Sternenkind
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Nur 6 Tage mit Levi – eine Sternenkind-Mama erzählt

TRIGGERWARNUNG: Im folgenden Text erzählt die Mutter eines Sternekindes von ihrem kleinen Sohn, der nur 6 Tage alt wurde. Sie fasst mutig ihren Schmerz in Worte und ist damit bereit, etwas sehr privates mit uns zu teilen: den größten Verlust ihres Lebens. Wir, die wir diesen Text nun lesen dürfen, können nur erahnen, wie groß und tief die Wunde ist, die ein Herz davonträgt, wenn es ein Kind verliert. Und doch tut schon allein die Erzählung so weh, dass wir instinktiv lieber nicht weiterlesen möchten. Doch genau DAS macht alles für betroffene Familien noch schlimmer. Dass sie sich alleine fühlen (und es auch sind), als emotionale Belastung wahrgenommen, mit Floskeln abgespeist oder sogar komplett geschnitten werden, weil wir als Gesellschaft nur so schwer mit dem Tod umgehen können. Mit dem Tod eines Kindes noch schwerer. Der Tod gehört zum Leben dazu, heißt es. Und das stimmt. Dennoch verhalten wir uns anders; versuchen den Tod zu ignorieren und aus unserem Leben auszugrenzen, weil wir den damit verbundenen Schmerz kaum ertragen können. Doch damit grenzen wir auch Menschen aus. Menschen die leiden und unser Ohr und unsere Hand benötigen, um weitermachen zu können. Und genau aus diesem Grund erzählt uns Mama Sinja ihre Geschichte. Ihre und die ihres Söhnchens Levi, den sie nur 6 Tage im Arm halten konnte. Sie erzählt von ihren Gefühlen in ihrer dunkelsten Zeit und auch von denen, die nun ihren Alltag begleiten. Sie erzählt von ihrem Kind und ihren Wünschen … an uns. Darum bitte ich euch: Nehmt euch ein paar Minuten für diesen Text; nehmt euch ein Taschentuch dazu. Und schenkt Levi und seiner Mama ein Lächeln der Wahrnehmung. <3

Nur 6 Tage mit Levi – eine Sternenkind-Mama erzählt

„Und, hat Maxi noch Geschwister?“ werde ich gefragt, wenn ich mit meinem kleinen Sohn zur Krabbelgruppe gehe. Die andere Mutter lächelt mich an und wartet auf eine Antwort.
Ich überlege, was ich antworte, denn so einfach ist es nicht.
Diese Frage nach Geschwistern, nach Kindern im Allgemeinen ist nämlich erst der Anfang einer langen Geschichte.

Einer Geschichte, die kaum jemand hören möchte.

Ich weiß nicht, was ich antworte.
Eigentlich möchte ich ehrlich sein.
Eigentlich verlangt mein Herz es so sehr.

Weil Maxi einen großen Bruder hat – er heißt Levi.

Doch Levi ist nicht hier bei uns, Levi ist tot.
Levi, mein erst geborener Sohn hat gelebt. Er war da. Er wurde (und wird!) geliebt.
Er hatte nur das große Pech, mit einem Herzfehler auf die Welt zu kommen.
TGA – Transposition der großen Arterien.

TGA ist zwar ein schwerer Herzfehler, aber lässt sich gut reparieren – wenn wir Glück haben, sind wir in 14 Tagen zuhause, sagen die Ärzt*innen.
Das glauben wir. Natürlich. Wir hoffen. Wir beten. Wir wollen einfach unser Baby halten.

Doch Levi wird operiert. Zwei Mal. Innerhalb 24 Stunden. Jeweils acht Stunden. Mit vier Tagen.
Liegt danach auf der Intensivstation.

Jetzt müssen wir warten. Warten, ob Levis kleiner Körper sich erholt.
Warten, ob sein Herz kräftig genug ist, um alleine – ohne Maschinen – zu schlagen.
Wir warten einen ganzen Tag.
Am sechsten Tag die Nachricht: Levi schafft es nicht.

Levi wird sterben.

Wir entscheiden uns, sein Leiden zu beenden und lassen die Maschinen abstellen, wir sind bei ihm, singen ihm etwas vor, streicheln, küssen ihn.
Und lassen ihn in unseren Armen sterben.

Levi ist tot.

Unser Baby ist tot.

Von diesem Moment an ist unser Leben nicht mehr das Selbe.
Es gibt seitdem ein „Davor“ und ein „Danach“.
Levis Tod hat alles in mir umgeworfen, alles lag und liegt teilweise noch in Scherben.
Ich wurde gebrochen, bin ein klein wenig mit Levi gestorben.

Was bin ich denn jetzt? Eine Mama? Eine Sternenmama? Gar nichts?

