Rabenmutter 2.0

Ist doch (Gender-)egal

Meine dreieinhalbjährige Tochter will, dass ich ihr eine Autowerkstatt ins Wohnzimmer baue – mit Hebebühne und „Loch im Boden“, damit man da auch richtig arbeiten kann. Auf unserem Balkon lagert sie so viele Stöcke und Steine, dass ich (wenn ich noch ein paar angelutschte Hirsekringel des kleinen Bruders als Zement-Ersatz dazu nehmen würde) geradezu augenblicklich ein Natursteinhaus mit Holzdach aus dem Boden stampfen könnte. Von der Schnullerfee wünschte sie sich ein Flugzeug, vom Nikolaus ein Feuerwehrauto und wenn sie mit ihren Freundinnen und Freunden draußen unterwegs ist, werden mit Ästen blutige Schwertkämpfe nachgestellt und Bäume verdroschen (das hab ich ja nicht so gern) – wobei die Mädels den Jungs dann WIRKLICH in Sachen Aggression und Schlagkraft in nichts nachstehen. Sie ist selbstbewusster als mir manchmal lieb ist (ICH hab hier das sagen … Manno!), den Großteil des Tages ungefähr so laut wie ein Presslufthammer und so frech, dass ich manchmal überlege, sie zum „Abkühlen“ einfach mit einem Seil unter die Zimmerdecke zu surren. DAS alles erlebe natürlich nicht nur ich mit ihr, sondern auch die anderen Mütter, mit denen wir zusammentreffen – zum Beispiel auf dem Spielplatz. Und jene, deren kleiner Fratz ein Junge ist, verkünden mir dann schrecklich gern: „Warte mal ab, bis dein SOHN etwas größer ist. Du wirst sehen: Jungs sind eine ganz andere Nummer als Mädchen. Nicht so zart … sondern wild, laut und vor allem wollen die halt NUR mit Jungssachen und nicht mit Puppen spielen.“ Dann schaue ich mir meine beiden Monster an: das mal wieder rumwütende MÄDCHEN, das kurz davor ist, einen 6jährigen, fremden Jungen mit einer Schaufel anzugreifen, weil der SEINEN Fußball nicht an sie abgegeben will (wir arbeiten an diesem Höflichkeits-Ding ;) ) und den kleinen JUNGEN, der seelenruhig auf unserer Decke sitzt und verträumt ein rosa Förmchen der großen Schwester ablutscht und denke: „Öhm, WHAT?“

Am besten an diesen Kommentaren gefällt mir natürlich, dass sie AUSSCHLIEßLICH von Müttern kommen, die selbst NULL Töchter haben … die also eigentlich absolut NULL Erfahrungswerte mit Mädchen-Nachwuchs (von sich selbst als Kind vor 30 Jahren mal abgesehen) besitzen und damit doch im Grunde gar keinen echten Vergleich ziehen können. Dennoch scheren sie alle Mädels über einen Kamm und dichten meiner Tochter den pinken Tüllrock und das glitzernde Diadem als einzige Kleidungsstücke inklusive prinzessinnenhaften Verhalten an, obwohl sie gerade dabei zusehen, wie sie halbnackt einen Köpper in eine Schlammpfütze macht, während ihr ach so wilder SOHN am Rand sitzt und sich lieber die Hände nicht dreckig macht. Woher kommt da wohl diese WEISHEIT in Sachen geschlechtsspezifischen Verhaltens?

Ich möchte es ja gar nicht leugnen: Natürlich besitzt mein kleines Mädchen einen pinken Tüllrock und ein glitzerndes Diadem. Genauso wie drei Puppen, ein bisschen „Schmuck“ und eine aktuell ausgeprägte Affinität zu laaaaaangen Haaren wie Rapunzel (nicht allerdings zu Bürsten, was durchaus ein Problem darstellt :D ) . ABER eben nicht nur! Und ja: Sie lIEBT Glitzer auf ihren Shirts, Schmetterlinge und die Farben rosa und lila. ABER sie wälzt sich in diesen ach so zauberhaften Outfits im Dreck, als wäre sie das personifizierte Über-Ferkel! Wenn ich meine Tochter von der Kita abhole, frage ich mich oft, ob sie dort wirklich nur spielt … oder möglicherweise unterirdisch nach Diamanten gräbt. Der Dreck-Spatzen-Look lässt eher auf letzteres schließen. Wenn das Krümelchen seine Schwester allen Ernstes irgendwann toppen will, um den Vorhersagen all dieser nur-Jungs-Mütter gerecht zu werden, dann wird sich der arme Kerl sehr anstrengen und mit Testosteron nur so um sich werfen müssen. Allerdings befürchte ich, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Ich gehe nämlich schwer davon aus, dass mein Sohn das Tütü seiner Schwester auftragen und ihre Puppen im Puppenwagen herumschieben wird. Weil die Sachen da sind, weil seine HELDIN es so macht und weil es ihm noch für sehr lange Zeit ziemlich Schnuppe sein wird, dass er ein MÄNNLICHES Exemplar der menschlichen Gattung ist. Und ich finde das Super-Mega-Spitzenklasse! Ich werde – genau wie bisher – meine Kinder entscheiden lassen, womit sie spielen und welche Farben sie tragen wollen (ok, beim Karlchen stelle noch ich den Farbkader zusammen, aber der ist ja auch erst 10 Monate :D ).

