Rabenmutter 2.0

Wir Eltern können abstinken!

Ich muss es jetzt einfach mal genau so sagen, wie es nun mal ist: Kinder sind Superhelden! Und das nicht nur, weil sie häufig Strumpfhosen tragen, sondern vor allem weil sie uns Erwachsenen auf so vielen Ebenen weit überlegen sind, dass wir nur – ich entschuldige mich natürlich für diese völlig gnadenlose und desillusionierende Feststellung – völlig gegen sie abstinken können. Ja, dass ist frustrierend. Finde ich auch. Jeden Abend liege ich im Bett und schreibe imaginäre Beschwerdebriefe an Mutter Natur, weil ich es so schrecklich ungerecht finde, dass die kleine Madam mir täglich zeigt, wo der Hammer hängt. Dabei geht es gar nicht mal darum, dass ich hier meine pädagogischen Fähigkeiten bzw. meinen erzieherischen Einfluss auf die Trotz-Queen noch geringer bewerten will, als ohnehin schon fest steht – nein, ich spreche ausschließlich von ihrem enormen, als Grundausstattung in jedem Kind angelegten Potenzial … im Gegensatz zu meinen nicht (mehr) ganz so enormen bzw. aufgrund meines biblischen Alters offenbar schon etwas eingerosteten Potenzials.
Da stellt sich doch ernsthaft die Frage, wie wir Eltern heutzutage bei unseren Kindern noch einen Fuß auf den Boden bekommen sollen, wenn sie doch Superhelden sind, die über unsere Anstrengungen, mit ihnen mithalten zu wollen, nur lachen (könnten, tun sie natürlich nicht, weil sie uns lieb haben … hoffe ich). Klar, wir haben diese wenig beliebten, aber doch so irre praktischen und erfolgreichen Strategien wie Erpressung, Bestechung mit Gummibärchen und Flunkereien zur Hand, aber das hält uns doch bloß über Wasser. Wir wissen es dennoch in so ziemlich jedem Moment: Unsere Kids sind besser als wir. Vielleicht ist das gut so und muss auch so sein. Trotzdem bin ich ein bisschen neidisch ;) .

DIE SUPERKRÄFTE UNSERER KINDER:

Ihre Sinne sind ausgefeilter
Die Mausemaus, auch Fräulein Adlerauge genannt, zum Beispiel sieht alles. Und ich meine damit, WIRKLICH alles! (Meine Mutter hat mir und meiner Schwester als wir Kinder waren sehr glaubhaft versichert, sie könne durch Wände sehen. Möglicherweise hat sie diese Fähigkeit an ihre Enkelin weitervererbt ;) ) Wenn wir spazieren gehen, entdeckt sie abhanden gekommene Ballons in Baumwipfeln lange bevor ich überhaupt den Baum bemerke, erkennt Bekannte bereits auf eine grob geschätzte Entfernung von 200 Metern und „enttarnt“ versteckte Überraschungen ganz oben im Schrank bei geschlossener Tür. Ganz zu schweigen davon, dass es für mich absolut UNMÖGLICH ist, mir heimlich ein Stück Schokolade in den Mund zu schieben, wenn sie im selben Stadtteil ist wie ich. „Mama, isst du gerade was?“ tönt es schon, wenn ich nur mehr Speichel produziere, weil ich mir VORSTELLE etwas zu essen. Ich habe einfach keine Chance, irgendetwas vor diesem Kind zu verbergen – und ich bin absolut sicher, dass ich nicht die einzige Mutter auf der Welt bin, die ab und zu daran denkt, ihr Kleinkind als Profi-Spion ausbilden zu lassen, um wenigstens ein bisschen Profit aus den doch schon ziemlich nervigen Fähigkeiten des Nachwuchses zu schlagen.
Dafür hört das Kind ungeheuer schlecht. Aber das liegt höchst wahrscheinlich nur daran, dass ich immer so langweiliges Zeug erzähle, dass ich eine Reaktion ihrerseits gar nicht verdiene. Oder an der Trotzphase … wobei das nicht besonders superheldig wäre und dadurch natürlich ausgeschlossen ist ;) .