Für die Menschen war ich weiterhin ich selbst. Eine Frau, die ihr Studium beendet hat, verheiratet war und eine Hündin hat. Punkt. Levi kam in den Gedankengängen nicht vor.
Ich war eine Frau ohne Kind – eine kinderlose Frau.

Und das ist das Schlimmste, neben der Tatsache, dass ich meinen Sohn beerdigen musste:
Das Schweigen. Das Verschweigen, das „Totschweigen“ (ja das ist makaber, ich weiß) und das Kleinreden.

Wenn wir angesprochen wurden auf Levi, waren es solche Kommentare:

„Tut uns leid, beim nächsten Mal klappt es.“ „Ihr seid noch jung, ihr könnt noch mehr Kinder bekommen.“ „Die Seele war noch nicht bereit für die Welt.“

Unser Verlust, sein Tod wurde klein geredet, wurde als etwas betitelt, was es nicht war:
ein Ärgernis, ein Missgeschick.

Aber Levis Tod ist kein Ärgernis, kein Missgeschick. Es ist das Schlimmste, was mir jemals passiert ist.
Ich bin eine Mutter, die ihr Kind nicht tragen darf, es nicht berühren, küssen, umarmen darf. Ich kann es nicht trösten, nicht wickeln, nicht anziehen, nicht voller Stolz präsentieren.

Ich kann es nur lieben.

Nur sieht das keiner. Weil Levi nicht da ist. Und gleichzeitig ist er doch da.
In meinem Herzen, in meinen Gedanken, in meinem Sein.

All diese Gedanken durchströmen mich, nach der Frage, ob Maxi Geschwister hat.
Und ich antworte. Ja, hat er, einen großen Bruder.
„Ach schön.“.

Danach ist das Gespräch beendet. Weil es nur Smalltalk ist.
Weil die wirkliche Antwort nicht leicht und irgendwie nicht alltagstauglich ist.
Weil sie nicht gehört werden will.
Denn Tod und Sterben gehört nicht in die Gesellschaft, der Tod von kleinen Kindern und Babys erst recht nicht.

Doch das ist falsch. Sie gehören dazu. Sie waren da, wurden und werden geliebt.
Haben uns zu Eltern gemacht.
Auch wenn man sie nicht immer sieht.

Heute habe ich zwei Kinder. Eins an der Hand und eines im Herzen.
Ich bin Sternenmama und Mama.

Viele denken, wenn verstorbene Babys angesprochen werden, werden wir traurig. Also lassen sie es. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich liebe es, über Levi zu sprechen. Ich liebe es, wenn sein Name erwähnt wird, wenn er dazu gehört.

Weil er in diesem Augenblick gesehen wird, weil er „da“ ist und weil dann einfach seine Mama sein kann.

Ich wünsche mir so sehr, dass mehr Menschen den Mut haben, uns Sterneneltern offen anzusprechen, den Namen der Kinder auszusprechen und unseren Geschichten zuzuhören.

Mein Appell an dich lautet hier und heute: Höre zu, höre den Frauen, den Menschen zu, wenn sie von ihren Kindern erzählen. Frag nach, wenn sie nicht wissen, was sie antworten sollen, weil die Antwort womöglich nicht die ist, die du erwartest – und lass dich nicht abschrecken, wenn sie kommt. Sei bei ihnen, sprich die Namen der Kinder aus, lass sie teilhaben an diesem, deinem Leben.

Diese Zeilen schreibe ich, während Maxi schläft und ich ihn via Kamera dabei beobachte.
Und mich überrollt eine große Welle an Liebe.
Liebe für Maxi, meinen Regenbogen und für Levi, mein Sternenkind.

Denn auch, wenn alles vergeht, alles sich verändert und alles anders kommt – eins bleibt: die Liebe.

Sinja mit Maxi (Name anonymisiert) und Levi

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18 Kommentare für “Nur 6 Tage mit Levi – eine Sternenkind-Mama erzählt

  1. Liebe Sinja,
    danke, dass Du Deine Geschichte und Deinen Schmerz so offen teilst. Das hat mich gerade sehr berührt. Ich finde es sehr wichtig zu wissen, was sich betroffene Menschen von Anderen wünschen, im Umgang nach einem solchen Verlust. Ich habe eine Freundin, die Ähnliches erlebt hat. Sie spricht ganz viel über ihre Tochter und dadurch hat man das Gefühl, dass sie immer da ist und nicht vergessen wird. Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft und ganz viel Liebe.
    Grit

    1. Liebe Grit!
      Ich danke dir für deinen Worte! <3 es ist wundervoll, dass deine Freundin so offen über ihre Tochter sprechen kann! Ich tu es auch! Nur eben nicht in allen Situationen :)
      Liebe Grüße! <3

