Geburtsbericht
Geburtsberichte

Juli erzählt

Wie ich geschlafen habe in der Nacht vor der Geburt der Zwillbos? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr, aber ich habe geschlafen – so gut es ging mit dieser Kugel, die fünfeinhalb Kilo Kind beinhaltete [nein, Greenpeace kam nicht, um mich zu drehen und mich mit Wasser zu beträufeln]. Ich weiß nur noch, es war Sommer, die Sonne schien am nächsten Morgen und um 6.30 Uhr fuhren wir der Verdopplung der Anzahl unserer Familienmitglieder entgegen. Ohne Frühstück im Magen. Ich überlege noch kurz, ob Wassereis als Speise gilt, will dann aber doch nichts riskieren.

Angekommen im Hobbitkrankenhaus, habe ich irgendwie die Erwartung, dass alle genauso aufgeregt der Geburt der Zwillinge entgegenfiebern wie wir. Doch sagen wir es mal so: Das medizinische Personal ist da wohl etwas routinierter. Man verfrachtet uns in einen Raum, der im Notfall auch als Kreißsaal herhalten kann – zumindest steht dort auch so ein überdimensionales Bett, und alles ist ganz anthroposophisch in Uterus-Rot gestaltet. Vor dem Fenster vollziehen Hunderte Schwalben gerade die Morgenfütterung ihrer Brut – es ist schwer idyllisch aber ich bin schwer aufgeregt. Die Assistenzärztin, die mir einen Zugang legen soll, offensichtlich auch. Sie versemmelt den ersten Versuch (und ich hab 1a-Venen), es blutet, sie nuschelt irgendwas und ich werde noch nervöser. Dann lege ich meine zivile Kleidung und meine Würde ab und steige in ein Engelchenhemd nebst Thrombosestrümpfen (in die werde ich gestiegen). Eine grüne Haube vervollständigt mein Outfit. Gut, dass Neugeborene noch nicht so gut gucken können, meine Söhne hätte sich sonst ganz sicher vor mir erschrocken.

„Wir müssen noch eben ein CTG schreiben“, erklärt dann eine Hebamme, die meiner Meinung nach auch ein wenig euphorischer ob der Geburt der Zwillbos sein könnte. Noch eben. Es wurde während der gesamten Schwangerschaft nicht „noch eben“ ein CTG geschrieben. Meine Kinder hassten den Herzton-Radar von je her und so demonstrieren sie auch diesmal, wie viel Platz zum Ausweichen man zu zweit in einem Bauch noch haben kann, der kurz vorm Platzen steht.

Schon bald bin ich total genervt. Ich will aber nicht genervt sein, doch die Hebamme, die lustlos an meiner Kugel rumhantiert, strapaziert meine Geduld. Kann doch nicht so schwer sein, zwei Kinder einzufangen! Kann doch, und deswegen wird es noch komplizierter. Es werden weitere Hebammen und Ärzte hinzugerufen. Außerdem karrt jemand im blauen Kittel ein Ultraschallgerät herbei. Ey! Das sind zwei drin und sie bewegen sich gut – könnt ihr sie nicht einfach raus holen? Offenbar nicht, denn unterdessen ist es 10.30 Uhr, ich bin immer noch kugelrund, aber immerhin hat es ein Oberarzt mit osteuropäischem Akzent und Charme geschafft, das CTG anzubringen und die Zwillbos mit dem Ultraschall zu orten. Aha. Sind zwei. Das sieht auch er jetzt.

Auf einmal geht’s los, liegend karrt mich die Hebamme Richtung OP – also, ich liege, nicht die Hebamme…obwohl, vom Temperament her… Egal, ich freu mich, der Schnitt ist mir egal, ich will jetzt unsere Kinder kennenlernen.

Im OP stemme ich mich auf einen verdammt schmal aussehenden Tisch aus Edelstahl, werde angeschnallt und mit Elektroden versehen. Ich bin aufgeregt, Angst hab ich nur vor der Spinalanästhesie, aber Narkoseärztin und ihr Team sind so lässig, da vergesse ich das fast. Sie markiert die Stelle an meinem Rücken, an der sie die Nadel ansetzen will, als plötzlich die OP-Tür aufgeht. Eine Oberärztin schiebt ihren Kopf hindurch „Kommando zurück, alle raus hier“, ordnet sie an – und sieht dabei nicht so aus, als mache sie Witze. Geburtsstillstand im Kreißsaal nebenan, Notkaiserschnitt. Ich werde zurück ins Bett und darin ins nächstgelegene leere Zimmer bugsiert. Wartezeit unbestimmt. Handyempfang ungenügend. Magen leer. Immerhin bekomme ich Flüssigkeit per Infusion – prima für trinkfaule Menschen wie mich, doch irgendwie nicht alltagstauglich.