Ihre körperliche Belastbarkeit ist der von Erwachsenen weit überlegen
Nehmen wir als Beispiel für diese Superkraft doch einfach einmal eine Erkrankung wie einen Magen-Darm- oder fiebrigen Grippalen-Infekt. Damit liegt ein Erwachsener locker durchschnittlich drei Tage flach (Mütter nur einen, weil sie für mehr keine Zeit haben, Väter dafür fünf … was aber daran liegt, dass SIE immer die schlimmste aller möglichen Versionen der Erkrankung bekommen, schon beim ersten unangenehmeren Bäuerchen mit Land Gift und Galle spucken UND eine Körpertemperatur von 37,3 Grad bei ihnen bereits als rasendes Fieber bezeichnet werden muss ;) ) Ein Kind hingegen spielt, lacht, singt und tanzt oftmals sogar noch, wenn das Thermometer schon an der 39 kratzt. Es kotzt einmal das komplette Elternschlafzimmer voll und bittet nur Sekunden später (auch nachts um 4 Uhr) um ein Nutella-Toast, weil es jetzt echt Hunger hat. Es steckt den Kopf nicht in den Sand und badet in Selbstmitleid, nur weil die Nase läuft – auch nicht, wenn der Arm in Gips steckt oder ein Auge vom x-ten Gerstenkorn so zugeschwollen ist, dass ein Erwachsener schon aufgrund von Scham die Türschwelle nach draußen nicht mehr überschreiten würde. Auf all das scheißen die kleinen Superhelden! Kann man noch lachen? Prima, dann ist es doch nicht so schlimm. MEGA starke Einstellung! Und die Zwerge bemühen sich nicht mal darum … sie steckt einfach in ihnen!

Ihr Energiepotenzial ist quasi unerschöpflich
Aktuell fällt mir mal wieder ganz besonders auf, wie schwer hier die Ungerechtigkeit waltet. ICH schlafe nicht durch, werde durchschnittlich achtmal vom Baby und ca. dreimal von der Mausemaus geweckt, schleppe mich daher nur mehr schlecht als recht wie ein Mutti-Zombie durch den Tag, kann kaum verhindern, dass sich mein Gehirn zwischenzeitlich so ganz von alleine kurz abschaltet und mich ohne Führung unter anderem gegen parkende Autos torkeln lässt und würde wahrscheinlich um 18 Uhr einfach zusammenbrechen, … wenn das denn eine Option wäre (ist es aber nicht). Die Mausemaus hingegen pennt über jegliche Störung durch das Krümelchen elegant hinweg, stört sich selbst natürlich absolut gar nicht daran, mehrfach pro Nacht kurz mal wach zu sein, um der Mama was zu erzählen oder mit ihr gemeinsam auf Nucki-Suche zu gehen, steht am frühen Morgen singend im Bett (DAS hat sie nicht von mir!) und brettert so energiegeladen durch den Tag, dass ich schon mehrmals kurz davor war, im Kindergarten nachzufragen, wie sie die Gabe von Aufputschmitteln an die Kinder rechtfertigen, wenn für die Eltern keinerlei Drogen mit dieser Wirkung zur Verfügung stehen (ist ja wohl voll unfähr!). Zugegeben, am Abend fällt die kleine Madam dann in ihr Bett wie ein Baumstamm mit Wurzeln in einem Valium-Pool, aber nichtdestotrotz meistert sie den Tag meines Erachtens deutlich besser als ich! Und man bedenke: Würde ich ihr erlauben, dass sie am Nachmittag auch nur 2,5 Minuten die Augen schließt (ich bekomm ja schon Angst, wenn sie einmal etwas länger als normal blinzelt) , gäbe das ihren Akkus so viel neue Power, dass wir noch um 1 Uhr Nachts zusammen Scharade spielen würden (ich liegend … in einer Art Wachkoma). Dieses Energieding ist ganz klar die Kinder-Superkraft, die ich am meisten verabscheue. Echt jetzt! Die Natur ist grausam zu Eltern!