  2. Liebe Sinja
    Danke für Deine offenen Worte. Ich bin keine Mutter aber bei Deinen Worten fühle ich trotzdem sehr mit Dir. Es ist furchtbar, was passiert ist. Ich wünsche Dir, von ganzem Herzen, daß Du häufiger von Levi sprechen kannst und mehr Menschen da sind, die Dich einfach umarmen, weil ihnen die Worte für so einen schrecklichen Verlust fehlen. So hab ich es bei meiner Freundin gemacht. Liebe Grüße, Anke

  3. Sonja, du hast mit deinen Worten alles ausgesprochen, was ich fühle. Mein Fritz ist still geboren worden, weil auch er ein Herzjunge war. Die Diagnose riss mir die Füße unter dem Boden weg, und wir mussten ihn noch während der Schwangerschaft gehen lassen. Ich wünsche dir alles Liebe und ganz viele schöne Momente mit deinen Regenbogen 🌈 jungen. Wir haben auch einen. Linda 👋🏻

    1. Liebe Ryt,
      das tut mir so Leid! Fritz wäre sicher ein wundervoller großer Bruder gewesen hier auf Erden! So hat euer Regenbogen einen Schutzengel dort oben!
      Liebe Grüße! <3

  4. Liebe Sinja, Danke, dass Du Deine Gedanken mit uns teilst und uns so an Eurem Schmerz und der Trauer um Levi teilhaben lässt. Als ich schwanger war, hat eine gute Freundin in der 41. Woche ihr Kind verloren und das war so unfassbar für mich, ich war so tieftraurig mit ihr. In meiner zweiten Schwangerschaft ist der Sohn einer Kollegin ganz plötzlich gestorben. Und so bin ich mit täglich mehr als bewusst, was für ein Geschenk es ist, gesunde Kinder zu haben. Und gleichzeitig berühren mich Geschichten wie Deine immer wieder aufs Neue ganz tief. Sei fest umarmt unbekannterweise. Alles Liebe!

    1. Liebe Corinna!
      Es tut mir Leid, dass deine Freundin und deine Kollegin ihre Kinder verloren haben! Es ist einfach nicht fair.
      Und ja, das Kind bei dir zuhause ist ein absolutes Geschenk, schön dass du das so erkennen kannst <3

  5. Liebe Sinja,
    vielen Dank, dass du uns Teil haben lässt.
    Ich habe so unendliche Male die Frage „haben Sie Kinder?“ gestellt. Ohne je auch nur einen Funken negativer Zusammenhänge zu erahnen. Erst als ich selbst Mama wurde, wurde mir klar, dass nicht jede Mama wird, die es gerne würde und manche ihre Kinder gehen lassen müssen, bevor ihre kleinen Füße die Erde berühren konnten. Es tut mir unendlich leid, dass du so einen schweren Verlust mit dir tragen musst. Und ein Stück weit auch stellvertretend für die vielen anderen Frauen, die ich mit meiner naiven Frage so getriggert habe.
    Ich werde gleich meine kleinen Mäuse nochmal zudecken und sehr dankbar für dieses Geschenk einschlafen.
    Alles Liebe für dich und deine Familie ♥️🍀💐

    1. Liebe Katrin!
      ja das kenn ich! Habe ich, vor Levi, auch oft gefragt. Schön, dass es inzwischen viele Menschen gibt, die diese Frage reflektieren und überlegen, ob sie passend ist! Danke dir für deine Worte! <3

  6. Danke, dass Du Dich zeigst mit Eurem Verlust. Ich finde mich sehr in Deinen Worten wieder. Ich wünsche Euch viel Kraft für die Gleichzeitigkeit. Zeigt Euch, immer wieder. Sprecht über Levi und wie ihr all das erlebt – es gibt die Menschen, die das halten können. Sie finden sich, sie finden Euch. Alles Liebe für Euch.💛

  7. Ich bin froh und dankbar dafür, dass dieses Thema offen angesprochen wird. So bekomme ich die Möglichkeit mich besser zu verhalten. Geweint habe ich ordentlich, die Vorstellung meine Kinder zu verlieren, ist kaum zu ertragen. Vielen Dank für die offenen Worte.

  8. Hatte schon bei Ankes Vorspann Tränen in den Augen.

    Liebe Sinja,
    ich kann mir kaum vorstellen, wie schlimm es für euch sein muss, dass ihr Levi gehen lassen musstet.
    Ich wünsche dir von Herzen, dass du irgendwann nicht mehr überlegen musst ob/was du von Levi erzählst, sondern das es selbstverständlich sein darf! Und auch dass Maxi mit Stolz erzählen kann, dass er einen großen Bruder hat.