Ahrweiler
Leser:innen-Geschichten

Leserin-Geschichte: Ahrweiler lebt!

Triggerwarnung! Hier berichtet eine Helferin vom THW auf sehr persönliche Art von ihren Hilfs-Einsätzen in Ahrweiler, direkt nach der Unwetter-Katastrophe in diesem Sommer 2021.

Ahrweiler ruft im Hilfe!

“Dreckige Autos, überall Staub, ein Geruch der im Kopf bleibt. Jeden Tag fahren wir an an der zerstörten Unterkunft des dort ansässigen Ortsverbandes vom Technischen Hilfswerk vorbei. Das Gebäude, quasi ein Mahnmahl. Als will es uns daran erinnern, dass auch wir nicht unzerstörbar sind. Wir, die kommen um zu helfen. Der letzte Wall, und nach uns? Da gibt es nicht mehr viel. Irgendwann kommen die privaten Bauunternehmer, aber dazwischen? Nichts!

Nachts um kurz nach zwo ging der Alarm los, Unterstützung nach Starkregen, Richtung Koblenz. Mehr Infos gab es nicht. Also auf zur Unterkunft, umziehen, das wichtigste einpacken. Schlafsack? Verdammt, daheim vergessen. Aber Wechselwäsche ist dabei!

Mitten in der Nacht ist die Stimmung noch etwas anders, man versucht zu schlafen, zu ruhen, Kraft zu tanken. Wer weiß schon, wie anstrengend oder wie lang es werden wird.

Und egal, was ich mir ausgemalt hatte. Das, was ich sah war es nicht!

Schon auf der Anfahrt sahen wir die ersten Auswirkungen. Irgendwo an der Autobahn schäumt ein kleiner Bach – der da nicht hingehört. Der Boden wirkt nasser… und dann fährt man über eine Autobahnbrücke und sieht den Rhein… «Die Bäume stehen normal nicht im Wasser, oder?», die dazu gehörige Insel sieht man nicht mehr. Die Bäume stehen im Wasser, so sieht es zumindest für uns aus. Die Fahrt geht weiter, so langsam realisiere ich, dass wird kein normaler Starkregen Einsatz. Es wird anstrengend, lang, belastend… wir kommen zur letzten Autobahnbrücke vor der Abfahrt. Ein Blick raus und man hört nur die ungläubigen Atemzüge der Mannschaft. Alles braun, vereinzelt sieht man noch das Häuserdach, manchmal noch mit dem oberen Stockwerk, an anderen Stellen kann man erahnen, dass dort mal ein Haus stand. Vielleicht sieht man noch den Schornstein… Sprachlosigkeit macht sich breit und ich wappne mich für das was kommen wird. Und nein, man kann sich nicht für das wappnen, was kam. Es geht einfach nicht!

Wir fahren zum Bereitstellungsraum auf Haribo. Es gibt Frühstück, bestehend aus einer Mettwurst und Kaffee. Aber ich bin nicht wählerisch. Der große Hunger ist eh schon vergangen. Die Vorabinfo mit Vermisstensuche erdet. Und das ziemlich schnell. Jeder weiß, was es heißt, jetzt Vermisste zu suchen. Wir sind dafür ausgebildet. Wir kennen die Symptome der Belastungsstörung. Wir kennen die Nummern, um Hilfe zu bekommen. Die lila Westen der Einsatznachsorge Teams laufen bereits um kurz nach sechs Uhr früh schon dort oben rum und betreuen die Betroffenen.

Wir rücken ab, Richtung Einsatzgebiet… Auf dem Auto sage ich noch einmal explizit, dass wir aufeinander achten müssen. Ich möchte keinen PSNV Notfall am Ende mit nach Hause nehmen. Nein, Führungskraft bin ich keine, aber dennoch sage ich es. Die Führungskraft dankt, sie hat aktuell andere Sachen im Kopf. Je weiter wir in unser Einsatzgebiet fahren, umso mehr realisiere ich, was da auf mich zukommt. Realisiere, ich kann nicht allen helfen. Auf diese Machtlosigkeit kann einen nicht einmal die beste Ausbildung vorbereiten. Und doch sind wir da und helfen. Anwohner, die nach ihrer Mülltonne suchen. Anwohner, die uns beschimpfen, weil wir im Nachbarhaus pumpen. Kleine Kinder, die keinen Ankerpunkt mehr haben und das Kuscheltier, welches man ihnen gibt, nicht mehr aus der Hand geben. Eltern, die zu Tränen gerührt sind, weil man nach vielen Stunden Einsatz immer noch an die Kleinsten denkt. Gerüchte, die hochkommen und die Situation noch brenzliger machen… Und dann gibt es sie, die kleinen Helden der Betroffenen. Sie kommen, fragen, ob sie uns etwas Gutes tun könnten und kommen einige Zeit später mit Töpfen voll Nudeln vorbei. Retten uns den Tag mit einem einfachen Essen! Aber es ist ESSEN! Anwohner sagen Danke, dass wir da sind, für Gewissheit schaffen. Weil nichts ist schlimmer, als Ungewissheit. Und die gibt es dort zu Hauf.

