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Offener Brief einer ME/CFS-Betroffenen

Liebe Anke, liebe Leser*innen,

zuerst möchte dir, Anke, danken, dass du uns mit „Lächeln und winken“ eine Stimme gibst. Für die vielen unsichtbaren Menschen die unter Long COVID und ME/CFS leiden ist das super wertvoll.

Mein Name ist Kim, ich bin 38 Jahre alt und komme aus NRW. Ich selbst bin seit 2022 an Long COVID erkrankt und leide nun an ME/CFS. (Die schlimmste Form einer Postviralen Erkrankung). Es ist eine Realität, die sich für viele von uns wie ein Albtraum anfühlt. Über eine halbe Million Menschen in Deutschland sind mittlerweile von ME/CFS betroffen (Dunkelziffer deutlich höher, da oft fehldiagnostiziert) viel mehr als von Krankheiten wie MS oder AIDS und doch bleibt ME/CFS für viele ein unbekanntes, missverstandenes Krankheitsbild.

Als Mutter von zwei kleinen Kindern war ich früher aktiv, sportlich und engagiert. Dein Krümel und meine Tochter sind etwa gleich alt.

Ich habe gelacht, gelebt und die kleinen und großen Dinge des Lebens geschätzt. Doch heute bin ich überwiegend ans Haus gebunden, kämpfe mit unerträglichen Schmerzen und fühle mich oft isoliert in meiner eigenen Welt. Die Erkrankung hat nicht nur meine körperliche Gesundheit, sondern auch mein Leben als Mutter und Partnerin stark beeinträchtigt. 

ME/CFS wurde bereits 1969 von der WHO als neurologische Krankheit klassifiziert wurde, aber die Ursachen sind nach wie vor nicht geklärt.

Es ist eine schwere somatische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung führt. Die extreme Erschöpfung, die viele erleben, fühlt sich an, als hätte man einen Marathon gelaufen, selbst nach einer langen Nacht Schlaf bleibt man erschöpft. Dazu kommen oft Schmerzen in Muskeln und Gelenken, die selbst die einfachsten Aufgaben unmöglich machen, z.B. spielen mit den Kindern.

Viele leiden unter „Gehirnnebel“, der das Denken und Erinnern erschwert. Auch Taubheitsgefühle oder Kribbeln in den Gliedmaßen können auftreten. Emotional fühlen sich viele Betroffene isoliert und unverstanden, da ihre Krankheit unsichtbar ist. Die schwersten Fälle sind bettlägerig und pflegebedürftig, unfähig, den alltäglichen Reizen wie Licht oder Geräuschen zu begegnen. 

Insgesamt sind Long COVID und ME/CFS wie ein ständiger Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, der einen daran hindert, ein normales Leben zu führen. Hauptsächlich betroffen sind junge Frauen, die mitten im leben stehen, kleine Kinder haben, die care Arbeit leisten und noch eine Karriere vor sich hätten. Sie alle steckten voller Träume. 

Es ist so frustrierend und schmerzhaft zu sehen, wie sehr es an Forschung und adäquater Versorgung fehlt. Wir brauchen eine Gesellschaft, die sich für uns einsetzt und uns sieht, um das Bewusstsein für diese Erkrankung zu schärfen und die dringend benötigte Unterstützung zu mobilisieren. Wir brauchen mehr Forschung, um Ursachen und Lösungen zu verstehen und wir brauchen endlich Ärzte und Therapeuten, die uns ernst nehmen und uns helfen, unsere Lebensqualität zumindest ein Stückchen zurückzugewinnen. 

In der Gesellschaft gibt es eine systematische Psychologisierung dieser Erkrankungen. Viele Menschen sehen Long COVID und ME/CFS als psychovegetative Erschöpfung an und verkennen die ernsthaften physischen Aspekte, die hinter diesen Diagnosen stecken. Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass Betroffene keine Unterstützung erhalten. Stattdessen werden wir in eine Schublade gesteckt, die uns nicht gerecht wird und unsere Leiden werden nicht ernst genommen.

Familien, die mit Long COVID leben, verwandeln sich oft in Schattenfamilien. Eltern, die ein Kind mit Long COVID haben, erleben zusätzliche Herausforderungen und müssen sich nicht selten sogar mit dem Vorwurf „Münchhausen-by-Proxy“ auseinandersetzen.(Münchhausen by Proxy ist eine psychische Störung, bei der ein Elternteil, absichtlich Symptome oder Krankheiten bei z.B. einem Kind herbeiführt oder vortäuscht um Aufmerksamkeit zu erhalten.)

