Die Frau des Radfahrers

Die Frau des Radfahrers: Die Fette auf dem Berg

Was passiert eigentlich, wenn eine sehr unsportliche Frau einen Mann heiratet, der sich – urplötzlich und für die Frau völlig überraschend – in einen (semi-)professionellen Rennradfahrer verwandelt? Zum Beispiel folgendes: Die sehr unsportliche Frau landet auf einem Berg in Südfrankreich – bei 40 Grad, hochschwanger, in kratzigen Stützstrümpfen, mächtig unglücklich und zu allem Übel auch noch ständig hungrig, wobei sie natürlich bei weitem nicht alles essen darf, was sie gern essen würde. Klingt nicht nach der klassischen Lovestory, oder? Ist es auch nicht! Es ist einfach nur Mist! Großer Mist sogar! Woher ich das weiß? Na, weil ich die Frau bin, die dort oben saß – fett und unbeweglich, die meiste Zeit allein und nur gelegentlich „abgespeist“ mit Vollkornnudeln in Gemüsesoße *würg*, zu denen endlos anmutende Gespräche über Radsport gereicht wurden! DAS GRAUEN IN TÜTEN!

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Wie aber kam es zu diesem Elend, das mich bis zum Ende meiner Tage verfolgen und garantiert verhindert wird, dass ich auch nur noch ein einziges Mal den Fuß über die französische Grenze setzen werde? (Notiz an meinen Ehemann: Glaub mir ruhig! Das ist WIRKLICH mein Ernst! Lebe damit, wie ich mit deinen Radlerhosen ;))

Es ist nunmal so: Liebe vermag Großes zu bewirken, schier endloses Glück zu schenken und wird auf ewig der Grundstoff bleiben, auf dem Hollywood-Filme und Teenie-Träume basieren. Aaaaaaber sie kann auch anders. Liebe kann uns blind, naiv und so dümmlich wie Frauen-Tausch- und Dschungel-Camp-Gucker machen. Und da kann ich mich leider nicht von ausschließen. Wie hätte ich auch ahnen sollen, was einmal aus dem wunderbar versoffenen, faulen, in seiner Freizeit kaum von der Couch oder aus dem Bett zu bekommenden Kettenraucher werden würde, in den ich mich verliebte? (Ach ja, wir hatten wirklich sehr viele sympathische Gemeinsamkeiten!) Wie hätte ich wissen können, dass ein kleiner Satz seinerseits – ausgesprochen kurz nachdem ich mein altes Leben schlüsselfertig abgegeben hatte und wir zusammengezogen waren – alles ändern würde: „Früher habe ich ja sehr gern die Tour de France im Fernsehen verfolgt.“ Gar nicht. Genau.

Förmlich aus dem Nichts heraus änderte sich alles. Anstelle von StarTrek (da schäm ich mich jetzt kein Stück für) flimmerte von nun an allabendlich Radsport über den heimischen Bildschirm. Unnötig zu erwähnen, dass ich aufgrund des neuen TV-Programms eine schwere Schlafkrankheit entwickelte. Nur selten schaffte ich es, die 21 Uhr Grenze wach zu knacken – meistens knackte ich schon deutlich früher – während sich mein zukünftiger Ehegatte Stunde um Stunde diese Ödnis in bewegten Bildern zu Gemüte führte. Für mich absolut nicht nachvollziehbar. Kein bisschen sogar. Nichts erscheint mir langweiliger als Radsport. Dart vielleicht. Ach nein … eigentlich finde ich sogar Dart interessanter. Logischerweise empfehle ich mittlerweile jedem, der in meiner Gegenwart über Schlafprobleme klagt, dieses Anti-„Unterhaltungsprogramm“ – bei mir hat’s schließlich besser funktioniert als Valium in heißer Milch.

