Corona-Update Australien
Corona

Persönliche Corona-Updates aus aller Welt: Sonderausgabe Australien

Rike wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern (5 und 8 Jahre) in Sydney/Australien. Vor ein paar Tagen schrieb sie mir eine Mail und erzählte ein bisschen davon, wie es gerade in dem Land läuft, in dem sie lebt, und wie es ihr damit geht. Sie “riss” alles erstmal nur an und fragte, ob ich die Corona-Updates vielleicht bald wieder aufnehmen würde. Ja, dass würde ich sehr gerne … aber ihre Geschichte, ihre Eindrücke, ihr aktueller Alltag sollte jetzt sofort Raum bekommen, fand ich. Und deshalb schrieb sie sich alles von der Seele für eine ganz spontane …

Corona-Update-Sonderausgabe aus Australien

11. September 2021

Hubschrauber kreisen über den Stadtvierteln, Polizei patrouilliert vor Shoppingcentern. Man darf nicht weiter als 5 km von seinem Haus entfernt sein, nur eine Person kann pro Tag und Haushalt das Haus verlassen um zum Supermarkt zu gehen. Die Schulen sind seit dem 26. Juni im Homeschooling. Draußen soll man nicht stehen bleiben und muss immer seine Maske dabei haben.

Das sind einige der Einschränkungen, unter denen wir seit Ende Juni leben. Es fing mit einem einzigen Infizierten an. Ein Taxifahrer, der internationale Flugzeugbesatzung ins Hotel brachte und sich dabei ansteckte. Vorwürfe kann man ihm nicht machen. Er hat sich an alle Regeln gehalten. Er war eben nur noch nicht auf der Agenda für Impfungen vorgesehen.

Persönlich glaube ich, dass die Regierung von New South Wales gar nicht darauf vorbereitet war, dass diese kleine Lücke im System so von Bedeutung werden kann. Immerhin gab es Weihnachten und Ostern hier auch „Ausbrüche“. Das waren dann nicht mal 200 Infizierte im Ganzen und mit einem teilweisen Shut Down der jeweiligen Suburbs war das auch nach 4 Wochen wieder gegessen.

Jetzt ist es anders. Delta ist so unsagbar ansteckend. Es hat sich ausgebreitet wie ein Lauffeuer. Und vor allem in den Vororten von Sydney wo überwiegend Menschen wohnen die kein Englisch sprechen oder deren Kulturkreis einfach ein anderer ist. Wo Familie das höchste Gut ist und man keine Zeit hat die 11 Uhr Pressekonferenzen zu schauen, sondern eben arbeitet. Auch ich habe seit Januar versucht mich impfen zu lassen. Erst mein neuer Arbeitgeber und der Fakt, dass ich in der Pflege arbeite, haben es geschafft, dass ich nun endlich geimpft bin.

Ich hätte nie gedacht, dass mich der Lockdown so dermaßen aus der Bahn werfen kann. Und ich möchte auch eins klar stellen: Ich bin absolut hinter den Entscheidungen der australischen Regierung. Ich fühle mich nicht wie auf einer „Gefängnisinsel“,wie in deutschen Medien berichtet wird. Doch nicht jeder wird mir hier zustimmen. Aber in dem Moment wo die Ministerin sagte „was interessiert mich die Wirtschaft, wenn am Ende niemand mehr da ist, der was kaufen kann? Ich möchte, dass so viele wie möglich durch die Pandemie kommen, egal welchen Alters oder Herkunft.“ hatte sie meine volle Unterstützung. Und die Australier haben auch alles gegeben. Natürlich ist auch hier nicht alles glatt gelaufen. Ja, komm, geschenkt, sind halt auch nur Menschen und deren erste Pandemie. Aber sie hatten einen Fahrplan. Haben Ressourcen aufgestockt, haben sich gekümmert und immer pünktlich um 11 Uhr morgens eine Pressekonferenz gehalten auf der sie brav erzählt haben, wo stehen wir und wo wollen wir hin. Auch jetzt wissen wir ganz genau, was auf uns zukommt. Es gibt keine Impfpflicht. Bist du aber nicht geimpft und das Ziel von 70 % der Erwachsenen durchgeimpft, dann wird geöffnet. Aber nur für Geimpfte. Es gibt hier nicht Getestet und Genesen. Das interessiert keinen. Hier wird über Hygieneregeln und Impfungen diskutiert. Leute die dagegen sind werden nicht gehört. Warum? Weil die Medien das nicht zulassen. Und die Politik auch nicht. Vor ein paar Wochen gab es eine Demonstration in Sydney City. 3000 Leute kamen. Sie mussten eine Strafe zahlen und teilweise kamen sie auch ins Gefängnis. Die Ministerin sagt klipp und klar „So klappt das nicht, wenn jeder macht, was er will. Wir halten uns an die Vorgaben unserer Wissenschaftler, die das gelernt haben und sich mit den Fakten auseinander setzen.“ Als darauf die Woche wieder demonstriert werden sollte, wurden Taxis und Uber aus der Innenstadt verbannt und Menschen mit Strafen bis zu 100.000 Dollar belegt, sollte sich jemand unbefugt nur in die Nähe wagen. Damit war die Diskussion vom Tisch.

