Geburtsbericht
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Geburtsbericht: Leserin Britta erzählt von ihrer 3. Geburt

TRIGGERWARUNG! Britta erzählt auch, wie sie nach der Geburt fast gestorben wäre. Eine Linie kennzeichnet den Teil, ab dem man besser nicht weiterliest, wenn man gerade nicht so starke Nerven hat oder selbst gerade vor einer Geburt steht!!!

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Ich betrete den Kreißsaal und melde mich zur Einleitung. Die Hebammen an der Aufnahme lachen über mein entnervtes Gesicht und bringen mich ins Untersuchungszimmer.
Der Arzt kommt und klärt mich über die Einleitung auf, die verschiedenen Methoden, die vom Muttermundsbefund abhängig gewählt werden. Eine davon wird grundsätzlich abends gestartet. Ich bin entsetzt! Mein ganzer Plan, dieses Kind heute Nachmittag zusammen mit Elke zur Welt zu bringen, droht zu scheitern. Ich will es jetzt endlich hinter mir haben. Immer noch die Angst im Nacken, wie lange die Plazenta, nun schon 9 Tage über dem errechneten Termin, das wohl noch mitmacht. Immer noch die Angst in den Knien, Sesam, das ich inzwischen Pippa nenne, zum Schluss doch noch zu verlieren.
Eine Hebamme bringt mich in das Zimmer, in dem Gabriels Geburt begonnen hat, und hängt mich ans CTG. „Ich weiß schon, was da raus kommt“, sage ich gequält, entnervt über diese Zeitverschwendung. Sie lächelt. „Und was?“ – „Na, nischt! Gar nischt!“ erkläre ich verzweifelt. Das CTG muss trotzdem geschrieben werden. Während es läuft, ist Schichtwechsel. Elke betritt den Raum um kurz nach 2 und verbreitet sofort gute Stimmung. „Na, dann wollen wir das Kind mal zur Welt bringen!“, sagt sie. Sie untersucht den Muttermund – sakral und nur fingerdurchlässig. Mein Mut sinkt wieder, komplett unreif also… Sie schlägt die Einleitung mit dem Prostaglandin-Gel vor, die große Dosis, „denn wir wollen ja auch was“. Ein Glück, dass ich sie habe. Diese Einleitung kann sofort begonnen werden. Sie bespricht sich mit dem Arzt und kommt mit dem Gel wieder. Wir schreiten sofort zur Tat, während sie das Gel aufträgt, löst sie den Eipol vom Muttermund. Das alles fühlt sich so sicher und tatkräftig und vielversprechend an. Ich bin überzeugt, mein Kind mit ihrer Begleitung, in ihrer Schicht zu gebären.
Wir werden für eine Stunde raus geschickt, damit das Gel wirken kann. „Gehen Sie mal ein bisschen in die Sonne.“ Ich kann mich nur wundern – draußen sind es über 30 Grad, selbst im Schatten. Elke musste doch gerade selber da durch laufen zur Schicht. Wir gehen hoch zum Bäcker, Hendrik will noch was zu trinken kaufen. Riesen Schlange. Ich kann auf keinen Fall dort stehen, ich habe jetzt richtige Wehen, laufe den ganzen Gang bis zur ZNA und wieder zurück. Hendrik ist kein bisschen vorgerückt, wir verzichten auf das Getränk und gehen raus. Draußen entdecken wir einen SB-Supermarkt, wo Hendrik eine Apfelschorle kauft. Ich kann mich nicht darin aufhalten und gehe raus, laufe auf und ab.