Ihre Psycho-Machtspiele sind beinahe unfehlbar
Sie sehen niedlich aus, sie sagen putzige Dinge auf eine noch putzigere Art, sie lächeln engelsgleich … und sie wissen diese Qualitäten einzusetzen! Schamlos und unberechenbar! Wir Eltern habe da kaum etwas entgegenzusetzen, wenn die kleinen Meister der Manipulation zum Schlag ansetzen. Papis von Töchtern knicken meist als erstes ein, wenn das Mini-Herzblatt diesen ganz speziellen Gesichtsausdruck aufsetzt und säuselt: „Papa, bitte! Ich möchte es sooooo gerne!“ Manchmal stammeln die tapferen Väter noch ein: „Was hat Mama denn dazu gesagt?“, aber dann wissen die Mäuschen schon, dass der Sieg nicht nur nah, sondern schon in ihrer Tasche ist.
Aber auch wir Mamis sind nicht gefeit vor den „Angriffen“ unserer Lieblinge. Die kleine Madam glänzt zum Beispiel wie ein Diamant, wenn es um nervenvernichtende Penetranz geht. Es ist noch nicht lange her, da haben wir uns einen 1,5 stündigen „Kampf“ in Sachen Konsequenz geliefert – den ich NATÜRLICH verloren habe, denn was penetrantes Verhalten angeht, macht meiner Tochter keiner was vor. Ohne nennenswerte Unterbrechung bettelte mich das Kind geschlagene 90 Minuten lang um ihren Schnuller an, den sie aktuell eigentlich nur noch zum Schlafen bekommt:

„Mama, kann ich ein Schnulli?“

„Nein, erst wenn du ins Bett gehst!“

„Ich will aber ein Schnulli! JETZT“

„Nein, Schatz, es gibt jetzt keinen Schnulli!“

„Ich will aber!“

„Und ich will, dass du aufhörst zu betteln!“

„Gut, dann hol ich mir jetzt ein Schnulli!“

„Oh nein, Madam, das machst du nicht. Es gibt den Schnulli erst zum Schlafen.“

UÄHHHHHHH! Heult 5 Minuten. Dann:

„Mama, kann ich ein Schnulli?“

und das ganze von vorn.

Wir hatten an diesem Tag Gäste. Allerdings nicht lange. Sie flohen. Ich kann es verstehen. Ich wäre gerne mit geflohen :D .
Nach anderthalb Stunden gab ich auf, weil ich ansonsten in Embryonalstellung zu Boden gegangen wäre. Gerechtfertigt habe ich mein Versagen vor mir selbst mit einem Blick auf die Uhr: „Ach, nur eine halbe Stunde früher als sonst. Was solls?!“ Was es soll, mein liebes vergangenes Ich? Die Mausemaus hat nicht nur Penetranz-Superhelden-mäßig gewonnen, sie hat auch einen Präzedenzfall geschaffen. VERDAMMT!!! Ich bin am Arsch!

