Rabenmutter 2.0

Raus mit der Wahrheit!

So, ich oute mich jetzt einfach mal … wir sind hier ja unter uns: Hallo, ich bin Anke, 40 Jahre alt (*ürgs*), Mutter von zwei Kindern und süchtig nach Geburtsgeschichten ;) . Ich lese zu diesem Thema so ziemlich alles, was mir unter die Augen kommt … und das ist bei meiner engen „Beziehung“ zu Facebook nicht gerade wenig. Außerdem LIEBE ich diese aktuell so gern und oft gezeigten Fotostrecken aus Kreißsälen, Geburtshäusern und Planschbecken mitten in privaten Wohnzimmern. Selbst vor Dokumentar-Videos schrecke ich nicht zurück und verspüre beim Ansehen weder Ekel noch Angst, sondern eigentlich immer nur Bewunderung für die werdende Mutter. Dabei macht es keinen Unterschied für mich, ob das Baby auf normalem Wege oder per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickt. Es ist immer ein Wunder! Und auch wenn Frauen von Situationen unter der Geburt berichten, die dramatisch … ja, womöglich gefährlich für alle Beteiligten oder im schlimmsten Fall ohne Happy End waren, schenke ich ihnen meine Aufmerksamkeit. Denn wer seine Geburtsgeschichte laut in den sozialen Medien erzählt, der MUSS sie loswerden, um sein Glück zu teilen oder sein Leid zu verarbeiten … je nach dem eben. Ich finde das nicht befremdlich, übertrieben oder unnötig. Ich finde das in Ordnung. Mehr sogar. Ich finde es richtig! Schließlich gibt es doch bereits genug Themen, die zwar eigentlich untrennbar mit unserem Mutti-Dasein verbunden sind, aber aufgrund von mangelnder Leichtigkeit, viel zu oft unter den Teppich gekehrt werden. Die Vielfältigkeit der Geburt, mit all ihren Glücks- und Angstmomenten, sollte meines Erachtens nicht dazu gehören. SO sehe ich das. Andere sind da natürlich anderer Meinung ;) .

Letztens stolperte ich bei einem meiner viel zu umfangreichen (ich sollte stattdessen echt lieber schlafen, wenn ich die Gelegenheit habe – aber ICH KANNS EINFACH NICHT LASSEN! ) Streifzügen durch die endlosen Weiten der Internet-Prärie mal wieder über einen Artikel, dessen Headline mir schon bitter aufstieß. Es wurde darum gebeten, dass Mütter doch bitte ihre Horrorgeschichten aus dem Kreißsaal für sich behalten sollten. „Super Idee“, dachte ich sofort, „was wir unbedingt brauchen, sind noch MEHR Tabu-Themen, über die wir Mamis in der Öffentlichkeit nicht sprechen dürfen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen.“ Ich scrollte weiter, ohne den Text anzuklicken, denn so handhabe ich es normalerweise, wenn mich schon die Überschrift abschreckt: Ich lese den Artikel nicht. Es zwingt mich ja keiner dazu. Ich kann frei entscheiden, welchen Content ich mir zu Gemüte führe und welchen nicht. Weil ich erwachsen bin … und mündig.

Doch diese spezielle Headline ließ mich irgendwie nicht los. Also kehrte ich doch noch einmal zurück, um den dazugehörigen Artikel zu lesen. Wie eigentlich schon erwartet, ging es zum einen darum, werdende Mütter (vor allem jene, die mit ihrem ersten Kind schwanger sind) nicht zu verängstigen. Zum anderen um die nervige „Mama-Macke“ sich ständig miteinander zu messen … sogar in Sachen Geburts-Traumata. Tja, und im Grunde musste ich dann doch – etwas wiederstrebend zwar – beide Begründungen für die in der Headline geäußerte Bitte, mit Horrorgeschichten nicht so hausieren zu gehen, abnicken. Das wir Mütter uns an einem Stück in einen Wettstreit begeben, ist echt ätzend. Erst recht, wenn es darum geht, wer denn nun die schlimmere Geburt erlebt hat. Da muss man sich wirklich an die Birne packen und fragen: Geht’s noch? DAS sollte doch wirklich kein Anlass für den Sprint aufs „ANTI-Sieger-Treppchen“ sein.
Und auch der Gedanke, dass Erstgebärende sich nur um so mehr vor der Niederkunft fürchten, wenn sie zuvor viele realistische bis aufwühlende Berichte gehört oder gelesen haben, ist absolut nachvollziehbar. Wobei es meiner Meinung nach natürlich schon mal sehr individuell ist, WAS Ängste auslöst und was einfach nur die unangenehme Erkenntnis zulässt, dass ein Baby eben nicht auf einem Regenbogen aus dem Körper der Mutter gerutscht kommt, sondern tatsächlich unter – sagen wir es, wie es nun mal ist – starken Schmerzen geboren werden muss.

Mich selbst verunsicherte damals – in meiner ersten Schwangerschaft – deutlich mehr meine völlige Ahnungslosigkeit, als authentische und emotionale Erzählungen. Deshalb entwickelte sich zu diesem Zeitpunkt mein Faible für Geburtsgeschichten. Ich sah mir sogar Youtube-Videos aus aller Welt an, weil ich so dringend wissen wollte, was da auf mich zukommen würde, wie andere mit den Schmerzen umgingen und wie normal es war, auszurasten und ggf. den Schuldigen (den Vater) ordentlich zu vertrimmen ;) . Ich WOLLTE so gut wie möglich vorbereitet sein. ICH traf die Entscheidung, mir Geburten im Internet anzusehen. Sogar mit Ton :D . Ich las sogar Berichte über Komplikationen … bis zu dem Punkt, an dem ich mich davon belastet fühlte. Dann machte ich den Artikel zu und las lieber noch etwas positives zum „Nachtisch“, um meine Gefühle wieder zurechtzurücken. ICH traf all diese Entscheidungen – ganz allein und nur für mich. Und diese Fähigkeit spreche ich eigentlich allen Schwangeren zu.

