Der Papa in der Netzstrumpfhose
Interviews

Eltern-Interviews: Der Papa in der Netzstrumpfhose

Heute möchte ich eine neue Interview-Reihe auf LÄCHELN UND WINKEN starten: Eltern-Interviews – immer mit Mamas und Papas, die „irgendwie anders“ oder „besonders“ sind in den Augen der Gesellschaft, die es ja auch heute noch sehr gerne sieht, wenn gerade Eltern größtenteils den gängigen Normen im Bezug auf den vor allem nach außen sichtbaren Lebenswandel entsprechen. Klar, Homosexualität zum Beispiel ist kein Tabu mehr. Zumindestens offiziell. ;) Aber wie sieht es mit Schwulen und Lesben als Eltern aus? Und was ist mit Menschen, die sich in anderen Bereichen von der Norm abheben? Vielleicht ein großes Unglück erlebt haben, dass sie seit dem von anderen Menschen und deren Erfahrungen trennt? Sich ganz anders kleiden, sich ganz anders fühlen oder ganz anders leben als die meisten andern in unserer Gesellschaft? In ihrer Familie verschiedene Nationen vereinen oder einfach mehr Kinder haben, als aktuell „Trend“. Möglicherweise sind sie auch einfach nur viel jünger als andere Eltern … oder auch viel älter? Hat ihr „anders sein“ – ganz egal in welcher Beziehung – Einfluss auf ihre Qualitäten als Eltern? Welches Feedback bekommen sie von außen? Wie leben sie ihren Alltag, bewältigen die Hürden, die ihnen das Leben – wie uns allen manchmal – in den Weg stellt?

Offiziell wird das Wörtchen „Normal“ mittlerweile schon oft belächelt – was ist denn eigentlich normal, soll doch jeder leben wie er will – nur … die Realität sieht dann doch immer noch häufig anders aus. Manchmal wird nur die Nase gerümpft, manchmal richtig angefeindet oder gar aus der Gesellschaft ausgeschlossen. „Aus der Rolle fallen“, ganz egal wie, ist auch heutzutage bei weitem noch nicht so anerkannt, wie es sein sollte, wie es uns durchaus vorgegaukelt wird. Schade eigentlich, denn im Grunde wünschen wir uns doch alle dasselbe: So leben zu dürfen, als Eltern und ganz schnöde als Menschen, wie es uns glücklich macht. Damit wir unsere Kinder glücklich machen können.

Fakt ist: Ob wir gute oder schlechte Eltern sind, hängt nur davon ab, ob wir aufgrund unserer innigen Liebe zu unseren Kindern immer darum bemüht sind, die besten Mamis und Papis zu sein, die wir sein KÖNNEN. Nicht mehr und nicht weniger. Das eint uns! Und genau DAS möchte ich mit dieser Interview-Reihe zeigen – um der Chance willen, mehr übereinander und unterschiedliche Lebensmodelle oder Persönlichkeiten zu erfahren. Weil ich das unheimlich toll und spannend fände … und ihr doch sicher auch?! Deshalb freue mich sehr, wenn sich viele melden (mit einer Mail an hallo@laecheln-und-winken.com), um mitzumachen und etwas von sich zu erzählen. Natürlich gerne auch anonym – so wie es mein erster Interview-Partner bevorzugt: ein frischgebackener Vierfach-Papa (herzlichen Glückwunsch nochmal!), der mich über Instagram gefunden und mir dort von seiner „heimlichen Liebe“ – manchmal Frauenkleidung zu tragen, um seine feminine Seite auszuleben – erzählt hat. „Papa Paul“ also ist Mitte 30, seit 11 Jahren verheiratet und hat mit seiner Frau gemeinsam 4 Kinder im Alter von 11 Jahren bis „frisch geschlüpft“. Beruflich macht er laut eigener Aussage „irgendwas mit Computern“, hat aber ursprünglich Ingenieurwesen studiert. Und er hat sich jetzt mal die Zeit genommen, meine Fragen zu beantworten und uns so einen kleinen Einblick in sein Privatleben zu gewähren …

Eltern-Interview mit „Papa Paul“ – dem Papa in der Netzstrumpfhose:

1. Gibt es etwas an dir, dass die Menschen in deinem Umfeld als „anders“ oder „besonders“ bezeichnen würden? Wenn ja, was ist es?