Ich habe Lust, zum Turm zu gehen, noch einmal über die Stadt zu blicken und den Turm anzuschauen, den ich so eng mit Gabriels Geburt verbinde. Wieder mal unterschätze ich, wie weit das ist. Unterwegs werden die Wehen stärker, ich kann sie gut veratmen und dabei laufen. Endlich am Turm angekommen, schaue ich über die Stadt. Unten brennt was. Mensch, Pippa, denke ich. Was für ein Start. Wir stehen inmitten der Touris und ich habe Wehen, es ist ein bisschen wie in der Öffentlichkeit Sex haben. Ich will mich am Geländer abstützen, geht nicht, viel zu heiß. Hendrik überlegt mit einem Mountainbiker, was da wohl brennt. Der Typ scheint Psychologe zu sein, hängt sich jedenfalls total an meiner Vermutung, dass die Psychologie brennt, auf. Sie quatschen und quatschen, ich habe immer stärkere Wehen. Endlich kann ich mich bemerkbar machen und wir machen uns auf den Rückweg. Hendrik fotografiert mich, wie ich mit Wehen durch den Wald schreite.
Wieder im Kreißsaal angekommen, lacht Elke: „Das läuft ja wie ein Uhrwerk! Genau eine
Stunde!“ Ich will eigentlich erwidern, dass das wirklich Glück ist, dass wir viel weiter gelaufen sind als vernünftig wäre und ich weder früher, noch später hätte ankommen können. Dafür ist die Wehe aber gerade zu stark, ich flüchte sofort in den kleinen Kreißsaal.
Sie fragt mich, ob ich erst den Einlauf will oder erst das CTG. Ich entscheide mich für den Einlauf, weil er umso schrecklicher wird, je stärker die Wehen sind. Beim 2. Mal ist der Einlauf aber schon gar nicht mehr so schrecklich wie beim 1. Mal. Ich weiß, was auf mich zukommt und vor allem, dass es sich lohnt, dass er super Wehen macht und dass er mein Garant für schöne Geburtsbilder im Wasser ist. Ich habe mein eigenes Klopapier dabei und sage Elke, dass ich außer dem Klopapier und der Kamera eigentlich nichts für die Geburt eingepackt habe, und sie lacht und lacht und lacht.
 Während ich das Wasser halte, laufe ich im Raum auf und ab, durchschreite ihn, wie beim letzten Mal ist er einfach zu klein, ich bin ein Tiger im Käfig. Mit jeder Wehe stütze ich mich auf dem Bett ab. Die Wehen sind unglaublich stark und gleichzeitig weniger empfänglich für Bewegung als die Wehen mit Gabriel.
Nach dem Einlauf hängt sie mich wieder ans CTG und wir sehen endlich die zuverlässigen starken Wehen. Es geht definitiv los. Das einzige, was fehlt, sind die Wehenpausen dazwischen – richtig schmerzfrei bin ich nie. Ich hänge im Vierfüßlerstand auf dem Bett, suche verzweifelt nach Halt, es gibt keine Griffe rechts und links und der Bügel über dem Kopfteil ist total zerfetzt und wackelig. Ich umklammere die Laken und schwinge mein Becken, versuche mich zu öffnen, aber die Wehen lassen mir keinen Spielraum. Ich töne laut mit.
Irgendwann liege ich tatsächlich erschöpft auf dem Rücken, ich kann nicht mehr.
Elke untersucht meinen Muttermund und geht los, um den Wannenkreißsaal fertig zu machen. Ruckzuck ist sie soweit und erklärt, während Hendrik meine Sachen packt, dass die Wanne undicht ist und wir uns nicht über die vielen Handtücher wundern sollen. Ich bin so dankbar, dass sie mir die Wassergeburt trotzdem ermöglicht, obwohl das Ding kaputt ist und sie damit wahrscheinlich einen ziemlichen Sachschaden riskiert.
