Strand und Meer
Interviews

Eltern-Interviews aus aller Welt: Pine erzählt von ihrem Leben in England

Nino und Pine sind beide Meeresbiologen. Er (Italiener), selbständig und arbeitet von Mai bis Oktober meistens im Mittelmeer (er macht Flug- oder Bootszählungen von Walen und Delfinen). In dieser Zeit muss Pine (Deutsche) den Familienalltag mit den beiden Kindern alleine rocken. Tochter Quinn ist 10 Jahre alt und Sohn Philip ist 7 Jahre alt. Beide Kinder haben die dreifache Staatsangehörigkeit (Deutsch, Italienisch und Britisch).

Pine arbeitet im Gegensatz zu ihrem Mann in einer Festanstellung – und zwar für die gemeinnützige Organisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) als marine pollution coordinator. Das ist in den Monaten, in denen Nino nicht da ist, natürlich nur mit einiger Organisation rund um die Kinder möglich. Wie genau das alles läuft in England, erzählt sie uns jetzt. :D

Eltern-Interviews aus aller Welt: Pine erzählt von ihrem Leben in England

1. In welchem Land lebst du mit deiner Familie und seit wann?

Wir leben seit 2007 im Suedwesten von England, einem sehr hübschen Fleckchen Erde. Ich und Nino haben „settled status“ seit Brexit. Die Kinder sind beide hier geboren und haben damit automatisch die britische Staatsbürgerschaft erhalten, ich habe aber zuerst die deutsche beantragt.

2. Wie ist das mit der Kinderbetreuung bei euch? Gibt es ein ähnliches oder gar dasselbe Konzept wie hier?

Unsere Kids sind beide nach meinem Jahr „maternity leave“ in die nursery gekommen, wo sie montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr blieben, allerdings nur „term time“, also nicht, wenn Ferien in den Schulen waren. Es gab vom Staat die Hilfe der „childcare vouchers“, die man über seinen Arbeitgeber bekam. Damit konnte man einen Teil der Kosten für die Kinderbetreuung bezahlen, der Betrag wurde vom Gehalt abgezogen, bevor das Restgehalt dann versteuert wurde. Trotzdem haben wir unendlich viel Geld für die nursery bezahlt, zwischenzeitlich über £1,000 im Monat, als mein Mann wegen seines Jobs für 6 Wochen im Ausland war und ich Vollzeit arbeiten musste. Da waren die Kids dann von 8:30 bis 17:30 Uhr in der nursery, denn Grosseltern zum helfen haben wir leider nicht nah dran…

Wenn die Kinder 3 Jahre alt sind, bekommt man 30 Stunden nursery vom Staat finanziert, wenn beide Elternteile mindestens 16 Std. in der Woche arbeiten. Bei Quinn waren es nur 15 Stunden, die der Staat finanziert hat. Bei Philip hat das dann genau gepasst mit den 30 Stunden, er war zu der Zeit dann von 9 bis 15 Uhr in der nursery und wir mussten nur das Essen in der nursery bezahlen. Leider hat er dann wegen Corona die letzten 5 Monate verpasst, weil die nursery nur für Kinder von Eltern, die systemrelevante Jobs hatten, geöffnet war.

3. Wie alt sind die Kinder bei euch, wenn sie eingeschult werden und was ist an eurem Schulsystem vielleicht anders als an unserem in Deutschland?