Und so lieg ich herum, mit Tropf, OP-Kittel und Ungewissheit. Und was macht das Krankenhauspersonal? Weils so schön ist, versucht sich die Hebamme nochmal im CTG-Schreiben, ich befürchte, der Mann wird gleich handgreiflich. Die Zeit tröpfelt ins Land, alle paar Minuten schafft es mal eine whatsapp-Nachricht durch das Nadelöhr von Netz hinaus in die Welt an meine Freundinnen. So richtig kommt das Zeit tot schlagen nicht in Gang. Doch 1,5 Stunden später wird die leicht abwesend wirkende Geburtshelferin plötzlich flott und die Karawane zieht zurück in den OP. Ui. Wieder Aufregung, doch nach dem Vormittag würde mich nichts mehr wundern.

Nach wenigen Minuten ist der Saal proppenvoll und ich frage mich, ob irgendwer irgendwo günstig Stehplatzkarten angeboten hat. Doch dann erklärt eine Frau in Grün, dass bei Zwillingen – wie sollte es auch anders sein – alles doppelt ist. Kinderarzt und Hebamme sind in zweifacher Ausführung vor Ort. Dann hat offenbar die Anästhesistin noch ein paar Kollegen mitgebracht und zwei Praktikanten turnen auch noch durch den Raum – den operierenden Ostblock-Arzt habe ich noch gar nicht erwähnt. Und auch der hat Gefolge dabei. Das klingt ungemütlich. Doch ist es völlig anders. Die Menschen um mich herum liefern mir die richtige Mischung aus Ablenkung und dezenter Zurückhaltung. Und so finde ich auch die gefürchtet Spritze  zwischen meine Wirbel gar nicht so schlimm. Ok, das  klingt jetzt echt dramatisch. In Wahrheit gibt es aber die Spritze vor der Spritze, eine lokale Betäubung, die aus der Spinalanästhesie einen Spaziergang macht. Problematisch ist nur, dass ich mich dafür nach vorn beugen und den Rücken katzenbuckelrund machen muss – eine artistische Meisterleistung mit Zwillingskugel und hektischer Hebamme, die sich mal wieder im Schreiben eines CTGs versucht. Doch es gelingt, und schnell ist das Gespür für meine untere Körperhälfte Geschichte. Zumindest vorübergehend.

Als der werdenden Zwillbo-Papa in Schwarzwaldklinik-Kluft den OP betritt, weiß ich es wird ernst. Wenn ich schon keine Wehen veratmen muss, dann wenigstens Aufregung. Währenddessen toben die Zwillbos weiter durch den Bauch – ich würde ihnen so gerne sagen, was gleich geschieht, dass sie sich nicht erschrecken sollen, wenn es plötzlich hell wird, sondern dass sie gleich wieder bei mir sind – nur auf der anderen Seite… Dann heißt es noch einmal kurz warten, hinter sterilen Tüchern, die den Blick auf die Operation verbergen. Wir warten auf den zweiten Kinderarzt und den ersten Schnitt…entgegen meiner Angst spüre ich den nicht, also habe ich es tatsächlich mit Profis zu tun.

Ich verbiete dem Mann noch schnell, säuselnd auf mich einzureden wie auf ein scheuendes Pferd, denn das macht mich noch viel nervöser. Dann höre ich ein Geräusch wie beim Zahnarzt – nein, keinen Bohrer, eher so wie dieser Sauger, der während der Bohrung den Speichel wegsaugt. Offenbar macht sich der Herr aus Osteuropa an der ersten Fruchtblase zu schaffen. Spätestens als eine der Ärztinnen ansagt „12.25“ weiß ich, dass es so weit ist. Und dann höre ich ihn, meinen kleinen Pepe! Mir strömen Tränen übers Gesicht, Tränen der Freude, der Aufregung und der Erleichterung. Mein Ältester hat seine blauen Kulleraugen weit geöffnet und schmatzt, er ist so neugierig und ruhig, dass ihn die Hebamme noch ein paar Mal in die Füße kneift, damit er ordentlich brüllt. Für 30 Sekunden verschwindet er nochmal in die Arme der Kinderärzte, weil er so ruhig ist. Doch es ist alles gut, Pepe hat einfach keine Zeit zu brüllen, er muss gucken [das Brüllen wird er später noch oft genug nachholen].

Eine Minute nach seinem kleinen großen Bruder folgt mein Mads – drei Kilo pure Entrüstung. Ihn muss niemand kneifen, er beschwert sich ausgiebig über die Störung und das Kappen der Versorgungsleitung, geschlemmt hat er im Bauch schon gerne. Und dann sind sie beide da, in meinem Arm, die ganze Zeit. Quäkend, schimpfend, schmatzend, kuschelnd und ich kann kaum fassen, wie fantastisch und fidel die beiden sind. Zwei komplette wunderschöne Jungs, die in meinem Bauch gewachsen sind. Wie konnte ich mich jemals sorgen, sie nicht toll genug zu finden?

Diesen tollen Bericht über die Geburt ihrer Zwillbos hat Juli von Doppelkinder geschrieben.

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