Wir gehen rüber, Elke setzt sich durch und ich ziehe ein Krankenhaushemd über, wie eine Jacke, mir ist es völlig egal, wie viele Väter auf dem Flur herum stehen, ich will sofort ins Wasser. Es rauscht in die Wanne, Elke fragt nach der Temperatur, ich möchte es etwas kühler. Ich bin jetzt schon total fertig von den Wehen, sie tun unheimlich weh, ich komme nicht gut in die Entspannung, die Pausen fehlen und ich finde keine Bewegung, die den Schmerz nimmt. Elke empfiehlt mir den „besten Freund der Badewanne“, ein Schmerzzäpfchen. Ich habe keine Ahnung, welches Medikament das ist, welche Nebenwirkungen, was das mit den Wehen und mit dem Baby macht, ich vertraue ihr vollkommen und lasse sie machen. „Ich habs mir anders überlegt, zwei reichen doch“, sage ich. Und: „Das hier mache ich nie wieder“. „Jaja… wir sehen uns in drei Jahren wieder“, sagt Elke und grinst.
Schnell ist die Wanne fertig, schnell werde ich ausgezogen und klettere hinein. 17:35. Jetzt werde ich das zu Ende bringen. Ins Wasser eingetaucht, kann ich mich endlich auf die Geburt konzentrieren, im Vierfüßlerstand, den ganzen Bauch im Wasser, töne ich mit den Wehen, fange an zu schreien. „Ich glaub ich spür es schon“, sage ich Elke. Sie guckt mich mit einem eigenartigen, unbeschreiblichen Blick an – überrascht, ungläubig, verzückt und verschwörerisch gleichzeitig. „Sollten wir schon auf dem richtigen Weg sein…?“ fragt sie und untersucht erneut meinen Muttermund. 9cm offen. Ich habe es geschafft. Einmal auf dem Rücken, fehlt mir die Kraft, wieder aufrecht auf alle Viere zu kommen. Bedauernd stelle ich fest, dass ich also auch mein drittes Kind in dieser Position gebären werde, aber bin gleichzeitig einverstanden damit, da es sich nun mal nicht ändern lässt. Ich bin wirklich schon erschöpft und fiebere dem Finale entgegen.
Elke schlägt vor, in der nächsten Wehe den Muttermund manuell ganz zu öffnen, während ich presse. Ich bin einverstanden, natürlich bin ich einverstanden, es soll voran gehen, lange halte ich die Wehen nicht mehr aus. Ich presse mit und traue mich gleichzeitig nicht, mit voller Kraft zu pressen. Mein Mund bleibt offen und ich schreie, konzentriere mich darauf, mich zu öffnen und loszulassen.
Im Wasser werden die Wehen seltener, endlich habe ich Pausen zum Luftholen und Entspannen, ich kann die Wehen kommen und gehen sehen und mit ihnen schwimmen. Sie werden auch kürzer. Elke bemerkt das. Es macht uns beiden keine Sorgen, diese Geburt wird gut gehen, genau wie die von Gabriel.
Der Arzt kommt herein, er wirkt auf mich wie ein Zuschauer. Ein bisschen stört er mich. Einerseits heißt das, dass die Geburt unmittelbar bevorsteht, andererseits – was will er hier? Elke und ich haben alles im Griff.
Dann werden die Wehen lang. Sehr lang. Ich schreie, wie ich noch nie geschrien habe, meine Stimme hallt von allen Wänden des Kreißsaals wider, und die Wehe hört nicht auf und ich schreie. Ich lausche meinem eigenen Klang und staune über meine Stimme, die ich noch nie so gehört habe und die doch zu mir gehört. Elke sagt, dass sie den Kopf sieht, verkündet wie üblich Haare, und bei dieser Geburt interessiert mich diese Information wirklich, es kommt eine neue Wehe, reißt mich mit, der Schmerz ist unfassbar und bringt mich über meine Grenzen. Ich soll mich rund machen, Kinn auf die Brust, aber ich bin so voller Schmerz, dass ich mich weiter öffnen muss, um dem Schmerz Raum zu geben. Gebückt, wie ich in der Badewanne schwebe, muss reichen; nicht einmal die Füße zum Pressen fest gegen den Rand stemmen kann ich. Diese Geburt geht so rasant, sie muss eher gebremst als beschleunigt werden, sie entwickelt von sich aus eine so enorme Kraft, dass ein Pressen überhaupt nicht nötig wird.