Aber mal ernsthaft: Natürlich ist es der blanke Neid, der aus mir spricht und das Wissen, dass ich alle diese Superkräfte auch einmal hatte, sie mir allerdings abhanden gekommen sind. Es ist doch echt blöd, dass uns Erwachsenen das fast immer irgendwann passiert – wir verlieren die Power, die uns einmal antrieb, alles hören und entdecken ließ … wir verbummeln sie einfach … oder brauchen sie auf … oder lassen zu, dass sie durch weniger wichtige, aber in der Gesellschaft anerkanntere Verhaltensweisen überdeckt werden. Voll schade eigentlich. Vielleicht kann man sich einen Teil zurückholen. Wenn man weniger jammert und dafür mehr wagt. Oder – weniger schwierig – bloß mal mehr nach oben schaut, um Ballons in den Bäumen zu suchen. Das wäre doch schon ein „Rückschritt“ in die richtige Richtung. Ich versuch es mal.
Und jetzt ziehe ich mir eine Strumpfhose an, um wenigstens wie eine akzeptable Superhelden-Gehilfin auszusehen. Denn das sind wir doch in Wirklichkeit für unsere Kinder: Die etwas weniger talentierten, aber dennoch wichtigen Gehilfen, die fest an der Seite ihrer Superhelden stehen und dafür sorgen, dass sie die spannendsten Abenteuer erleben und meistern können. Cooler Job eigentlich! ;)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

13 Kommentare für “Wir Eltern können abstinken!

  1. Was für ein wunderbarer Text ? Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Außer einem Punkt: haben wir Mamas manchmal nicht auch Superkräfte, dass wir Tag für Tag und Nacht für Nacht mit den kleinen Powermäusen überstehen? Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich die letzten zwei Jahre mit meiner Maus anders bewältigt habe und muss jetzt mal unser Ego kraulen ;-P

  2. Was für ein wunderbarer Text :-) Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Außer einem Punkt: haben wir Mamas manchmal nicht auch Superkräfte, dass wir Tag für Tag und Nacht für Nacht mit den kleinen Powermäusen überstehen? Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich die letzten zwei Jahre mit meiner Maus anders bewältigt habe und muss jetzt mal unser Ego kraulen ;-P
    #EgoKraulen

  3. Das klingt ganz nach meiner Maus. Das mit dem alles sehen vor allem. Waren mit dem Auto zum Kindergarten unterwegs und an einer Hauswand hing so ein Weihnachtsmann der klettert. Sie hat ihn gesehen obwohl sie im Auto saß, ich dachte das denkt sie sich aus. Pustekuchen, als wir zu Fuß da vorbei sind habe ich ihn auch gesehen. Naschen mit Kind in der Nähe, brauche ich auch nicht dran denken.

  4. Ich frage mich auch regelmäßig, wie die Maus es schafft, den ganzen Tag im Laufschritt unterwegs zu sein – ich würde ZUSAMMENBRECHEN. Noch schlimmer sind gebündelte Superkräfte : erst entdecken sie die Mama beim Naschen im Nachbarzimmer und dann wird intensiv und ausdauernd gebettelt…bleib da mal standhaft. Memo an Kinderloses Ich – vergiss dein Prinzip, konsequent zu sein.
    Schlimm auch, wenn alle krank sind und das kranke Kind mit dem höchsten Fieberstand, der verstopftesten Nase und dem schlimmsten Husten noch die meiste Power hat und trotzdem durch die Gegend saust, während ich mich am liebsten nur robbend fortbewegen würde, wenn überhaupt…

    Ich freu mich immer so über deinen wöchentlichen Beitrag, ist immer eine kleine Auszeit :D

  5. Das stimmt, Kinder haben sooo viel mehr Energie als wir. So viel Kaffee könnte ich gar nicht trinken, um so ausgelassen eine halbe Stunde auf dem Bett herumzuhüpfen.
    Mach bitte weiter so, deine Texte sind sehr lustig und so echt. Deine Twittersprüche sind auch der Knaller! Am Besten hat mir gefallen:”Es ist nie zu früh am Tag, um sich auf die Schlafenszeit der Kinder zu freuen.” Da habe ich mich wirklich ertappt gefühlt. :-)

    Liebe Grüße

    Fränzi27

  6. Ich freu mich jede Woche auf Lächeln und Winken, weil Deine Texte mich für 10 Minuten aus dem alltäglichen Wahnsinn mit 2 Kindern “erlösen”. Und ja, ich kenne diese Superkräfte…besonders die Schnullerdiskussionen…
    Ich bin nicht allein!