Herzensangelegenheiten

Interview zur Iran-Revolution: Meine iranische Freundin erklärt & gibt Tipps zur Unterstützung

Es ist mittlerweile schon vier Monate her, dass Jina Mahsa Amini ihr Leben verlor, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht richtig trug und damit eine Revolution begann, die ganz sicher in die Weltgeschichte eingehen wird. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich den Atem anhielt, als ich das erste Video in meinem Instagram-Feed entdeckte, das iranische Frauen zeigte, die lauthals singend ihre Kopftücher in Feuer warfen – als Symbol für eine längst überfällige Befreiung der allumfassenden Unterdrückung durch das Mullah Regime. Ich war zutiefst ergriffen … und krass froh, schon kurze Zeit später Kontakt aufnehmen zu können zu einer Freundin mit iranischen Wurzeln, die bereits aktiv daran arbeitete, die Geschehnisse in Iran in die Medien zu tragen. Denn: Ich hatte wirklich unheimlich wenig Ahnung von der Gesamtsituation, wollte aber sehr gerne irgendetwas tun, IRGENDWIE helfen, meine Stimme nutzen.

Ich weiß nicht so genau, ob es das vorher schon mal gegeben hat in – aber tatsächlich war der Kampf der Frauen und Männer in Iran für eine Befreiung der Frau ansich, zuerst ausschließlich in der Social Media Welt präsent. Erst als DORT die Aufmerksamkeit schon immens war, rückten auch die „großen“ Medien nach. Überall auf der Welt gingen die Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität zu zeigen; um den kämpfenden Frauen, Männern und Kindern in Iran zu zeigen: Wir sehen euch! Wir hören euch! Denn viel mehr konnten wir hier eigentlich von Anfang an nicht tun … was frustrierend war und ist und wahrscheinlich mitbegründet, dass es schon längst wieder abebbt, das Interesse an dieser Revolution, diesem Krieg und all den Opfern, die er fordert.

Mir ging und geht es nicht anders als vielen hier bei uns! Auch in mir war der Frust irgendwann groß UND ich hatte zusätzlich das Gefühl, die Bilder und Infos aus Iran schlicht nicht mehr ertragen zu können. Ich nahm mir die enorme Freiheit heraus, eine Pause damit einzulegen, hinzusehen und jenen eine Stimme zu geben, die kämpfen; die keine Pause einlegen können. Zugegebenermaßen ein mieses Gefühl, aber ich vermute, vielen geht es ähnlich. Daher möchte ich mich dafür jetzt gar nicht rechtfertigen – stattdessen hole ich lieber neu Luft und nutze meine Möglichkeiten, um meiner zu Anfang bereits erwähnten Freundin eine Plattform zu geben, ihr Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, die uns, die wir sie lesen, vielleicht noch einmal neu vor Augen führen, wie wichtig und wertvoll unsere Unterstützung ist – auch wenn sie sich für uns klein und unnütz anfühlt! <3

Interview zur Iran-Revolution: Meine iranische Freundin erklärt & gibt Tipps zur Unterstützung

Liebe Freundin, magst du erstmal kurz etwas zu dir erzählen, also inwieweit du involviert bist in das Thema Iran-Revolution und warum es so wichtig ist, dass du anonym bleibst?

Danke, liebe Anke für den Raum, den Du hier den Iraner:innen gibst. Ich bin zurzeit sehr aktiv. Wir haben eine Initiative – free_human__ gegründet und organisieren Mahnwachen, Demos, Solidaritätsveranstaltungen. Über unsere Insta-Seite versuchen wir aufzuklären. Über das, was seit vier Monaten in Iran passiert. Ich bin täglich mehrere Stunden mit den Geschehnissen in Iran beschäftigt. Wir überlegen uns ständig neue Aktionen, um hier – in Deutschland und im Ausland – der Schallverstärker für die Menschen in Iran zu sein, deren Stimmen durch die Internetzensur und vielleicht auch fehlendes Interesse, da der Iran außerhalb der EU liegt, nicht immer durchkommen. Ich bleibe auf unseren Veranstaltungen allerdings im Hintergrund und tauche auch sonst namentlich nicht auf, weil ich noch sehr nahe Angehörige in Iran habe und sie damit schützen möchte.