Trotzdem hat es mich vor 2 Wochen mental komplett nieder gestreckt. Auf einmal. Wie mit einem Hammer vor den Kopf. Aber warum? Mein Mann arbeitet von zu Hause, kümmert sich um die Kids, während ich weiterhin zu meinen Klienten raus fahre, die alle (aufgrund der Impfagenda) schon durchgeimpft sind. Die Kinder machen ihr Homeschooling von zu Hause. Gehen in Zoom Meetings und leben ihren Traum von Spielen mit Papa, Backen mit Mama und Computer bis zum erbrechen.

Was war da los? Nun ja, vielleicht kennen das einige Frauen unter euch: Alle 4 Wochen hat man so sein Tief. Findet die ganze Welt zum kotzen und mag sich selbst nicht richtig leiden. Ich kam aus dem Tief aber nicht mehr raus. Nix worüber ich mich freuen konnte. Kein Kaffee mit der Freundin, kein ab in den Park und Sonne genießen, kein Essen gehen oder Kino als Ablenkung. Gut, können ja andere im Lockdown auch nicht. Darf man nicht meckern. Aber wir sind jetzt seit 2 Jahren in Australien. Haben noch so gut wie nix gesehen, bis aufs schöne Wetter und ein paar Strände. Haben 2 befreundete Familien, die jedoch außerhalb unseres 5km Kreises wohnen und sich auch nicht mit uns treffen dürften, weil das ja aktuell unter Strafe steht. Wir wissen nicht, ob wir in der Gegend bleiben wollen, in der wir wohnen, wir haben aber auch keine Ahnung, wo wir hin wollen. Meine australische Ausbildung ist von meinem Visa-Status abhängig, den ich gerade nicht ändern kann, denn dazu bräuchte ich einen Mediziner und die haben aktuell zu.

Und dann wache ich am nächsten Morgen auf und komme mir vor wie im Nebel. Als würde ich panisch etwas suchen, an dem ich mich festhalten kann. Was mich aufrichtet und sagt „da willste ja mal hin. Also durchhalten!“ – Gab es nicht.

Erschwerend hinzu kommt, dass ich mich mit meiner Tochter oft streite. Sie ist 5 und wir beide einfach zu gleich. Wir sind beide launisch und ungeduldig. Wir können uns aber auch nicht aus dem Weg gehen. Dafür sind wir auch wieder zu gerne zusammen. Spielen Spiele, schauen Disneyfilme und basteln. Aber wir sind nicht auf einer Ebene. Bedeutet, dass ich bei Diskussionen das letzte Wort habe. Weil ich die Mama bin. Es fehlen hier Kinder, an denen sie sich versuchen kann. Denen auch sie mal einen Spielbefehl geben kann und die auch einfach länger durchhalten als eine müde Mama, die grade von der Schicht kommt.

Und dann fällt mir mein Sohn abends ins Bett. Im Heulkrampf kämpft er sich noch bis in meinen Arm und sagt „Mama, könne wir nicht endlich wieder nach Deutschland?! Da könnte ich wenigstens mit meinen Freunden spielen und in die Schule gehen. Ich will nicht mehr nur vorm PC sitzen und über Kopfhörer mit meinen Freunden hier sprechen. Ich will die endlich wieder sehen.“ Wie verständlich ist das? Absolut. Er ist 9. Er versteht nicht, dass wir in Deutschland keine Zukunft für uns sehen und es uns jetzt auch viel zu unsicher wäre.

Mein Mamaherz ist vor 2 Wochen jeden Tag ein bissl mehr gebrochen. Weil ich keine Lösungen finden konnte. Die gab es nicht. Wir durften nicht raus. Wir dürfen nirgends hin. Und das wird auch noch eine ganz lange Zeit so bleiben.

Am nächsten Tag saß ich auf der Couch und mein Mann nimmt mich in den Arm und es bricht aus mir raus. Ich weine so dermaßen, dass die Kinder ankommen und wir alle 4 eng aneinander gekuschelt weinen, weil und die letzten Wochen mehr als überfordert haben und es uns gar nicht aufgefallen ist. Weil nach 3 Monaten Lockdown es jetzt lang ist.

Und dann haben wir uns einen Kakao gemacht und alle miteinander gequatscht. Ich habe den Kindern erzählt, wie traurig ich bin, dass ich ihnen grad nix besseres bieten kann und meine Kinder haben dann davon geträumt, was sie nach dem Lockdown machen wollen. Mein Mann hat einen Stift genommen und aufgeschrieben und uns so neue Ziele gesucht. Urlaub steht drauf, nach Deutschland fliegen, das Meer sehen und ins Kino gehen. Friseur steht fast ganz oben und auf den Wasserspielplatz gehen.

