“Wenn ein Mann seine Frau bei einer natürlichen Geburt begleitet, ist das nicht ein bisschen so, als ob er zusieht, wie seine Lieblingskneipe abbrennt?” Ja, Tatsache, auch als emanzipierte Frau in den Dreißigern (okay, eher ende Dreißig) hat man im hormongefluteten Hirn kurz vor der Geburt die beklopptesten Gedanken. Über die anderen. Sorgen, was zum Beispiel ausser des Babies beim Pressen. noch so das Tageslicht erblicken könnte, mal ganz zu schweigen. Dementsprechend war ich auch nicht zu Tode betrübt als es hieß: Beckenendlage und Köpfchen-Becken-Missverhältnis: Kaiserschnitt. Konnte ja keiner ahnen, was alles passieren wird.
Die Schwangerschaft war entspannt und ich war es auch. Zumindest hätte ich das gerne von mir behauptet. Wäre aber gelogen. Den Abend vor dem Entbindungstermin saßen der Gatte und ich bis tief in die Nacht auf dem Balkon, haben Musik gehört und geredet. Das erste mal in meinem Leben stand ein Termin an, den ich in keinster Weise verschieben, absagen oder gar schwänzen konnte. Und das war irgendwie unheimlich.
Um 8 Uhr sollte die OP starten und um 6 Uhr sollten wir uns am Kreiẞsaal melden. An schlafen war nicht zu denken. Da ich in Zukunft viele schlaflose Nächte erwartete, fing ich halt heute schon mit der Ersten an. Am Morgen weckte ich meinen Mann und packte meine Kliniktasche (ja, tatsächlich jetzt erst) und wir fuhren ins Krankenhaus. Ich war nach aussen ruhig und stiefelte scheinbar selbstbewusst in Richtung Kreißsaal. Als ich klingelte ging nichts mehr – ich bekam Panik und brach in Tränen aus. Aber so richtig. Mir fehlte nur noch das weisse Stofftaschentuch wedelnd vorm Gesicht ich hätte in jedem Kitschfilm das hysterische Burgfräullein spielen können.
Tja, da stand ich nun. Völlig aufgelöst und panisch, aber mit dem besten Gatten der Welt an meiner Seite. Er versprach mir, dass er während der OP die ganze Zeit an meinem Kopf sitzen und schlimme Altherrenwitze von Fips Asmussen rezitieren wird. Damit kann ich arbeiten.
Also ab in den Kreißsaal, CTG, Ultraschall und das übliche Gedöns. Ich blieb stark. Und dann begang ich meinen ersten, fatalen Fehler. Also eigentlich schon bei der Voruntersuchung zwei Tage vorher. Als Privatpatient kommt man ja in den „Genuss” der Chefarztbehandlung. Und ich sag euch eines: ich bin Krankenhausprofi. Ich kenne mich aus. Mir macht man nichts vor. Schliesslich habe ich alle Folgen von Greys Anatomie gesehen Und mal ehrlich, von wem wollt ihr lieber operiert werden? Von Doctor Webber oder von McDreamy? Seht ihr.
Also mein eigentlicher Gedanke war, dass ein Oberarzt jeden Tag zig OPs durchführt, während ein Chefarzt doch vergleichsweise selten das Skalpell schwingt. Also tat ich das für mich logischste und verzichtete auf meinen Privatversicherten-Status. Ohne zu Spoilern: Schnapsidee.
Als ich es aussprach hatte es die gleiche Wirkung, als hätte ich die Mutter des Adressaten beleidigt. Und deren Mutter. Und die Tante, Schwester und Schwippschwägerin achten Grades. Kurz gesagt, man wurde unhöflich zu mir. Und zwar so richtig. Aber dazu später.
Jetzt liege ich ja erstmal im Kreiẞsaal und die Zugänge sollten gelegt werden. Und ja, ich bin ein Weichei. Ich musste mich hinlegen und was soll ich sagen? Es tat weh. Schweineweh. Mehr als normal. Aber was weiss ich schon. Meine Einwände wurden weggelächelt obwohl ich auch als Weichei beurteilen konnte: Hier läuft was falsch.
Mit einem immer tauber werdenden Arm ging es dann in Richtung OP-Vorraum zum Setzen der Spinalanästhesie. Während der Gatte zur Beruhigung der Nerven fix dem lieben Gott ein Rauchopfer darbieten ging (okay, er war eine rauchen) traf ich auf SIE. Aufgrund meiner guten Erziehung nenne ich sie mal, Narkoseärztin”. Der fleischgewordene Alptraum ohne Empathie oder Feingefühl. Satans zickige grosse Schwester redete nicht mit mir. Gar nicht. Null. Kein Hallo kein Wie geht’s kein IRGENDWAS.