Doch der Schrecken meiner wachen Nächte wollte mehr. Mehr Raum in unserem Leben. Die Tour de France war noch nicht durchgestanden, da kaufte mein ehemals unsportlicher Freund ein Rennrad. Und dann noch eins. Eines mit Maßrahmen musste es nämlich sein, denn (hier hörte ich zum ersten Mal den Satz, der mittlerweile von uns BEIDEN als Waffe genutzt wird): „So machen es die Profis!“ Und ebenfalls genau wie die Profis legte mein Herzblatt ordentlich Schotter dafür auf den Tisch (Meine beiden ersten Autos haben zusammen weniger gekostet als dieser vermaledeite Drahtesel!!!). Und als ich schon dachte, es könne nicht mehr schlimmer werden, präsentierte mir mein geliebter Ex-Couchpotato sein – natürlich auch sehr professionelles – Rennradfahrer-Outfit. Für jene, die noch nie IN NAH mit sowas in Berührung gekommen sind: Die Rede ist von hautengen Lycra-Hemden und vor allem -Hosen, in die zur Schonung der Kronjuwelen und des Hinterns überdimensionale Binden eingearbeitet sind. Ich selbst kannte sowas vorher unter der Bezeichnung „Surfbrett“ – bekommt man nach einer natürlichen Geburt im Krankenhaus gereicht. Mal ehrlich: Egal wie groß die Liebe ist und wie sexy man seinen Mann finden – DAS IST NICHT SCHÖN! AN NIEMANDEM!

Schon gar nicht an sehr übergewichtigen Männern, wie ich sie zu Hauf auf den Bergen in Südfrankreich sehen musste … schnaufend und stark schwitzend. Doch viele Männer haben ja eine ganz eigene Sicht auf ihren Körper oder scheren sich einfach nicht darum, was sie den Sehorganen anderer antun: Sie zwängen sich in Lycra-Schläuche, rasieren sich die „kräftigen“ Beine und setzten dem ganzen ein Krönchen auf, indem sie auch noch ein unterirdisch hässliches Mützchen auf ihr lichtes Haar pflanzen. Warum? Weil es die Profis so machen. Und sagt ihnen doch mal jemand, dass sie eventuell etwas an ihrem Gewicht machen sollten (beim Outfit ist eh alles verloren; da helfen auch keine noch so berechtigten Kommentare), um bei ihrer Auffahrt nicht ständig von wandernden Senioren überholt zu werden, kaufen sie sich ein neues, teureres, aber vor allem LEICHTERES Fahrrad. Denn worauf es ankommt ist das Systemgewicht – also die Gesamtsumme aus Fahrer und Bike. (Ja, mein lieber Ehemann, ich lerne dazu in Sachen Radsport. Nicht gern, aber es lässt sich dank deiner immer wiederkehrenden Ausführungen einfach nicht vermeiden :D)

Bei aufmerksamen Lesern wird sich eventuell so langsam das Gefühl einschleichen, dass ich kein Fan des Radsportes bin, es niemals war und sehr wahrscheinlich auch niemals sein werde. RICHTIG!!!!! Folgend stellt sich logischerweise die Frage: Warum um Himmels Willen WAR ICH AUF DEM VERFLUCHTEN BERG? Ganz einfach: Ich liebte meinen Mann. Das tue ich übrigens immernoch. Und das obwohl er mehrmals die Woche in diesen wahrlich unterirdisch anmutenden Kleidungsstücken das Haus verlässt, also damit in die Öffentlichkeit geht. Und obwohl er mich ständig mit Informationen zu (echten) Profi-Radsportlern nervt, mir von „spektakulären“ Etappen irgendwelcher Rennen vorschwärmt und in regelmäßigen Abständen wahnsinnig subtil auf Fehlerchen an seinem Rädchen verweist, um mich langsam darauf vorzubereiten, dass er sich in absehbarer Zukunft TATSÄCHLICH einen Rahmen aus Titan ANFERTIGEN lassen wird. Und OBWOHL er meine Liebe zu ihm, den Umstand, dass wir da gerade mal 6 Wochen verheiratet waren und den hormonellen ZUstand, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt befand, eiskalt ausnutzte, um mich davon zu überzeugen, dass all meine Bedenken bezüglich des Frankreich-Trips zur 100. Tour de France unbegründet seien.