Jetzt, gute zwei Wochen später, hält das Hoch an. Mental hilft es, dass mein Mann und ich nun komplett geimpft sind. Welche Sorgen ich mir gemacht habe, was aus den Kindern wird, wenn wir Erwachsenen ins Krankenhaus gemusst hätten und es einfach niemanden hier gibt, der mal gekonnt ein paar Wochen auf unsere Kinder aufpassen könnte.

Und die Regierung hat ihr Versprechen gehalten. Obwohl es noch knapp 1500 Fälle pro Tag gibt, dürfen wir wieder raus und Sport machen, auch mal stehen bleiben und die Spielplätze sind auf. Es gibt einen Fahrplan, dass die Kids wieder in die Schule kommen. Wir hoffen also auf den 25. Oktober für die Kleine und den 8. November für den Großen. Und alle Australier packen mit an. Jeder versucht die 70% Marke der vollständig Geimpften zu erreichen. Dann dürfen Parks, Zoos, Fitnessstudios, Restaurants und Shops wieder aufmachen und wir dürften zum Friseur gehen. Geimpft und mit Maske, aber wir dürfen. Es ist unsagbar, wie greifbar nah das Ziel doch liegt, damit das hier für alle safe über die Bühne geht.

Wisst ihr, ich will keine Debatte übers Impfen auslösen. Die werden schon mehr als genug geführt. Ich will auch niemandem sagen, was er oder sie zu tun hat. Hier in Australien gibt es schon eine Impfpflicht. Denn ohne durchgeimpft zu sein, darf man zB nicht in die Schule gehen. Die Argumente dafür und dagegen sind ja irgendwie auch jedem bekannt. Ich sag aber, wovor ich Angst habe: Ich habe Angst davor, dass die Grenzen einfach aufgemacht werden und ich noch keine Möglichkeit hatte meine Kinder impfen zu lassen, weil es einfach noch nicht soweit ist. Dass ich sie einfach nicht beschützen kann. Und dann die ganze Arbeit, die wir hier in den letzten Monaten geleistet haben mit einem Schwurbelheini für die Tonne ist. Ich sehe die ländlichen Gebiete von NSW, die weder ein Krankenhaus in der Nähe haben, noch jemals mit so etwas konfrontiert waren, weil sie einfach ganz weit weg von allem ihr Dasein fristen und nun betroffen sind und mal eben alle Dorfbewohner ein Problem haben. Und warum? Weil einer meinte zu einer Beerdigung zu fahren oder mal eben 8 Stunden die Küste hoch und an jeder Tankstelle hielt. Ich weiß, ich schweife jetzt ins philosophische ab, wenn ich sage, dass es doch äußerst interessant ist, dass Menschen denken, sie könnten alleine nichts anrichten und im Endeffekt schaut wo wir jetzt sind. Aber das ist der nächste Nebel in dem ich mich befinde. Und ich denke, dass es viel Aufarbeitung nach dem Lockdown braucht, viele Gespräche, bis man die Sicht- und Verhaltensweisen verstehen kann und dann einfach vieles klarer wird.

Ich wünsche euch allen von Herzen, dass ihr da wo immer ihr auf der Welt seid, sicher seid. Passt auf euch alle auf.

Rike

 

PS: Wer auch gerne mal bei den Corona-Updates aus aller Welt mitmachen möchte, weil er oder sie NICHT in Deutschland lebt und gerne einen Einblick in die jeweilige Situation geben möchte, schreibt mir einfach eine Mail an hallo@laecheln-und-winken.com. Ich melde mich dann mit mehr Infos und vor allem dem nächsten Abgabe-Termin. :-*

PPS: Wie immer freue ich mich, wenn ihr diesen Text teilt! :-*

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5 Kommentare für “Persönliche Corona-Updates aus aller Welt: Sonderausgabe Australien

  1. Ich verstehe dein Gefühl so sehr auch wenn wir hier in Deutschland in einer ganz anderen Situation sind.
    Das ausgeliefert sein und selbst nicht handeln zu können ist furchtbar.
    Aber es geht voran. Langsam aber es geht voran.
    Ich hoffe einfach meinen Junior schützen zu können bis er eine Impfung bekommt.
    Bis dahin hätte ich gerne eine Regierung die die Kinder schützt und nicht freigibt zur Durchseuchung.
    Auch wenn das Leben für den Junior schön ist mit Kita, Schwimmen und Musikschule. Die Angst ist trotz Tests nie weg bei uns.

  2. ? danke für dein Update aus Australien.
    Haltet durch und kommt gesund durch die Pandemie.

    Ich hatte an einigen Stellen mit den Tränen zu kämpfen und sehe vieles ähnlich wie du.
    Irgendwie wär ich jetzt gerne lieber im “Australien-Gefängnis” als im “die-ungeimpften-werden-sich-anstecken-selbst-schuld” Deutschland, das aus meiner Sicht mal wieder die Kids hinten runterfallen lässt…. ?