Hört sie das vertraute „Plöp“, lässt sie alles stehen und liegen und stapft in Richtung Gratis-Snack. In seltenen Fällen – wenn die Mutter mir bekannt oder nett oder beides ist – finde ich das ok und folge einfach mit unseren eigenen Tupperdosen, um für freundschaftlichen Ausgleich zu sorgen. Meistens jedoch bin ich wenig begeistert, da nicht jede Tupperdose mit für meinen Geschmack brauchbarem Inhalt glänzt (es gibt Mamis, die schon den Kleinsten gerne mal Chips, Erdnussflips oder kalte Pommes reichen). Ebenfalls etwas unschön wird es, wenn meinem Töchterchen das geschenkte Leckerchen nicht mundet und sie es mir angewidert in die Hand spukt. Oder, noch besser, wenn der rechtmäßige Snack-Besitzer so gar nicht teilen mag und das mit einem beherzten Schupser oder Schlag mit einer Schaufel kundtut. Denn auch beim Thema aggressivem Verhalten der Stöpsel sind sich die Mamis nicht immer einig. Während ich der Meinung bin, dass Gewalt grundsätzlich keine angemessene Lösung ist, daher mit meiner Tochter schimpfe, wenn sie jemandem wehtut und erwarte, dass sie sich entschuldigt, sehen andere Frauen einfach gar keinen Handlungsbedarf. Und DAS finde ich dann ganz besonders schwierig zu handhaben. Mit fremden Kindern schimpfen wird nämlich gar nicht gern gesehen. Überhaupt nicht reagieren vermittelt jedoch das Gefühl, dass schlagen total in Ordnung ist – dem Rabauken genauso wie meinem eigenen Zwerg. Ist also auch nicht brauchbar. Die andere Mutter drauf ansprechen wäre noch eine Möglichkeit. Löst aber meiner Erfahrung nach häufig nur unflätiges Gepöbel nach RTL2-Manier aus. Vielleicht wäre auch hier mit Dreck werfen die angemessene Reaktion. ;)

Das Beste am Nachmittag auf dem Spielplatz ist eigentlich die zeitliche Begrenzung. Alles Elend hat irgendwann ein Ende. Zumindest denke ich das immer, wenn ich mein total eingesautes Kind und die übrig gebliebenen Spielsachen endlich wieder einpacken darf. Doch so ganz stimmt das nicht. Denn Sand ist wahrlich ein Produkt des Teufels. Er kriecht in jede Ritze und wartet dort, bis Kind und Kegel zuhause ausgeladen werden. Erst dann bahnt er sich seinen Weg wieder hinaus ans Licht und breitet sich wie von Geisterhand geführt in seiner neuen Heimat aus. Hat man ein Kind im Spielplatz-Alter, hat man auch Sand. Überall. Natürlich am Kind – und das bis in die Windel. Und am eigenen Körper, in den Haaren, in jeder Jeansfalte und allen Schuhen. Aber auch auf der Couch, in der Badewanne, in Teppichen und im Bett. Eben überall. Es lässt sich gar nicht verhindern. Man muss einfach lernen, damit zu leben. Ich hasse es!

Fazit: Manchmal habe ich einfach keine Lust auf Spielplatz und kneife – trotz strahlendem Sonnenschein und idealen Temperaturen. Stattdessen gehe ich dann in mein Lieblingsfamiliencafé (oftmals menschenleer, weil ja alle anderen Mamis brav mit ihren Zwergen in der Sandhölle ihr staubiges Dasein fristen), gönne mir ein dickes Stück Kuchen und sehe dabei zu, wie sich meine Tochter hochmotiviert daran macht, jeden einzelnen Ball im Bällebad einmal anzulecken, bevor sie ihn unter irrem Kichern und mit ordentlich Schmackes über den Rand hinaus in den offenen Raum befördert.

Habe ich dann ein schlechtes Gewissen, weil ich mein Kind um einen Tag auf dem Spielplatz im Kreise ihrer kleinen Freunde gebracht habe? Ja. Kann ich damit leben? Ohhhhh, ja, absolut und mit wachsender Begeisterung!!! ;)

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