Nach der nächsten Wehe bin ich sicher, dass das der Gipfel war, und frage „ist der Kopf draußen?“; Elke schüttelt den Kopf, „Nein, noch nicht… es geht ein bisschen vor und zurück, das ist normal“. Ich bin entsetzt. Wie soll dieser Schmerz noch gesteigert ertragen werden?
Mit der nächsten Wehe drücke ich, schreie, Elke bremst von unten, die Gewalt in meinem Inneren ist unbegreiflich. „Da ist der Kopf! Nicht mehr pressen jetzt! Hecheln, pfüh, pfüh, pfüh!“ macht Elke mir vor, fragt, ob ich den Kopf berühren will. Natürlich will ich. Ich taste danach, ich komme sehr gut dran, und der Kopf ist weich wie eine Aprikose, wunderbar weich, ganz anders als Gabriels Kopf, und klein. Es dauert nur eine Sekunde, dann muss ich mich wieder festhalten, die nächste Wehe rauscht heran und überrollt mich, ich kann mich kaum an die Atemanweisung halten, weil ich schreien muss. Auch das Nicht-mehr-Pressen lässt sich nicht umsetzen, ich will ja nicht pressen, aber mein Unterleib zieht sich zusammen, mit einer unglaublichen Kraft katapultiert mein Körper mein Baby heraus. Mein Körper hat komplett die Kontrolle übernommen. Das macht mir keine Angst, weil Elke bei mir ist.
Ich sehe sie, wie sie neben der Wanne steht, aufmerksam beobachtet, aber nicht mehr eingreift. Ich bin beeindruckt von meiner eigenen Fähigkeit, selber mein Kind zu gebären, und froh und glücklich, eine Hebamme zu haben, die mir das zugesteht. Ich gebäre mein Kind alleine und vollkommen frei.
„Die Schultern sind draußen! Jetzt nur noch ganz leicht pressen!“, sagt Elke, ich schreie mit der nächsten Wehe und mit diesem einzigartigen, unbeschreiblichen, gleichzeitig harten und weichen „Plupp“ verlässt mein Baby meinen Körper in die Schwerelosigkeit. 17:55. „Willst du ihn herausheben?“, fragt Elke mich und natürlich will ich das. Ich fasse nach unten, meine Hände finden sofort den Rumpf, ich hebe mein Kind aus dem Wasser und sehe als erstes, wie es nach mir greift, als zweites die Hoden und den Penis. Das ist nun wirklich eine Überraschung, die ich aber schnell überwinde. Ich gucke meinem Baby in die Augen, groß und dunkel, die Weisheit des Universums… Ich lege es auf meine Brust und streichel es, bewundere es, spreche es an. „Hallo, du kleiner Mensch… hattest du eine gute Reise?“
Niemand außer mir spricht. Der Raum gehört in jeder Dimension nur mir und meinem Baby. Wir schweben im Wasser und ich spreche zärtlich mit meinem kleinen Sohn.
Elke entschuldigt sich, dass sie ihn so schnell aus dem Wasser haben wollte. Er hatte sich die Nabelschnur zweimal um den Hals gewickelt und kam außerdem mit den Händen am Kinn verschränkt zur Welt. „Der hatte ein paar Überraschungen parat“, sagt sie.
Es dauert, bis er schreit. Lange liegt er da und rührt sich nicht. Die Arme sehen aus wie die Arme eines Tintenfischs. Der Arzt und Elke rubbeln ihn ab, ich puste ihm ins Gesicht. „Atme jetzt“, sage ich ihm liebevoll und bestimmt. Endlich verzieht er das Gesicht, der kleine Mund öffnet sich ganz weit und er schreit empört los.