Später, nach über 12 Stunden im Einsatz, fahren wir nach Hause. Wir sind fertig, müde, voll mit Eindrücken, die verarbeitet werden müssen. Und während wir nach Hause fahren, sehen wir die Kolonnen an Einsatzfahrzeugen entgegenkommen. Wie am Schnürchen sieht man schon aus weiter Ferne das blaue Blinkelicht der Kamerad:innen, die sich jetzt in den Kampf stürzen. Kamerad:innen, die in Zelten schlafen, wenig Schlaf bekommen, bis an ihre Grenzen gehen und manch eine:r noch darüber hinaus. Die Hand unserer Kraftfahrerin bleibt fast dauerhaft aus dem Fenster gestreckt, zum Gruß! Jede:r Fahrer:in der entgegenkommenden Einsatzfahrzeuge freut sich. Und so juckeln wir mit 30 den Berg hoch und mit 80 den Berg runter, zurück Richtung Heimat. Freuen uns auf das Bett, die Dusche, die Familie… den eigenen Ankerpunkt, was auch immer er sein mag.

Der Tag danach… ich war im Büro, noch immer voll mit den Eindrücken vom Vortag. Aber alleine daheim bleiben wollte ich auch nicht. Die Anwesenheit war mehr physisch, als psychisch. Kollegen schauten mich erstaunt an, dass ich da sei. Und dann schreibt eine ehemalige Klassenkameradin, dass sie nun zwei bestätigte aus ihrem Freundeskreis hätte und noch einer vermisst wird. Danach war alles egal. Die Arbeit? &$!#% drauf! In dem Moment war nichts mehr wichtig. Außer, dass wir leben. Aber erkläre das mal jemandem, der gerade alles verloren hat… Erkläre das mal einem kleinen Kind, das es nicht verstehen kann…

Am Sonntag machte eine kleine Gruppe das Material wieder Einsatz klar. Es kann ja jeder Zeit weiter gehen. Montags habe ich meinen Einsatzrucksack in der Unterkunft deponiert… es ist nur eine Frage des Wanns…

Keine Woche später gab es ein Nachgespräch mit dem Einsatznachsorge Team. Es war wichtig, für viele Kamerad:innen, die mit im Einsatz waren. Es hilft, ja wirklich. Es löst nicht alles Probleme. Aber es hilft beim Verarbeiten. Und nach dem Gespräch? Da kam der nächste Einsatzauftrag für uns. Immer weiter…

Wir beluden bis spät in die Nacht unsere Fahrzeuge. Wer konnte, ging noch mal nach Hause und schlief im eigenen Bett. Und ich? Ich habe mich mit einem Kameraden in der Unterkunft aufs Feldbett gelegt. Heimfahren war einfach überflüssig…

Morgens um sieben ging es los. Richtung Nürburgring in den Bereitstellungsraum. Wie immer ein großes Hallo, man sieht immer irgendwen, den man kennt. Je mehr man mit anderen Kamerad:innen Kontakt hat, umso größer wird das Hallo im Einsatz. Wer schon mal draußen war, versuchte die anderen Kamerad:innen auf das vorzubereiten, was kommen wird. Aber wie macht man das? Auf die Machtlosigkeit kann man einfach nicht vorbereiten.

Warten im Bereitstellungsraum, auch etwas, dass man lernen und können muss. Natürlich will man raus, helfen. Aber einfach so dahin fahren ist keine gute Option. Also wartet man auf den Einsatzauftrag… irgendwann war es dann so weit. Es ging Richtung Einsatzort von der vorherigen Woche. Im dortigen Bereitstellungsraum angekommen hieß es wieder warten. Und während wir dort warteten, ging bei mir die Gedankenspirale los. Kann ich das? Will ich das? Schaff ich das? Meiner Führungskraft vom vorherigen Einsatz ging es ähnlich. Er zog für sich und auch mich die Reißleine. Wir blieben den ersten Tag im Camp und haben uns darum gekümmert.

Für den nächsten Tag hatte ich schon eine Anfrage von Kameraden aus einem anderen Ortsverband, ob ich dort nicht im Bereich Führung unterstützen kann. Wäre diese Anfrage nicht gewesen, wäre ich mit meinem Zug rausgefahren. Rein in die zerstörte Stadt. So aber hörte ich nur den Funk mit und schrieb Zettel, schob Zettel durch die Gegend und hatte Spaß mit Excel Listen. Schäden aufnehmen, begutachten lassen von Fachpersonal und dann klassifizieren. Arbeit abnehmen, egal wo.