Garantiert gibt es viele, SEHR viele Frauen, die lieber völlig frei und unbelastet von Erfahrungswerten anderer ihre erste Runde im Kreißsaal drehen wollen. Ich verstehe das total gut … sogar OBWOHL ich einen anderen Weg gegangen bin und mich eher ärgere, dass ich es vor der zweiten Geburt nicht noch einmal genauso gehandhabt habe, um meine Erinnerungen aufzufrischen und ein Gegengewicht zu all den beschönigenden Geschichten zum Thema 2. Geburt zu haben (gibt’s nämlich auch!), denn dann wäre ich nicht so eiskalt erwischt worden. Aber das ist es eben: Eine individuelle ENTSCHEIDUNG, die jeder für sich treffen muss. Und es ist doch toll, dass wir diese Möglichkeit hier haben! Niemand verbietet uns (offiziell), unsere ganz persönliche WAHRHEIT zu erzählen oder die von anderen zu lesen. Ja, diese Geburts-WAHRHEITEN fallen ganz unterschiedlich aus und wirken entsprechend individuell auf Zuhörer oder Leser. Aber so ist es eben: Es gibt Frauen, die richten sich nach einer Geburt auf, blicken ihrem Partner tief in die Augen und sagen so etwas wie: „Ach Schatzi, kurz bevor das Köpfchen durchtrat, hat es doch ganz schön dolle gezwickt da unten!“ Und dann gibt es Frauen wie mich, die ihr erstes Kind mit den Worten: „Hallo Einzelkind!“ begrüßen und ihrem Mann nach der dann doch wieder erwarten noch stattgefundenen zweiten Geburt wutentbrannt ins Gesicht brüllen: „Das mache ich nie wieder, du Arsch! Das war ein Höllenritt!“ (MEINER Art von Wahrheit mangelt es in Erzählungen leider oft an Tapferkeit und positiven Gefühlen ;) )

Ich denke, alle diese Versionen der „Erlebnis-Verarbeitung“ sind legitim und sollten erzählt werden dürfen. Auch in der Öffentlichkeit, in Kursen oder sozialen Netzwerken. Denn niemand wird gezwungen, zu lesen oder zuhören. Jeder von uns kann über Texte hinwegscrollen oder bei persönlichen Treffen sagen: „Du, ich hab eh schon ziemlich Respekt vor der Geburt. Erzähl mir von deiner doch lieber erst, wenn ich es auch hinter mir habe.“
Gleichzeitig finde ich jedoch, wir bereits gestandenen Mamis könnten den bald in unseren „Club“ eintretenden, aber aktuell noch werdenden Müttern, ein bisschen entgegenkommen und mit etwas mehr Feinfühligkeit glänzen. Ganz besonders natürlich in Gesprächen von Angesicht zu Angesicht, aber auch im Netz. Es ist ja im Prinzip sehr einfach, in unseren Postings bzw. Einleitungen zu sehr „ehrlichen“ Beiträgen deutlich zu kommunizieren, dass der nachfolgende Bericht oder Kommentar auf rosa Plüsch verzichtet und eventuell nichts für (noch) schwache Nerven ist. Das wäre doch ein brauchbarer Kompromiss … oder?

Ich weiß, wenn man schwanger ist (bei mir ja noch gar nicht lange her), fühlt es sich manchmal so an, als käme ein Besuch bei Facebook einem Spießrutenlauf gleich, bei dem es kaum möglich ist, alles, was man NICHT lesen will, zu ignorieren. Aber, liebe Zukunfts-Mamis, wartet es ab: Wenn ihr euer Baby nach getaner „Arbeit“ im Arm haltet, werdet ihr vermutlich genau DIESE Geschichten plötzlich doch noch lesen wollen und froh darüber sein, dass sie da sind und auf euch warten, damit ihr euch nicht allein mit EURER Geschichte fühlt ;) . Natürlich ist es ebenso möglich, dass ihr dann immernoch keinen Bock auf Erfahrungsberichte anderer habt. Aber das ist ja das Tolle: Es ist und bleibt eure ENTSCHEIDUNG! :-*

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4 Kommentare für “Raus mit der Wahrheit!

  1. Fluch und Segen der digitalisierten Welt. Ich war froh, lesen zu können, wie es anderen geht, ich habe mich weniger alleine gefühlt. Aber ansonsten gibt es an jedem Gerät ja immer noch diesen einen tollen Knopf, den man jederzeit drücken kann und das auch mal öfter tun sollte: den Aus-Knopf.

  2. Hier auch!
    Ich steh auf lustig verfasste, humorvolle Geburtsberichte, untermalt mit Orginal-Zitaten und so ein bisschen Tränchen-verdrücken am Ende. Absolut gar nicht kann ich ab, wenn mir andere ihre 75-Stunden-Wehen-Dammriss-Saugglocken-Notkaiserschnitt-Geburt mit Milchstaus und Schreibabys ausmalen und dabei nur “NICHT WAHR,ICH BIN DOCH FURCHTBAR ZU BEMITLEIDEN?” auf der Stirn stehen haben. So nach dem Motto “Schlimmer gehts immer und bei mir wars am schlimmsten”. Sorry, brauch ich nicht^^