„Selbst ist die Frau, die Dame möchte selber abnabeln“, erklärt Elke dem Arzt, der mit dem Abnabelset bereitsteht. Er ist sofort angetan von dieser Idee und sagt „aber klar, wir machen hier alles möglich!“. Elke klemmt die Nabelschnur ab und reicht mir die Schere. Der Arzt packt mit an und hilft, mein Baby festzuhalten, während ich die Schere ansetze. „Schönes Leben, Samuel“, sage ich, während ich die Verbindung kappe. Es ist das wahnsinnigste Gefühl meines Lebens.

———TRIGGERWARNUNG———–

Samuel muss raus, ihm ist zu kalt. Er wird abgetrocknet und Hendrik überreicht. Ich liege auf dem Rücken in der Wanne, aber die entspannte Unbesiegbarkeit, die ich nach Gabriels Geburt in dieser Situation erlebt habe, will sich nicht einstellen. Jetzt kommt der Teil der Geburt, vor dem ich Angst habe. „Ich soll eigentlich aus dem Wasser raus für die Plazentarperiode“, merke ich an. „Und warum?“, fragt Elke. „Weil eine Lösungsstörung befürchtet wird“, sage ich verunsichert. Das muss doch überall in meiner Akte stehen?
Elke bleibt entspannt. Ich bekomme mein Oxytocin. Was jetzt kommt, ist noch mehr Arbeit als alles davor, mehr Pflicht und mehr Erwartungen und mehr Druck und mehr Zwang. Ich muss die Plazenta gebären, sie will nicht. Elke drückt mir auf den Bauch, zupft an der Nabelschnur. Wehen kommen, aber keine starken Geburtswehen, ich glaube nicht, dass sie reichen. Ich presse mit aller Kraft, eben hatte mein Körper solch eine Gewalt in sich, nun muss ich ran und ihn zwingen, die Plazenta zu gebären. Sie ist riesig. Ich schreie, als ich sie herauspresse, ich schreie fast genauso wie bei der Geburt des Babys. Es tut unheimlich weh, ich meine, sie passt nicht hindurch.
Es ist geschafft. Elke fischt die Plazenta heraus und macht sich sofort an die Untersuchung. Sie guckt ganz, ganz, ganz genau und teilt mir dann mit, dass sie vollständig ist. Eine Bipartita mit Nebenplazenta. Danach macht sie sogar noch eine Probe mit Milchinjektion in die Plazenta, um ganz sicher zu sein. Währenddessen färbt sich das Wasser rot. Ich zittere. Der Arzt meint, wir sollten das Wasser ablassen, mir würde zu kalt. Elke widerspricht, nein, ohne Wasser friert sie noch mehr. Sie hat keine Eile und untersucht die Plazenta. „War der ET richtig berechnet?“, fragt sie. „Wie?“, frage ich verwirrt zurück. „Der ET, war der richtig?“, fragt sie wieder. „Naja, wie so ein ET halt ist… und der wurde im 2. Drittel per Ultraschall festgelegt“, sage ich. Elke nickt und sagt, dass die Plazenta schon sehr verkalkt ist, dafür, dass sie erst 9 Tage über ET sein soll. Dass sie vermutlich nur so lange suffizient war, weil sie so groß war. Puh, gut, dass das gut gegangen ist, denke ich, spüre aber keine wirkliche Erleichterung. Wird der Rest auch gut gehen?
Ich schlottere und will raus, kann mich nicht ganz verständlich machen, habe jetzt Angst. Da sagt Hendrik „Britta will jetzt raus!“. Sofort wird das Wasser abgelassen, mir werden Handtücher gereicht und ich steige erschöpft, aber frei von Schmerzen durch das Tor der Wanne. Da stehe ich und zittere und trockne mich ab und fühle mich wie beim Triathlon, die Frage „lohnt sich die Zeitverschwendung durchs Abtrocknen?“ ist genau die selbe. Elke legt mir ein Handtuch über den Rücken und ich schaffe es zum Gebärbett, erklimme es irgendwie und lege mich auf den Rücken. Ich merke, wie das Blut aus mir raus läuft.