Die Kids kommen mit 3 in die Vorschulgruppe im Kindergarten (wenn sie denn in einen Kindergarten gehen). Im September nach ihrem 4. Geburtstag können sie dann in die Reception Klasse der Grundschule gehen. Das ist nicht zwingend, man kann die Kinder auch noch ein Jahr länger im Kindergarten lassen. Ab 5 besteht dann Schulpflicht. Die Reception Klasse ist noch sehr verspielt, aber es wird schon lesen und rechnen gelernt, die Kinder tragen Schuluniform und sind in den Schulalltag integriert. Wenn man sein Kind zurückgehalten hat, wird es dann direkt von der nursery in die 1. Klasse kommen, was ich ein wenig eigenartig finde, denn die Reception Klasse ist ja zum Eingewöhnen in die Schule…
Staatliche Schulen sind umsonst, für Privatschulen zahlt man richtig Kohle. Unser Schultag geht um 8:30 los und endet um 15:10 oder 16:10 Uhr, wenn die Kinder after school clubs machen. Man kann die Kinder gegen Entgeld auch schon in den Breakfast Club stecken, der geht um 7:30 Uhr los, ist im Prinzip Kinderbetreuung, wenn die Eltern früh anfangen zu arbeiten oder einen längeren Weg zur Arbeit haben. Gegessen wird in der Schule, bis einschließlich year 2 umsonst, danach kostet ein warmes Mittagessen £2.50. Das muss man mindestens 1 Woche vorher bestellt haben über ein online System. Ansonsten bekommen die Kinder eine Lunchbox mit. Bis einschließlich year 2 bekommen die Kinder einen Obstsnack in der Pause am Morgen und bis zu ihrem 5. Geburtstag Milch umsonst. Quinn ist jetzt in year 5 (aber das ist schon ihr 6. Jahr in der Schule, wenn man die Reception Klasse mitzaehlt) und Phips ist in year 2 (3. Jahr in der Schule). Sie fühlen sich beide wohl in der Schule. Schuluniform ist in unserer Schule ein sehr dehnbarer Begriff. Die Schulfarben sind weiss, schwarz, grau und dunkelblau. Man kann also schwarze, graue oder dunkelblaue Röcke/Pinafort Kleider/Hosen, weisse oder blaue Poloshirts und einen dunkelblauen Schulpulli mit Logo oder ein schlichtes dunkelblaues Sweatshirt oder einen Cardigan (Jacke) tragen. Schuhe sollten schwarz oder dunkelblau sein.

In unserer Schule gibt es Häuser, so wie bei Harry Potter. Die Kids werden in der Reception Klasse einem Haus zugeteilt. Im Sportunterricht müssen die Kinder dann Tshirts in der Farbe ihres Hauses tragen – bei uns gibt es gelb, grün, blau und weiss und während des Schultages können sie Hauspunkte verdienen. Die Häuser treten beim Sportfest gegeneinander an und am Schuljahrsende wird dann das Haus mit den meisten Punkten zum Sieger gekrönt.

In unserer Schule gibt es das Schulmaskottchen „Spikey“ – ein kleines Monster, das von den Kindern entworfen wurde und das ganz bestimmte Werte hat, die die Kinder annehmen und verkörpern sollen. Wenn man „spikey“ ist in der Schule, hat man alles richtig gemacht und wird mit einem Spikeysticker belohnt, der auf die Schuluniform geklebt wird. Es gibt auch den head teacher award sticker (ein gold-roter Aufkleber) für super Arbeit und einen „Celebration Book sticker“ (ein goldener runder Spikeysticker), der für extrasuper Arbeit vergeben wird. Am Ende jeder Woche bekommen 3 Kinder in der Klasse den „Star of the week“ award, eine Urkunde. Am Ende eines Halbjahres gibt es auch den „Star of the term“ award.

Das Schuljahr ist in 6 terms aufgeteilt, alle sechs Wochen oder so gibt es mindestens 1 Woche Ferien. Wir haben Ferien im Februar (1 Woche), zu Ostern (2 Wochen), im Mai/Juni (1 Woche), Sommerferien (5,5 – 6 Wochen), im Oktober (10 Tage) und zu Weihnachten (10 – 14 Tage). Dazu kommen fünf oder sechs ‚teacher development days‘ (Lehrerfortbildungstage) pro Schuljahr, an denen die Schule für Schüler geschlossen bleibt plus diverse „bank holidays“ (staatliche Feiertage), die über das Jahr verteilt sind (mehr dazu unter Frage 6).

4. Fühlt ihr euch in Sachen medizinische Betreuung mit eurem Nachwuchs gut, schlechter oder vielleicht sogar besser als bei uns aufgehoben?

Der staatliche National Health Service (NHS) ist komplett umsonst zu nutzen. Man meldet sich bei einem General Practicioner (GP) an und bekommt eine NHS Nummber. In den Praxen (hier genannt surgery) gibt es immer mehrere Ärzte und Schwestern. Für manche Wehwehchen muss man nicht den Arzt sehen, sondern kann auch von einer Schwester versorgt werden. Wir haben Glück, denn wir alle haben wohl eine ziemlich robuste Gesundheit (knock on wood). Wenn die Kinder so krank sind, dass sie medizinische Hilfe brauche, mache ich einen Termin bei unserem GP. Das geht für die Kinder immer ziemlich fix, für uns Erwachsenen kann es etwas dauern. Sollte es ein Fall für den Spezialisten sein, kann es sein, dass man lange Wartezeiten hat, bis man einen Termin bekommt (3 Monate oder sogar länger). Das wird über ein zentrales System geregelt und man muss warten, bis man einen Einladungsbrief bekommt. Erst dann kann man einen Termin bei einem Spezialisten (meist in einem Krankenhaus) machen. Wir mussten bisher noch nie einen Termin schnell bekommen, weil es etwas richtig Ernstes war, aber manchmal nervt es schon, wenn Quinn nicht richtig laufen kann, weil sie so schwere Wachstumsschmerzen hat und der Termin beim Orthopäden dann erst nach 3 oder 4 Monaten kommt…

