Leserin Wiebke lebt seit 7 Jahren in Köln, mittendrin statt nur dabei … und liebt es. Eigentlich. Nur noch eigentlich, denn die Feierei nimmt langsam überhand, beschränkt sich schon längst nicht mehr auf ein paar Tage im Jahr, stört stattdessen beinahe täglich den Nachtschlaf von Kindern und Erwachsenen und hat zudem weitere “Nebenwirkungen”. Welche genau erzählt Wiebke hier:
“Seit nun mehr als 7 Jahren sind wir Wahlkölner. Vom Dorf in die große, jecke Stadt. So wie viele von uns aus den unterschiedlichsten Gründen.
Ob beruflich, aus Liebe oder einfach um dem dörfischen Leben zu entfliehen. Wir alle haben unseren persönlichen Grund. So sind wir damals ganz bewusst in eins der Kölner Herzen gezogen, ins Qwatier Latäng. Damals, einigen wird es bekannt sein, mit vielen Rechtfertigungen gegenüber Familien und Freunden. Wir kann man bloß freiwillig in die Stadt gehen? Und dann auch noch in so ein Viertel? Die Abgase, die Straßenschluchten, die Anonymität der Großstadt…
Jetzt simma hier zo hus. Damals wurden wir von den Vormieterin gewarnt: Es gäbe meistens ein paar Tage im Februar, da wäre es in der Straße nicht so angenehm. Macht nix, Holland im Februar ist auch schön! Ein paar Tage im Jahr sind auszuhalten. Auch Semesterbeginn und die Wochenenden im heißen Sommer. Das gehört dazu. Jetzt simma zo Hus.In unserem Mikrokosmos. Wir haben eine Base hier, sind angekommen. Nachbarn, Freunde, Kita, Schule, Ärzte, Läden… Man kennt sich und irgendwie ist es mehr denn je ein Dorf. Unser Kölner Weltdorf. Wir lieben es! So wie viele von uns.
Mittlerweile bin ich zweifache Mama.
Und schon früh, besonders Montagmorgens, merkte ich: Es gibt Unterschiede zur Land-Mama!
Zum Beispiel: “Nicht in die Pfütze springen Schatz, dass ist Pipi!” Oder: “Schätzchen, magst du dem Obdachlosen den Euro geben?”.
Für die Freunde und Familie befremdlich. Für uns voll ok. Klar. Es gab Ausrutscher, die auch wir sch… ade fanden: Eine recht flüssige Erleichterung direkt im Hauseingang. Aber hey … ist zwar doof, aber so konnte ich der Großen auch mal erklären, was so gar nicht geht. Auch wenn man Magen- Darm hat.
Das Bild hat sich leider für uns und auch andere bedenklich verändert. Und das macht mich wirklich sauer und sehr traurig, denn da draußen gibt es Menschen, die das Leben in unserem Mikrokosmos, in unserem Qwatier wirklich erheblich erschweren (und es ist ihnen so krass egal) und die Hilfe der Stadt wirkt dann doch leider nur halbherzig.
In den letzten Wochen musste ich unter anderem der Großen erklären, was ein Mord ist. Während andere Kinder auf dem Weg zur Kita Pfützen zählen oder reinspringen, könnten wir Kotzhaufen zählen. Rennt die 5 jährige ein paar Meter voraus, habe ich schreckliche Angst, dass sie fällt. Klar, ein Sturz bei einen laufenden Kind … normal! Warum macht die Frau sich so ins Hemd? Antwort: Weil überall Scherben liegen.
Sonntagmorgens wird von einem Auswärtigen die Kommode, die online verkauft wurde abgeholt (#Nachhaltigkeit) und ich schäme mich beim Anblick meiner Straße. Überall liegt Müll, Scherben, es riecht nach Urin.
Aber schönes Stichwort: Die Tochter darf die Haustüre nämlich nicht mehr anfassen, ich selbst nur mit spitzen Fingern und so wenig wie möglich. Sie ist zu einem Pissoir geworden.
Auf unserem Stammspielplatz gehen morgens die Muttis rum und sammeln die Kippenstummel, Flaschen und Müll ein. Ich traue mich morgens nicht mehr alleine oder mit den Kindern Brötchen holen zu gehen. Zu oft wurde ich von “Übriggebliebenen” angemacht oder angepöbelt.
Es ist, während ich das hier schreibe, übrigens mitten in der Nacht. Ich halte mein Baby im Arm, damit es schlafen kann. Draußen veranstaltet jemand mitten auf der Straße mit einer tragbaren Box einen Rave. Frauen gröhlen. In der Nacht davor war es eine Schlägerei, die Nacht davor Flaschen, die zerschlagen wurden. Davor wars der Gastronom, der viel zu laut und viel zu lange die Boxen aufgedreht hatte. Selbst wenn man das Ordnungsamt als Anwohner ruft, selbst wenn sie dann kommen, hat man leider nur für maximal 20 Minuten Ruhe. Dann geht es wieder los…
Es ist nicht mehr nur Karneval und ein paar heiße Tage im Sommer. Es ist jedes Wochenende und auch oft unterhalb der Woche. Seitdem jemand hier umgebracht wurde, sieht sie Stadt nicht mehr weg. Danke dafür. Aber so rein subjektiv betrachtet, ist es einfach nicht genug. Es reicht nicht aus…. Kotzepfützen zählen, Scherben, Müll ausweichen und nachts wach sein – bedingt durch Lärm – ist aber immer noch Thema.
Ich liebe unser Veedel, unsere Stadt. Zur Zeit, besonders am Wochenende, muss ich mich nur manchmal laut daran erinnern.”
Ein Kommentar für “Leserin-Geschichte: Wohnen in der Kölner Innenstadt ist laut”