Ich werde nach Geburtsverletzungen untersucht und habe natürlich keine. Dann werde ich warm zugedeckt, wieder wird ein Gebläse geholt, damit ich es warm habe. „Mir ist nicht kalt. Ich bin nur so erschöpft“, sage ich immer wieder. Ich bekomme Samuel in den Arm, will ihn anlegen, aber es geht nicht. Ich schlottere, er hat kein Interesse an der Brust. Dann eben später, denke ich. Ich bin so müde und spüre das Blut aus mir raus laufen.
„Ich blute ziemlich stark“, sage ich. Es ist ein Déjà-vu. Mehr Oxytocin i.v., Eispackungen, auf den Bauch legen. Schwindel. Blasenkatheter. „Wann hast du zuletzt gepinkelt?“ fragt mich Elke. „In der Wanne! Unter Geburt!“ verteidige ich mich. Sie besteht darauf, mir den Katheter zu legen, weil die Blase der Grund sein könnte, dass die Gebärmutter sich nicht zusammen zieht. „Das hast du letztes Mal auch gesagt, das hat gar nichts gebracht“, bringe ich an, aber der Katheter wird gelegt, tut weh wie beim letzten Mal, bringt nichts wie beim letzten Mal. Das Blut rinnt weiter aus mir raus. Der Arzt wird gerufen. Meine Erinnerung verschwimmt. Jemand bringt ein Ultraschallgerät. Der ganze Uterus ist voller Blut. Elke drückt immer wieder mit der Faust in meinen Bauch. Es tut so weh. Es tut ihr so leid. Sie entschuldigt sich immer wieder und muss immer wieder drücken. Ich fühle mich wie eine Zitrone. Infusionen werden angehängt und Gerinnungsstoffe. Ich soll beim Drücken mitpressen. Das ist so widernatürlich, ich kann es nicht glauben was mit mir passiert… Wie weit ich mich von mir selber entferne. In wenigen Minuten von der Leben spendenden, stärksten Frau der Welt zu einem Körper, der nicht funktioniert. Riesige, dicke Koagel durchqueren den Geburtsgang und glupschen aus mir raus. Einer, zwei, drei, vier. „Das habe ich mir schon gedacht! Die habe ich gewollt!“, sagt Elke, ist optimistisch, dass die Blutung nun aufhören wird. Bringt schnell die Koagel zur Waage, wiegt sie, addiert dieses Blut mit der Schätzmenge aus den bisherigen Unterlagen… Die Blutung hört nicht auf. Endlich spricht jemand von OP und Kürettage. Ich bin erleichtert, so soll das endlich aufhören, lieber jetzt als in zwei Wochen wie bei Gabriel… Ich stimme sofort zu und bin guter Dinge.
Ich werde fertig gemacht, Hendrik sagt mir, dass er mich liebt. Er steht da mit Samuel im Arm und ist nicht in dieser Welt, völlig verliebt, ich frage mich, ob er mitbekommt, was los ist. Ich rolle los, es geht im Laufschritt. Das verunsichert mich jetzt doch ein bisschen, ich bin froh, dass jetzt operiert wird… An der Schleuse angekommen, rufen die Hebammen den Anästhesisten. Er kommt, Elke berichtet, sagt, dass gerade der anderthalbste Liter Volumen läuft und wie viel Blut ich verloren habe. Sie fragen mich, ob ich über die Barriere drüber robben kann auf die OP-Liege. Ich kann nur den Kopf schütteln. „Schlaf gut“, sagt Elke. „Ja, das letzte Mal dieses Jahr“, sage ich und wir grinsen.
Der Anästhesist ist, wie alle, sehr nett. Er ist auch Brillenträger und verspricht mir, mir meine Brille sofort nach der Ausleitung wieder zu geben. Ich sage ihm auch, dass meine Beine zucken. Das stört nicht, sagt er. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben. Ich ziehe den Sauerstoff über die Maske tief ein, schmecke das Narkosemittel, das intravenös in mich rein läuft, und freue mich auf die Narkose. Ich stelle mir Madita und Gabriel vor, wie sie schwimmen. Ganz, ganz fest. Ich sehe sie um mich herum tauchen und auftauchen und lachen und paddeln.