Allerdings heißt das nicht, dass ich mich dieser hippen Gender-neutral-Bewegung angeschlossen habe, in der Namen, Frisuren und Kleidung verpönt sind, die einen Bezug zum Geschlecht des Kindes herstellen könnten. DAS finde ich genauso unsinnig und übertrieben, wie Jungs zu verbieten, eine gebastelte Kette der Freundin, Elsa und Anna-Haarschmuck oder Nagellack zu tragen und Mädchen einzureden, dass sie kein ferngesteuertes Auto haben wollen! Ich halte das einfach ALLES für Quatsch. Können wir unsere Kinder nicht einfach nur Kinder sein lassen? Müssen wir es als „typisch Mädchen“ deklarieren, wenn ein KIND mit 4 Ballett machen will? Es ist doch mehr als möglich, dass es schon mit 4,5 lieber Fußball spielt … oder (Gottbewahre) ein Elternnerven-zerfleischendes Instrument erlernen möchte? Und genauso in Ruhe und unkommentiert sollten wir es lassen, wenn Jungs nur blau tragen WOLLEN und neben ihren Baggern und Rennwagen keine anderen Spielzeuge in ihren Kinderzimmern dulden. Ist eben TYP-Sache, wer mit was spielt und nicht in die Gene eingraviert (zumindest habe ich noch keinen Forschungsbericht dazu gelesen, der da eine Verbindung herstellt). Mag ja sein, dass einige Jungs wilder sind als einige Mädchen und das einige Mädchen NUR Tüll tragen, Perlen aufziehen und ihre Puppe stillen. Na und? Sollen sie doch! Grundsätzlich sind die meisten Kinder doch wirklich bloß kleine Menschen, die ALLES wertungsfrei ausprobieren wollen, um so eines Tages ihr ganz persönliches ICH zu finden. Und währenddessen gilt: Hier und da ein bisschen Glitzer schadet niemandem … außer uns Müttern, denn wir wissen: GLITTER bleibt für immer!!! ;) :D

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12 Kommentare für “Ist doch (Gender-)egal

  1. Meine Tochter war bis zu ihrem elften Lebensjahr ein halber Junge. Das hat sich irgendwann von selbst gegeben. Sie ist heute noch immer sehr sportlich und hat noch irgend etwas von einem Jungen. Na und? Ich habe beides. Einen jungen und ein Mädchen. Und beide haben sich nicht immer so benommen wie ist das Klischee vorschreibt. Na und? Hauptsache sie fühlen sich wohl in ihrer Haut.

  2. Ja, genau so ein Mädel haben wir auch… Sie ist bis jetzt an der kompletten Bandbreite interessiert: Prinzessinnen, Puppen, Feuerwehr, Polizei, Dinosaurier und Drachen… Ich finde es toll und hoffe das bleibt so. Ist doch klasse, wenn Kinder ganz viel mögen und entdecken wollen und nicht nur die geschlechtsspezifischen Sachen. Da wir zwei Mädels haben kann ich in Sachen Jungs nicht wirklich mitreden. Aber ich kenne aus unserem Bekanntenkreis auch Jungs, die viel an Mädchensachen interessiert sind. Am besten man bleibt als Eltern locker und freut sich einfach über die vielseitig interessierten Kinder.

    Hach ja, mal wieder ein gigantisch guter Artikel…

    Ganz liebe Grüße
    Christine

  3. Ich bin gerade vor 3 Monaten mit einem kleinen Sohn gesegnet worden und habe mich in den letzten Tagen einmal durch deinen kompletten Blog gelesen (wenn ich neben dem ganzen Bespaßen, Trösten, Herumtragen und Müde sein dazu kam). Vielen Dank für die tollen Beiträge! Übermorgen geht es zum ersten Mal zum Eltern-Kind-Treff, ich bin gespannt ? Mal sehen, wie meine Erfahrungen der nächsten Monate aussehen werden. Auf jeden Fall werde ich weiterhin deinen Blog lesen. Mach weiter so ?

  4. Bei uns ist es so das ich denke das unsere Tochter eigentlich eine Junge hätte werden sollen und unser Sohn das Mädel. Er (im Oktober wird er 8) ist der ruhigere Part von beiden. Nicht der “typische” Fußball spielende Junge mit dem Hang sich ständig zu raufen. Zuhause verkleidet er sich zusammen mit seiner Schwester gerne als Prinzessin und ja er spielt auch gerne mit Barbie und Monster High Puppen. Er malt gerne in Malbüchern wo Feen und Elfen vorkommen und besonders gerne malt er in den Top Model Malbüchern und er spielt halt lieber mit Mädchen (und von denen kennt er nicht gerade wenige ;-)) als mit Jungs. Was soll´s er ist wie er ist.

  5. Seh ich auch so. Wie verklickere ich jetzt noch dem Opa, dass Mädchen, jaaa Mädchen, genauso pfeifen dürfen wie Jungs! (Mädchen die pfeifen und Hühner die krähen…)

    1. Mädchen dürfen nicht Pfeifen wie Jungs? Oh je, dass war mir nicht bewusst :D . Ich befürchte, unsere Omas und Opas werden wir weiterhin so nehmen müssen, wie sie sind ;)

  6. Ich hab auch so ein Mädchen. Ja, sie ist ein Mädchen. Sie ist gerne schick, mit Kleid und gebürstetem Haar, sie besitzt ein Geschwader Puppen, dass sie mit Hingabe betreut. Und trotzdem liebt sie Werkzeug, Sand, Bagger und Autos. Und Dreck. Der zieht sie magisch an.
    Wer legt denn fest, was typisch Junge und typisch Mädchen ist und damit absolut anti-gender? Mir ist das schnurzegal, solange mein Kind happy ist.