Ich bekam mit, wie Kamerad:innen viele Tonnen biologisches Gefahrgut (anders kann man es nicht bezeichnen) weg schafften, wie Plünderungen gemeldet, Gefahrstoffzüge, Einsatzstellensicherungs-Trupps und Bergungsgruppen angefordert wurden. Die Führung vor Ort gab ihr bestes, versuchte Gruppen von A nach B zu schieben und doch war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Einmal ging es auf die andere Seite der Ahr. Über die einzige, noch befahrbare Brücke… Die Zerstörung… man kann sie nicht beschreiben. Es geht einfach nicht! Das glaubt einem niemand. Freunde von mir, nur wenige Kilometer entfernt in Bonn, wollen helfen. Ich riet ihnen davon ab. Es war Regen angekündigt, keiner von uns wusste, wie die Stadt auf das Wasser reagieren würde. Fließt es ab? Laufen die Keller wieder voll? Wird es noch mal so schlimm wie vor einer Woche?

Zum Glück ist durch den weiteren Regen nichts Schlimmeres passiert. Und doch verschlimmert sich die Lage mit jedem Tag etwas mehr. Die Gefahren, seien sie biologisch oder chemisch… der ganze Schlamm hoch kontaminiert… kein fließend Wasser… der Wehrtechnische Dienst der Bundeswehr (Hauseigene Feuerwehr) fährt Brauchwasser aus…

Es klingt hart, aber es gibt Dörfer an der Ahr… na ja… gab trifft es vielleicht eher… da ist noch mehr kaputt…

Die Logistik läuft mittlerweile einigermaßen. Wir werden verpflegt, bekommen drei Mahlzeiten am Tag, spät abends gibt es noch Snacks… Material wird Instand gesetzt, wir haben die Möglichkeit Wäsche zu waschen, sowohl privat als auch dienstlich. Die Kleiderkammer ist geöffnet und man kann ich Ersatzuniformen abholen. Wir schlafen in Zelten und sind im Biwak… Sehen unsere Familien wenig bis gar nicht und stehen ständig unter Strom…

Und wie gehen Retter mit solchen Situationen um? Wir scherzen, erzählen manche Situation vielleicht überspitzt, ziehen mit unter Situationen ins lächerliche. Aber nicht, weil dem so ist. Sondern, weil wir sonst daran zerbrechen würden. Es kamen Anwohner zum Duschen in den Bereitstellungsraum, die der ganzen Situation mit Galgenhumor begegnen. Genau das tun wir auch. Und ansonsten? Wir reden darüber, unter einander, mit anderen Einsatzkräften, die nicht im Einsatz waren. Mit der Familie, Freunde… dem Einsatznachsorge Team… alles was hilft. Schreiben die Erlebnisse nieder… Aber eins ist quasi verboten: übermäßiger Alkoholkonsum… und doch wird die Aufarbeitung der ganzen Geschehnisse noch Wochen, Monate und für manch eine:n Jahre dauern.

Wir arbeiten Hand in Hand mit allen Einsatzorganisationen zivil, militärisch, privat… Privat Personen, die ihren Urlaub im Katastrophengebiet verbringen um zu helfen.

Ahrweiler lebt!

Und dann kursierte das Bild eines Einsatzfahrzeuges, völlig verstaubt, mit “Ahrweiler lebt!” auf dem Heck durch Social Media… Kamerad:innen, die alles verloren haben und doch weiter machen! Die Unterkunft, die von anderen Ortsverbänden aus- und aufgeräumt wurde, damit die Leute vor Ort es nicht machen müssen. Das wissen, es die eigenen Leute getroffen hat. Man kennt sich nicht. Aber man ist doch eine große Familie.

Ich bin wieder zu Hause, aktuell. Der Rucksack steht noch gepackt in der Unterkunft. Aufgefüllt mit frischer Wäsche, die Uniform ist gewaschen und alles liegt bereit. Jetzt heißt es warten, warten auf den neuen Marschbefehl und während dessen wird mein Wohnhaus saniert. Krasser kann der Unterschied wohl wirklich nicht sein…

Und während ich hier warte, weiß ich von Kamerad:innen vor Ort, dass noch viele Hände gebraucht werden… Ich sitze und warte… versuche das Gesehene, Erlebte, Gefühlte zu verarbeiten. Versuche auf dem Laufenden zu bleiben, Kontakte zu halten… Einsätze zu verbinden. Und vielleicht gibt es am Ende doch die ein oder andere Anekdote für eine Party…”

#immerda

PS: Das Bild gehört zu den wenigen, die ich Vorort gemacht habe; ein THWler würde niemals Fotos machen während eines Einsatzes.

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