Also stieg ich ins Auto und unterdrückte meine oftmals berechtigte, aber eben auch Spaßbremsende Schwarzseherei, um meinen frisch Angetrauten bei der Erfüllung eines Lebenstraumes zu begleiten: Die vier „heiligen Berge“ der Tour de France zu fahren und Etappen besagter Jubiläums-Tour live vor Ort zu verfolgen. Natürlich waren wir nicht allein unterwegs zu diesem romantischen, Hochzeitsreise-verschiebendem Erlebnis, sondern zusammen mit zwei seiner ebenfalls leicht irren Fahrrad-Kumpels. Zusammengefasst: Ich (unsportlich, Radfahrer hassend, schwanger im 7. Monat, neuerdings hitzeempfindlich, immer hungrig und stets unterhaltungsbedürftig) fuhr gemeinsam mit drei Radsport-geilen Männern nach Frankreich, um dort ein Event zu erleben, dass mich absolut null interessierte. In widerwärtig kratzigen Stützstrümpfen. In einem schwarzen Auto mit altersschwacher Klimaanlage, die nicht im Ansatz dazu in der Lage war, den Fegefeuer-ähnlichen Temperaturen in diesem Sommer Herr zu werden. In ein Land, dessen Sprache ich nicht spreche, in dem ich aber die meiste Zeit allein wäre, weil die Herren ja den ganzen Tag mit dem Ärschen auf ihren Rädern klebten. Und in Hotels, in denen ich selbst volltrunken und grenzdebil nicht freiwillig hätte übernachten wollen (daran war ich eventuell ein klitzekleines bisschen mit schuld ;)).
Na gut, eine Location war ganz nett. Die Zimmer waren ok, die Landschaft war – trotz Berg – recht hübsch und es gab einen kleinen Pool, an dem ich mein einsames Dasein mit einem Buch in der Hand fristen konnte. Die wenigen anderen Gäste dort waren genau wie „mein Team“ den ganzen Tag unterwegs, was mein persönliches Unterhaltungsprogramm auf -1000 % sinken ließ. Ja, an einem Tag hätte ich die 100 Meter zur Straße gehen können, um mir live und in Farbe den Tross der Profi-Rennradfahrer anzusehen, die da um den Titel trampelten. Aber wie gesagt: Nicht mal Dart finde ich langweiliger als Radsport. Also blieb ich auf meinem immer fetter werdenden Schwangeren-Hintern sitzen und wartete auf die zwei Stunden am Abend, in denen ich den Sportler-Witzchen und Anekdoten des Tages meiner Reisegruppe lauschen dürfte, bevor es früh ins Bett ging. Schließlich galt es am folgenden Tag fit zu sein für die nächste herausfordernde Höhenmeter-Erfahrung… ES.WAR.ZUM.KOTZEN!!!! Und zwar so sehr, dass ich diesen Riesenspaß nach ca. der Hälfte abbrach, ein Zugticket kaufte und ohne Radlerhosen-Fraktion den Heimweg antrat. Die wohl beste Entscheidung des Sommers 2013. Was ich daraus gelernt habe? Nie wieder trete ich einen „Urlaub“ an, zu dem mein Mann auch nur ein einziges, aus Lycra oder sonst einer mega-funktionellen Membran bestehendes Stoffstück einpackt. Das schwöre ich bei meinem faulen, sattelhassenden Arsch!

 

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3 Kommentare für “Die Frau des Radfahrers: Die Fette auf dem Berg

  1. Ich sach ja: Zu viel Fernsehen verdirbt den Charakter. Bei den ständigen Sportübertragungen müssen die Leute ja auf dumme Gedanken kommen. Bei anderen Sendungen gefährlichen Inhalts steht wenigstens dabei “Bitte nicht nachmachen!”.

    *lächeltundwinkt”