Als ich sie auf meinen pochenden Arm ansprach verdrehte sie die Augen und sagte ZU IHRER ASSISTENTIN: Meine Güte wie soll ich DER denn eine Spinale legen, wenn DIE schon bei einem Zugang rumjammert. Am besten wir machen eine Vollnarkose. Ich halte mich eigentlich für schlagfertig und einigermaßen gefestigt. Im OP-Hemdchen mit der nackten Kiste auf einer Pritsche leidet das Selbstbewusstsein allerdings arg bei mir. Ich sagte gar nichts und heulte ein Ströphchen vor mich hin.
Zwischen zwei Japsern hörte ich wie jemand sagte: Oh Mist, der Zugang ist nicht richtig. Der halbe Beutel ist unter die Haut gelaufen. Okay, schöne Info. Kommentarlos wurde er entfernt und ein neuer gelegt. Ich wurde ebenfalls kommentarlos auf die Seite gerollt und es wurde EBENFALLS kommentarlos an meinem Rücken rumgedrückt. Als ich wieder auf dem Rücken lag merkte ich ein übles Kribbeln in den Beinen und sprach es an. Die Reaktion von Luci(fer): „Das ist die Narkose, oder sollen wir sie ohne aufschneiden?”
Mein Selbstwertgefühl lag mittlerweile weinend unterm Bett und ich hatte Angst. Angst um mein Baby, Angst um mich. Angst vor all dem, was jetzt kommen würde. Ich wurde dann in den OP geschoben, vorbei an den ordentlich sortierten Gerätschaften auf einem Tablett. Zumindest vermute ich, dass es sich hierbei um das OP-Besteck handelte. Es könnte auch durchaus ein Ikea-Bausatz für eine Schrankwand gewesen sein – zumindest sahen Teile davon aus wie Regalwinkel. Kein beruhigender Anblick. Viele Menschen liefen umher und sie hatten alle etwas gemeinsam: niemand sprach mit mir. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als der Gatte endlich den OP betrat.
Timo war mein Fels in der Brandung, obwohl er selbst mit den Nerven durch war. Es muss nicht erwähnt werden, dass mit ihm ebenfalls nicht gesprochen wurde.
Jetzt ist es aber so: Schmerzmedikamente und Narkosen sind bei mir schwierig. Erstens vertrage ich sie nicht gut und zweitens baue ich sie sehr schnell ab. Vor Jahren bin ich mal während einer Kiefer-OP aus der Vollnarkose erwacht. Da konnte niemand was für aber schön war es nicht. Diese Information interessierte hier allerdings niemanden. Jetzt hat man selbst ja keine Vergleichswerte aber ich muss sagen: ich habe alles gefühlt. Nicht als Schmerz und wirklich auszuhalten aber auch nicht wirklich angenehm. Ich spürte den (nicht angekündigten) ersten Schnitt, ich fühlte wie die Haut aufgerissen wurde. Ich spürte das Blut laufen und ich wartete darauf, dass jeden Moment der Schmerz reinknallt. Ich sah nur das weisse Tuch über meinem Bauch und meinen Mann.
Die Narkoseärztin war nicht an ihrem Platz sonder unterhielt sich am anderen Ende des Raumes mit irgendjemandem über ihre Wochenendplanung. Kein Witz. Ungelogen. Timo erzählte mir später, dass er etwas Angst hatte, da er sehen konnte, wie tief mein Blutdruck gefallen ist. Er war aber auch scheinbar der Einzige der sich hier für meine Werte interessierte.
Beim Vorgespräch zur OP (bevor ich die Privatpatienten-Katze aus dem Sack lieẞ) haben wir ganz besonders doll unseren Wunsch nach Bonding besprochen. Es war uns so unglaublich wichtig. Die Vorstellung, dass ich mit “offenem Bauch alleine im OP liegen muss, während mein Mann und mein Baby im Kreiẞsaal waren, fand ich schrecklich. Ich wollte nichts verpassen. Wollte bei meinem Baby sein. Wollte bei meinem Mann sein. Und das sollte laut Arzt auch ÜBERHAUPT KEIN Problem sein. Natürlich vorausgesetzt, dass das Baby keine Probleme hat. Wenn alles entspannt wäre würden sie Kalle in eine Kälteschutzfolie wickeln, mir würde er auf die Brust gelegt werden und der Kinderarzt käme dann im Kreiẞsaal dazu. Vollstes Verständnis und alles GAR KEIN PROBLEM. Was soll ich sagen, es kam natürlich anders.