Puh, gleich eine so schwere Frage. Wobei für mich ist sie gar nicht so schwer, denn das ist das Besondere an mir: Ich bin ehrlich, direkt und sage, was ich denke. Und das mögen oder hassen die Leute in meinem Umfeld. Ich halte mich nicht an gesellschaftliche Konventionen, wenn sie mir nicht gefallen. Warum auch? Ein Beispiel: Ich mache mich ab und an als Frau zurecht. Mit Make-Up, Strumpfhose und Rock. Und? Ich konnte bis jetzt auf keiner Verpackung den Hinweis finden, dass man zum Benutzen des Produktes eine Vagina braucht. Und selbst wenn, ich mach das, was mir gefällt.
Auch unsere offene Ehe ist, wenn man sich die „normale“ Gesellschaft ansieht, sicher nicht normal. Aber für uns funktioniert es. Und überhaupt: Wer will heute schon normal sein?

2. Welche Reaktionen erntest du dafür, dass du dich irgendwie von der „offiziellen“ Norm abhebst?

Bislang meist nur Positive. Allerdings lebe ich nicht alles frei aus, da mir die Gesellschaft im Großen und Ganzen dann doch zu spießig ist. Im Freundeskreis gibt es auch Menschen, für die das nix ist. Aber die Toleranz ist vorhanden. Und das ist mir wichtig. Lerne ich neue Leute kennen, bei denen ich das Gefühl habe, dass es eine Freundschaft werden könnte, konfrontiere ich sie recht schnell mit den Themen. Ich habe leider schmerzlich herausfinden müssen, dass die Leute sich nach vorne ja so tolerant geben, sich aber dann schnell zurückziehen, wenn dann jemand in ihrem näheren Umfeld tatsächlich anders ist. Also selektiere ich so schnell wie möglich. Wer will schon in eine „Freundschaft“ investieren, in der man nicht so sein darf, wie man ist?

3. Welchen Einfluss hat das auf dein Leben … als Individuum, aber auch als Ehemann und Vater?

Ich habe das Gefühl, mit mir selbst im Kampf zu leben. Meine Frau und meine Kinder sind toll und sie stört es nicht, wenn ich „Frauenkleidung“ trage. Aber nach außen habe ich eine Verantwortung für meine Familie. So kam es beispielsweise in meiner Familie fast zum Bruch, als es hieß, ich würde Make-Up tragen. Dies konnte ich durch geschickte Lügen runterspielen, denn ich wollte für meine Kinder den Kontakt halten. Aber es zeigt mir, wie schnell es wegen Kleinigkeiten zum Eklat kommen kann. Aus diesem Grund bin ich vorsichtiger geworden, was das Ausleben meiner femininen Seite betrifft. An sich schade, denn ich habe das Gefühl, dort noch eine Menge an mir selbst entdecken zu können. Und schade ist auch, dass ich nicht als geschminktes Beispiel für meine Kinder mit erhobenem Hauptes zeigen kann: „Sei wie du dich wohlfühlst. Sei du selbst!“ Ich hoffe, dass ich mir da nicht eines Tages Vorwürfe machen werde. Ich bin froh, dass meine Frau mich da unterstützt. Sie ist es, die mir lokal Klamotten kauft, wenn mir etwas gefällt. Das Einzige, was sie ein wenig ärgert, ist, dass mir von der Figur her ihre Sachen passen. Aber das könnte ein generelles „Frauen-Ding“ sein. ;)