Du hast Kinder, die alt genug sind, um mitzubekommen, dass im Heimatland der Familie ihrer Mama gerade Schreckliches passiert. Wie viel erzählst du ihnen über die Situation? Und wie kommen sie damit klar?

Sie bekommen leider sehr viel mit. Das lässt sich nicht vermeiden. Ich nehme sie aber auch gleichzeitig mit auf die Demos um ihnen zu zeigen, dass wir auch etwas tun können. Ich habe dem Kleinen erzählt, dass es in Iran leider Menschen gibt, die an der Macht sind und die nicht nett zu anderen sind. Das sind die Mullahs. Und dass diese Menschen Frauen und Männer unterdrücken und nur, weil sie ihre Freiheit wollen, ins Gefängnis stecken. Meine ältere Tochter, sie ist 13 – hilft auf den Demos mit. Sie verteilt Blumen, trägt auch sonst das Women, Life, Freedom – Shirt. Sie redet mit ihren Freundinnen darüber und packt auch schon mal Stories aus dem Iran in ihre Social Media Kanäle. Um das Ganze zu verarbeiten habe ich mit meinem jüngeren Sohn Kerzen für die Todesopfer gebastelt, die wir immer wieder anzünden. Damit schaffen wir den Toten einen Platz.

Ich lese und höre immer wieder, dass es so wichtig ist, dass wir HINSEHEN und den iranischen Frauen, ihren Familien, den in Lebensgefahr schwebenden Menschen in den Gefängnissen im Iran unsere STIMME leihen. Was genau bedeutet das bzw. wie soll es helfen im Kampf gegen das Regime, wenn wir hier Videos anschauen und teilen, auf Demos gehen und Petitionen unterschreiben?

Wir haben schon in einigen Fällen gesehen, dass wenn die Namen immer wieder in den sozialen Medien auftauchen und Menschen sich stark machen, die Todesurteile aufgehoben werden. In dem Fall von Hamid Qara Hassanlou, ein Arzt der zu Tode verurteilt wurde, konnten wir sehen, wie wichtig es ist, Namen zu nennen und sich stark zu machen. Weltweit haben Menschen sich dazu geäußert. Ärzt:innen haben Videos gemacht, er hat es in die Nachrichten geschafft. Sein Todesurteil wurde nun zu einer Haftstrafe umgewandelt. Das Todesurteil von Seyyed Mohammad Hosseini hingegen, dessen Eltern beide schon verstorben sind und der keine Fürsprecher:innen hatte, ist am 7.1. vollstreckt worden. Er wurde hingerichtet. Wichtig sind auch politische Patenschaften. Das erhöht den Druck auf die Regierung, wenn Landtags- oder Bundestagsabgeordnete sich für einzelne stark machen. Je mehr Öffentlichkeit für einen Menschen in Iran, desto besser.

Folgende Frage klingt absolut pietätlos, ich weiß … aber mir ist sie doch schon recht häufig begegnet: Warum sollen wir die Situation im Iran so wichtig nehmen? Die Welt hat ja gerade sehr viele schlimme „Baustellen“, die uns HIER vielleicht sogar aktuell noch intensiver bzw. gefühlt persönlicher betreffen? Warum sollte die Iran-Revolution trotzdem viel präsenter in den Medien, der Politik und auch in unseren Herzen sein?