Es wurde an meinem Bauch gerissen, gedrückt, geschnitten und mir wurde richtig übel. Doch dann hörten wir einen kleinen Schrei. Nicht laut, nicht wütend, einfach ein kleines “Hallo, da bin ich’. Doch der Schrei wurde leiser und leiser, klang immer weiter entfernt und war plötzlich weg.
Ich schaute Timo fragend an. Hab ich mich verhört? Kam es aus einem anderen Raum? Sind wir tatsächlich gerade Eltern geworden? Es muss so sein, aber sind wir sicher? Keiner sagte was und sehen konnten wir auch nichts. Und wenn es unser Sohn war, wo ist er jetzt? Ist etwas nicht in Ordnung? Und warum zum Teufel sagt hier keiner was?
Die nächsten fünf Minuten waren surreal. Ich muss wohl (mal wieder) geweint haben, kann mich aber an nichts erinnern. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Hebamme um die Ecke mit einem kleinen Bündel. Da war er also. Mir wurde das kleine Menschenpaket auf die Brust gelegt und ich konnte nur ein kleines Auge sehen. Ein paar Minuten lang waren wir zu Dritt. Ich schaute mir das kleine Äuglein an und vergaß für einen Moment alles andere.
Leider ging jetzt alles schnell: Die Hebamme kam, nahm Kalle und sagte zu Timo: Komm, wir gehen jetzt in den Kreiẞsaal. Hier ist es zu kalt für das Baby. Genau das wollte ich NICHT. Aber noch weniger wollte ich, dass mein kleiner Knösel alleine ist und daher nickte ich Timo zu, er solle mitgehen.
Und weg waren sie. Ich habe mich NIEMALS so alleine gefühlt. Ich habe gerade ein Kind auf die Welt gebracht und liege hier alleine, ohne dass einer mit mir sprach. Die Narkoseärztin war immer noch nicht zu sehen und ich starrte das weisse Tuch an. Bin ich gerade Mutter geworden? Geht es meinem Baby wirklich gut? Und was ist hier eigentlich los?
Irgendwann war dann das Nähen überstanden und ich wurde in den Kreißsaal geschoben, wo Timo das Bonding übernommen hat. Mein kleiner Sohn war gesund. Alle Werte waren top. Was uns aber niemand sagt, und wir erst beim ersten Windelwechsel sahen war, dass der Schnitt zur Öffnung der Gebärmutter einmal quer über Kalles Popo ging. Hätte er nicht in Beckenendlage gelegen, der Schnitt wäre quer durchs Gesicht gegangen.
Die Schmerzen nach dem KS waren schlimm und die Nachtmedikation ging nach hinten los. Alle erdenklichen Nebenwirkungen traten ein:
Schmerzverschlimmerung, Herzrasen, Übelkeit,
Panikattacken, kalter Schweiss und und und.
Die Reaktion der Nachtschwester: Sie schob das Babybettchen aus dem Zimmer mit den Worten: Den nehm ich mal mit, da können sie sich ja nicht drum kümmern. Da lag ich dann und rief heulend meinen Mann an. Und er war da für mich. Beruhigte mich, sprach die halbe Nacht mit mir, war einfach da.
Irgendwann war ich soweit, dass ich mich aus meinem Bett quälte und mit einem rechten Winkel zwischen Oberkörper und Unterkörper unter Schmerzen den Weg zum Schwesternzimmer quasi kroch, um mir mein Baby zu holen.
Wir kuschelten und alles wurde besser. Was am Ende blieb: beim Stillen wurde mir nicht geholfen. Es klappte von Anfang an nicht. Es war egal, ich bekam dann Fläschchen für Kalle. Hat keinen interessiert.
Mir fehlen die ersten Momente mit meinem Kind. Ich habe ihn gebadet und angezogen bekommen. Bei der U2 durfte ich nicht dabei sein, weil ich frisch operiert nicht schnell genug laufen konnte. Am gleichen Tag habe ich mich gegen den ärztlichen Rat aus dem Krankenhaus selbst entlassen.
Es war alles in allem kein schönes Geburtserlebnis und zog eine postpartale Depression nach sich. Was aber auch bleibt: die Gewissheit, dass ich nie wieder so mit mir umgehen lassen würde. Aber ich habe ein gesundes, grossartiges, wunderschönes Kind und einen Mann, auf den ich zählen konnte. Und das ist es, was am Ende wirklich für mich zählt.
Diesen sehr spannenden Geburtsbericht hat Linda geschrieben!
Wahnsinn .Man sollte meinen ,das sein Mensch mit Würde behandelt werden sollte .Aber das geht ja mal gar nicht .Alles gute der Familie