Als ich aufwache, habe ich eine klare Sicht und freundliche Gesichter um mich herum. Der Anästhesist sagt mir, dass alles gut gelaufen ist. Ich werde durch die Gänge geschoben und bin müde, so müde. Im Kreißsaal angekommen sehe ich Hendrik und Samuel. Ich bin so müde. Stunden sind vergangen und vergehen.
Ich spüre das Blut laufen und mir wird schwindelig. Ich sage Hendrik, er soll klingeln. Und er soll das Bett in Schocklage stellen. Dass die veränderte Lage keinerlei Verbesserung bringt, macht mir Angst. Volumenmangelschock.
Leute kommen rein, prüfen die Blutmenge. „Kreuzblut abnehmen“, sagt jemand, und „ruf die Cornelia an“. Ich werde in ein anderes Zimmer gebracht, „die Wache“ nennen sie es, „da können wir Sie besser überwachen“. Das klingt nach Intensivstation… Kabel und Schläuche, Infusionen, eine Blutdruckmanschette, die jede Minute von selber misst, ein Pulsoxy, das sich fremd anfühlt. Auf dem Flur fragt jemand, wie viel Blut in Null positiv vorhanden ist, und jemand antwortet. Samuel ist weit weg, ich denke an Madita und Gabriel und kriege wahnsinnige Angst. Werde ich sie jemals wieder sehen?
Ich verfluche mich dafür, dass ich dieses Kind wollte. Wie konnte ich mich nur in so eine Gefahr begeben?? Es ist unverantwortlich… Ich habe es doch gewusst, all die Wochen habe ich geahnt, was jetzt unweigerlich eintritt, ich werde meine Kinder verlieren. Nie, nie, nie wieder werde ich mich so einer Gefahr aussetzen, schwöre ich mir, wenn das hier gut ausgeht…
Cornelia, die Oberärztin, kommt herein. Und Ulla, die leitende Hebamme. Diese Kaskade in der Hierarchie macht mir noch mehr Angst. Cornelia prüft meine Vitalwerte. Zwischendurch ist mein Blutdruck unter 70 systolisch. Cornelia guckt mir genau in die Augen und sagt, dass die OP nicht erfolgreich war. Obwohl mir das klar ist, bin ich verzweifelt. Sie sagt, dass sie mich leider nochmal operieren muss, weil sie die Blutung anders nicht in den Griff bekommen. „Es kann sein, dass ich“ beginnt sie, und ich weiß, was sie sagen wird, jetzt wird sie von Hysterektomie sprechen und ich werde meine Gebärmutter verlieren und die verliert man nur, wenn das Leben anders nicht zu retten ist und ich schließe entsetzt die Augen, „Ihnen Ihre Gebärmutter entfernen muss“, spricht sie weiter. „Nein!! Bitte nicht“ sage ich, meine Angst ist grenzenlos, ich bestehe nur noch aus Angst. Angst, meine Kinder nie wieder zu sehen. Sie guckt mir weiter genau in die Augen und sagt, dass sie das nur macht, wenn es nicht anders geht. Ultima ratio. Sie versteht, dass ich meine Gebärmutter behalten möchte, und wird alles dafür tun, damit ich sie behalte. „Die gehört ja zu Ihnen“, sagt sie. Ich nicke traurig, habe mich innerlich schon von ihr verabschiedet.
Hendriks Gesicht taucht auf, während mein Bett losgeschoben wird. Er hält Samuel im Arm, sein Gesicht spiegelt meine eigene Angst wider. Immer wieder sagt er mir, dass er mich liebt. Fassungslos schauen wir uns an.