Leider gibt es hier keine U-Untersuchungen für Kinder. Impfungen sind umsonst und nicht verpflichtend, Einladungen dazu kommen vom GP, wenn wieder eine Auffrischung fällig ist. In der UK werden bestimmte Krankheiten mit einer „medical exemption“ (medizinische Ausnahme) verknüpft, was da heisst, dass man nicht für verschriebene Medikamente vom Arzt zahlt, egal ob das Medikament speziell für die Krankheit oder für etwas anderes ist. Für verschriebene Medikamente der Kinder zahlen wir, wenn wir sie in der Apotheke abholen.

5. Vermisst du etwas, das es in Deutschland gibt, aber bei euch zuhause nicht?

Ich vermisse Mischbatterien in Wasserhähnen (ja, ernsthaft!). Es gibt viel zu viele Badezimmer und Toiletten, die einen Hahn für kaltes und einen für heisses Wasser haben; ein Hahn rechts am Waschbecken, der andere links… Das kalte Wasser ist eiskalt, so dass ich gleich abgefrorene Finger kriege, das heisse Wasser so heiss, dass man sich verbrüht…also muss man zwischen dem Heiss- und Kaltwasserhahn immer hin und her. Sich da ordentlich die Hände zu waschen, ist immer ein grossartiger Spass.

Viele Häuser haben noch immer Einfachverglasung, da zieht’s immer und es ist kalt (unser Haus hat glücklicherweise Doppelverglasung). Außerdem haben viele Häuser elektrische Duschen, quasi ein Durchlauferhitzer – wir haben unsere rausgerissen und an die Zentralheizung angeschlossen.

Ausserdem vermisse ich Puddingpulver, Suchard Express Kakao Pulver und Vanillezucker…

6. Was ist bei euch – deiner Meinung nach – viel besser als bei uns in „Good old Germany“? ;)

Bank holidays, staatliche Feiertage, werden immer auf einen Freitag oder Montag gelegt, so dass man automatisch immer ein langes Wochenende hat. Dies ist unabhängig davon, ob der Feiertag einen christlichen Hintergrund hat oder nicht. Zum Beispiel fielen die Weihnachtstage 2022 auf einen Sonntag und Montag, wir hatten dann automatisch den Dienstag auch frei, weil der 25. auf einen Sonntag gefallen war. Der 1. Januar dieses Jahr war ein Sonntag, wir hatten automatisch den Montag frei. Sollte der 1. Mai nicht auf einen Montag fallen, wird der nächste Montag denn frei. Es gibt einen „early May“ und einen „late May“ bank holiday und dann noch einen „August bank holiday“, dazu Ostern, Weihnachten und Neujahr. Dieses Jahr gibt es einen extra Tag für die Krönung des Königs im Mai. Das System finde ich ziemlich super.

Liebe Pine, vielen Dank für diesen Einblick in dein bzw. das (Familien-)Leben in England!!! 

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Ein Kommentar für “Eltern-Interviews aus aller Welt: Pine erzählt von ihrem Leben in England

  1. Hat mich sehr an unser Leben in England erinnert, da waren unsere Kinder auch noch klein.
    Ich kann mich an U-Untersuchungen erinnern, aber vielleicht haben sie das inzwischen eingestellt, ist ja bald 30 Jahre her. Man bekam sogar automatisch einen Termin vom Arzt zugeschickt, und wenn man nicht kam, besuchte einen der Health Visitor. Das fand ich damals toll, denn die Kinder können ja nichts dafür, wenn die Eltern sich nicht kümmern.
    Das mit den Mischbatterien kann ich auch gut nachvollziehen, das wollten wir als nächstes in unser Haus einbauen, aber dann musste mein Mann wieder gehen, was wir sehr bedauerten. Wir haben gerne in England gelebt, die Leute sind total nett.

    Am meisten vermisst habe ich italienische Eisdielen. ;)