Die ständige Suche nach Verständnis und Hilfe wird durch solche Stigmatisierung noch erschwert. Betroffene Eltern fühlen sich allein gelassen und kämpfen gegen ein System, das ihre Realität nicht anerkennt.

Besonders schmerzhaft ist es, wenn bei Kindern die somatischen Beschwerden fälschlicherweise als psychische Probleme abgetan werden, die angeblich aus den Lockdown-Folgen resultieren. Oft sind diese Beschwerden die Folge einer Corona-Infektion. Wir müssen diese Zusammenhänge erkennen und die Symptome ernst nehmen.

Vermehrte COVID-Infektionen bei Kindern schwächen ihr Immunsystem, was ignoriert wird. Viele Kinder können nicht zur Schule gehen und verlieren wichtige soziale und bildungsbezogene Erfahrungen. Daher ist es entscheidend, als Gesellschaft für saubere Luft in Schulen zu sorgen. Niemand von uns würde jemals dreckiges Wasser trinken, aber es scheint in Ordnung zu sein, dass unsere Kinder in einer Umgebung lernen, in der sie dreckige Luft atmen müssen. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Schulen sichere und gesunde Lernbedingungen bieten, um die Zukunft unserer Kinder zu schützen und ihre Gesundheit zu fördern.

Die #LemonChallengeMECFS ist eine wunderbare Initiative, um Sichtbarkeit für Betroffene zu schaffen. Sie gibt jedem die Möglichkeit, ein Stück Verständnis und Mitgefühl zu zeigen – etwas, das für viele von uns oft unerreichbar scheint. Es geht nicht nur ums Spenden sammeln, wir wollen die Krankheit endlich bekannter machen. Sie hilft, die Stimmen derjenigen zu hören, die oft nicht mehr in der Lage sind, für sich selbst zu sprechen. 

Denn je mehr Menschen von unserer Realität erfahren, desto größer wird die Hoffnung auf Veränderung.

Es gibt mittlerweile zahlreiche Videos auf Instagram zur #LemonChallengeMECFS :

Karnevalsvereine, Sportvereine, Schauspieler*innen und diverse Politiker*innen haben bereits teilgenommen. Es wäre natürlich großartig, wenn wir noch mehr Menschen dafür begeistern könnten, an dieser Challenge teilzunehmen, um sie so voranzubringen wie die Icebucket Challenge vor einigen Jahren.

Wieso eine Zitrone?

Der Biss in eine Zitrone ist nur ein Symbol für die Challenge. An ME/CFS zu erkranken ist etwas ganz anderes (was ist ME/CFS?). Stell dir deine Welt kurz mal so vor: Du bist chronisch schwer erschöpft, dein Kreislauf ist außer Kontrolle, du kannst dich nicht konzentrieren, kleinste Belastungen verschlimmern deine Symptome, du hast Schmerzen, bist extrem reizempfindlich. Du kämpfst mit weiteren schweren Einschränkungen und kannst wahrscheinlich nicht mehr arbeiten oder zur Schule gehen.

ME/CFS entsteht vor allem nach Infektionen (z. B. COVID-19, Grippe, EBV), d. h. jede*n könnte es treffen. Die symbolische Zitrone löst nur einen kurzen Schockmoment aus, ME/CFS verändert das Leben der Betroffenen – dramatisch und dauerhaft und ohne Perspektive. Denn es gibt bisher keine ursächliche Therapie.

Deshalb kämpfen wir für mehr ME/CFS-Forschung – hilf’ uns dabei!

https://mecfs-research.org/lemonchallengemecfs/

Wir warten seit >50 Jahren auf ein Medikament, Anerkennung und öffentliche Präsenz! Die Zahl der Betroffenen hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt.

1000 Dank von mir und all den Betroffenen, denen du so Sichtbarkeit und Hoffnung schenkst.

Viele Grüße 

Kim 

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Ein Kommentar für “Offener Brief einer ME/CFS-Betroffenen

  1. Vielen Dank, dass ihr dieses wichtige Thema sichtbar macht! Wir können als Gesellschaft da 10x weiter kommen, wenn mehr Menschen das wissen und entsprechend in ihrem Einflussbereich Dinge unternehmen, um das Leben von Betroffenen zu verbessern oder es gar nicht erst dazu kommen zu lassen. Allein rein wirtschaftlich ist es ein No Brainer sich darum zu kümmern.