Die Menschen in Iran wollen einen Umsturz. Sie gehen auf die Straße und protestieren für ihre Freiheit. Allein dafür werden sie ins Gefängnis gesteckt. Junge Menschen, Kinder werden dabei erschossen. Das jüngste Kind war zwei Jahre alt. Die jungen Männer und Frauen werden ohne Rechtsbeistand zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das ist barbarisch. Wir sind im 21ten Jahrhundert doch schon viel weiter. Diese Revolution begann mit dem falschen Tragen eines Kopftuchs. Jina Mahsa Amini wurde ermordet, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen hat. Eine Frau wird von Männern ermordet, weil sie ihre Haare sehen können. Das betrifft uns alle Frauen. Darum heißt es ja auch Frauen – Leben -Freiheit – Woman-Life – Freedom. Zu den Frauen am Anfang kamen immer mehr Männer dazu. Außerdem war Jina Kurdin. Und die Kurd:innen werden seit Jahrzehnten in verschiedenen Regionen dieser Erde brutal unterdrückt. Die Kurd:innen in Iran sind mitaufgestanden. Sie haben sich hinter Jina gestellt. Sie sind die eigentlichen Herzschrittmacher dieser Revolution. Die iranischen Milizen handeln gerade in den Regionen besonders brutal. Sie sind mit Militärfahrzeugen in die Dörfer einmarschiert und machen dort alles platt. Tag für Tag. Und die Menschen stehen am nächsten Tag trotz Gefängnis, Ermordung und Hinrichtung wieder auf und stellen sich unter Lebensgefahr auf die Straßen. Es ist unserer Pflicht das zu sehen und zu unterstützen, wenn wir die Erde zu einem etwas helleren Ort machen wollen. Für uns und unsere Kinder.

Und um es noch einmal zu betonen: wir sollten hier wirklich die feministische Debatte nicht außer Acht lassen. Feminismus als Trend, wie er in den westlichen Ländern Öko- und eurozentrisch zelebriert wird, ist kein wahrer Feminismus. Als Feminist:in muss man sich für ALLE benachteiligten Frauen dieser Welt stark machen, sonst ist man nur ein* Ökonom*in oder ein Mensch, dem die europäischen Werte am Herz liegen. Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Audre Lorde sagte: I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own. – die Frage ist also nicht: Was hat die Situation des Iran mit uns zu tun? Sondern: Warum haben Menschen, die im Westen in Freiheit leben dürfen und ihre Meinung frei äußern dürfen, die für den Paragraf 218 gekämpft und die #metoo Debatte ins Leben gerufen haben, noch keinen globalen Women’s March umgesetzt? Warum müssen vordergründig POC und Menschen iranischer Herkunft die Stimme der unterdrückten Menschen und vergewaltigten Frauen im Iran sein? 

Könntest du uns vielleicht noch ein paar vertrauenswürdige Kanäle nennen, über die man immer aktuelle Informationen zur Situation im Iran beziehen kann?

www.instagram.com/duzentekkal
www.instagram.com/natalie_amiri

www.instagram/gilda_sahebi
www.instagram.com/amnestyIran
www.instagram.com/danielasepehri

www.instagram.com/bamdad_esmaili
www.instagram.com/officiallyjoko

https://www.instagram.com/damitdasklaas
(die beiden Kanäle von Joko und Klaas haben zwei iranische Aktivist:innen übernommen)

und natürlich auch unseren Kanal @free_human__

 Das sind alles Menschen und Seiten, die wahnsinnig aktiv sind und wirklich gute Arbeit leisten. Übrigens Isabel Abedi, Autorin der Lola-Bücher ist auch sehr aktiv, was die Geschehnisse in Iran angeht! Und last but not least: Über #iranrevolution22 und #mahsaamini findet ihr auf Twitter viele Infos

Und falls es Leser*innen gibt, die gerne noch mehr machen würden als nur auf dem neusten Stand der Dinge zu bleiben … was können die dann tun?

Hier sind einige Dinge, die jede und jeder von euch tun kann:

  1. Folgt Menschen und Institutionen, die von den Geschehnissen in Iran berichten und teilt deren Beiträge, um die Reichweite zu erhöhen. Die Namen habe ich euch schon genannt.
  2. Bleibt aktiv Geht auf Demos, Aktionen, Mahnwachen!
    Schreibt den Abgeordneten aus eurem Wahlkreis und fordert sie auf, sich öffentlichkeitswirksam für die Menschen in Iran einzusetzen.
    Hier findet ihr die Abgeordneten aus eurem Wahlkreis www.bundestag.de/abgeordnete
  3. Unterzeichnet Petitionen bezüglich Iran.
  4. Installiert das Tor-Proxy”Snowflake”.

Damit helft ihr Menschen in Iran dabei, die Internetsperre zu umgehen. Wie das geht, findet ihr auf unserem INSTA-Kanal @free_human__

PS: Wie immer, aber diesmal nochmal ganz besonders, freue ich mich, wenn ihr den Artikel teilt! <3

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