Im Laufschritt, schneller als eben, werde ich in den OP geschoben. Die beiden, die mich schieben, kommen außer Atem. Eine von ihnen ist die Leitende Hebamme. Ich möchte ihr sagen, dass wir uns kennen, dass ich mich bei ihr auf ein Praktikum beworben habe. Irgendwie erscheint es mir wichtig. Auf dem Weg über die Schranke wird mir wieder schwindelig, ich sage das, der Anästhesist ist wieder da, die Übergabe wird gemacht, Hb 7, hat 2,7 Liter Blut verloren, ich werde schnell in den Einleitungsraum geschoben. Akrinor… und wieder Akrinor… Ich bestehe nur noch aus Angst. „Muss ich jetzt sterben?“ frage ich die Intensivpflegerin. Sie guckt mich entsetzt an und blickt sofort zum Anästhesisten. Sie will nicht antworten… „Ich glaube nicht, dass Sie jetzt sterben. Wir passen gut auf sie auf.“ antwortet er. Er will auch nicht antworten… ich atme tief den Sauerstoff ein. Stelle mir Madita und Gabriel vor, wie sie schwimmen, um mich herum paddeln, tauchen und auftauchen, lachen, stelle sie mir ganz fest vor… als könnte ich auf diese Weise etwas von ihnen mit hinüber nehmen.
Als ich aufwache, habe ich eine klare Sicht und nette Gesichter um mich herum. „Habe ich meine Gebärmutter noch?“ frage ich voller Angst vor der Antwort. „Sie haben Ihre Gebärmutter noch“, sagt der freundliche Anästhesist. Ich werde ihn noch viele Male fragen, während er mich durch die Flure zurück zum Überwachungszimmer begleitet, und er wird jedes Mal unverändert freundlich antworten. Ich bin so dankbar und glücklich und kann es nicht fassen, am Leben zu sein. Ich bin wieder so friedlich und aufgeräumt aufgewacht, keinerlei Verwirrung oder Angst oder andere schlechte Gefühle, einfach glücklich und dankbar. Ich weiß, dass das an der sehr sorgfältigen Narkose und der sicheren Hand bei der Ausleitung liegt. „Sie machen sehr gute Narkosen“, sage ich dem Anästhesisten und ich sehe, dass er sich freut.
Im Überwachungszimmer ist die Oberärztin wieder da. Sie sagt mir auch, dass ich meine Gebärmutter noch habe, berichtet, dass sie jetzt zwei Tamponaden in den Uterus und außerdem den Muttermund und den Gebärmutterhals gelegt haben und dass die Blutung jetzt steht.
Es werden neue Transfusionen angehängt. Links läuft das Plasma in mich rein. Und die Gerinnungsstoffe. Infusionen. Antibiotika. Das Pulsoxy steckt an meinem Finger. Rechts pumpt sich alle zwei Minuten die Blutdruckmanschette auf und ich habe einen Katheter liegen. Im Regal neben mir taut weiteres Plasma auf. Endlich bekomme ich Samuel in den Arm, er kann auf dem Stillkissen liegen, das Hendrik zwischen den OPs geholt hat. Ein Glück, dass ich es dabei habe, ich könnte ihn niemals halten… Samuel ist über 8 Stunden alt, als er zum ersten Mal meine Brustwarze findet und anfängt zu trinken.
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Das Schreiben war elementar für meinen Verarbeitungsprozess, und knapp 2 Wochen nach der Geburt lässt das Entsetzen nach. Jetzt ist jeder Tag ein Geschenk. Ich freue mich so sehr über jeden Teil des Lebens, Wind um meine Nase, Vogelgezwitscher, einen gedeckten Tisch, meine Kinder, egal wie nervig die gerade sind… ich sehe all das Wunderbare wie durch eine Lupe, unglaublich intensiv. Ich bin unendlich dankbar, am Leben zu sein.
PS: Diesen krass spannenden Geburtsbericht hat Britta geschrieben. Die Geburt ihres älteren Sohnenes könnt ihr hier lesen.

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