4. Was für eine Art Vater bist du? Was liebst du besonders an dieser Rolle? Was nicht so? ;)

Mit dieser Frage habe ich mich sehr schwergetan. Passe ich im Alltag ja schon in keine Schublade, wie soll ich mich da als Vater kategorisieren? Ich liebe meine Kinder! Und wenn ich mir auch manchmal wünschen würde, etwas mehr Zeit mit meiner Frau vor der ersten Geburt alleine gehabt zu haben, so würde ich keins meiner Kinder missen wollen.
Ich versuche Erziehung praktisch zu leben. Auch hier reibe ich mich mit gesellschaftlichen Konventionen. Beispielsweise hatte unser Großer (11 Jahre) inzwischen Sexualkunde. Man muss wissen, er ist ein wissbegieriges Kind, das klare Tatsachen wünscht und da sehr nach mir kommt. Er ist nicht der „Bienchen & Blümchen“-, sondern der „Penis & Scheiden“-Typ, bei dem man nicht um den heißen Brei herum reden soll. Jeder kennt die sexuelle Aufklärung in der Grundschule mit den tollen Bilderbüchern. Das passt aber so gar nicht zu ihm.
Meine Frau und ich waren lange im Gespräch, ob es bei ihm nicht sinnvoll wäre, ihm Sex anhand eines für ihn passenden Videos zu zeigen. Und es wäre sinnvoll gewesen. Allerdings haben wir uns aus Furcht vor der Gesellschaft dagegen entschieden. Was hätte es für Wellen geschlagen, wenn das raus gekommen wäre!?! Das ist etwas, was ich am Vater sein hasse: Wie ich mich vor der Gesellschaft in gewisser Weiser rechtfertigen muss, wie ich meine Kinder erziehe, obwohl die Gesellschaft in so vielen Punkten einfach fehlerhaft ist.
Lasst mich euch dazu bitte einen Gedankenanstoß mitgeben: Im Fernsehen, im Internet und speziell auf YouTube können Kinder eine Menge sehen. So auch Gewalt in verschiedensten Formen. Das ist je nach Kindesalter gesellschaftlich ok und völlig anerkannt. Sexualität in pornografischer Art und Weise wird hingegen überhaupt nicht gezeigt. Warum? Wäre es nicht generell besser, anderen dabei zu zusehen, wie sie sich lieben, als sich gegenseitig zu verletzen oder schlimmeres?

5. Was wünschst du dir am meisten für deine Zunft? Und was für die deiner Kinder?

Für meine Zukunft wünsche ich mir, dass es mir mehr egal wird, was andere über mich (und meine Familie) denken. Ich glaube, dass ich freier leben könnte, würde ich mir nicht so oft selbst im Weg stehen. Ich wünsche für mich und meine Kinder, dass die Welt toleranter wird. Es kann nicht sein, dass man sich heutzutage noch Beleidigungen für männliches Make-Up, Homosexualität oder andere „Andersartigkeiten“ anhören muss. Wenn jeder dem anderen das gleiche Maß an Glück zugestehen würde, wie er es sich für sich selber wünscht, dann kämen wir endlich in einer Welt an, die ich meinen Kinder wünsche würde.

Lieber Papa Paul, ich danke dir für dieses offene Interview und die vielen, wirklich brauchbaren Denkanstöße! Ich weiß, dass es Mut braucht, so viel sehr persönliches so öffentlich zu teilen. Aber ich glaube (wie du) ganz fest daran, dass diese Art von Offenheit irgendwann dazu führen wird, dass wir eines Tages etwas aufgeschlossener aufeinander zugehen werden. Und so gemeinsam eine Welt für unsere Kinder erschaffen, in der es mehr als in Ordnung ist, nicht immer nur der vorgegebenen Norm zu entsprechen, sondern – wenn wir es möchten oder brauchen – einfach ein bisschen anders als die anderen, eben wir selbst zu sein mit all unseren Facetten. Denn im Endeffekt wir das Leben doch so nur spannender und bunter!

PS: Wenn ihr, meine lieben Leser und Leserinnen, nun aufgrund dieses Interviews denkt, dass auch ihr eine Geschichte zu erzählen habt und gerne mitmachen möchtet bei dieser Reihe, schreibt mir wirklich sehr gerne eine E-Mail! Ich freue mich auf jeden Kontakt und jede Geschichte!

PPS: Wie immer freue ich mich, wenn ihr diesen Text teilt! Danke! <3

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