Schwanger mit Glasknochen
Interviews

Schwangerschaft mit Glasknochen – Interview mit Lisa

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie dankbar ich für die LÄCHELN UND WINKEN-Community bin, die nicht nur unheimlich lustig und liebevoll, sondern auch so vielfältig und aufgeschlossen ist, dass ich immer wieder die spannensten Interview-Partner*innen finde. Diesmal ist es Lisa, eine 32 Jahre junge Mama von einem kleinen Töchterchen (und 2 Sternchen), die zusammen mit ihrem Freund, dem Papa des Mäuschen, in Hamburg lebt und dort als Erzieherin arbeitet. Auf die Idee zum Interview kamen wir, weil sie mich auf Instagram anschrieb, um mir – eigentlich nur kurz – etwas zum Thema Geburt mit Glasknochen zu erzählen. Ich “biss” sozusagen sofort an und bat sie um ein Interview.

Vorab: Alle Fragen sind mit ihr abgesprochen. Eine haben wir auf ihren Wunsch rausgenommen. Und direkt in der ersten bin ich mit Schwung in ein Fettnäpfchen (oder besser FETTNAPF gesprungen), habe es aber stehen lassen, weil ich dadurch was lernen konnte und das genauso gerne an euch weitergeben wollte. <3

So, und jetzt wünsche ich euch viel Freude an diesem wirklich interessanten Interview! Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an Lisa dafür :-*

Schwangerschaft mit Glasknochen – Lisa erzählt

1. Wann wurde die „Glasknochenkrankheit“ bei dir diagnostiziert und welchen Einfluss hat sie von da an auf dein Leben genommen?

Den Begriff Glasknochenkrankeit finden ich und viele Betroffene problematisch. Das Wort „Krankheit“ gaukelt einem vor, dass es eine Heilung gibt, wie für so viele Krankheiten. Außerdem wird das Wort Krankheit oft mit einem langen Leidensweg verknüpft. Glasknochen ist eine angeborene Bindegewebsstörung durch einen Gendefekt und ist daher nicht heilbar. Es gibt zwar Medikamente zur Eindämmung, die auch bei Osteoporose eingesetzt werden. Aber eine Heilung schaffen auch diese Medikamente nicht.

Ich musste diese bisher zum Glück noch nicht nehmen. Ich sage über mich, dass ich eine (körperliche) Beeinträchtigung wegen Glasknochen habe. Es gibt unterschiedliche Typen der Glasknochen. Ich selbst bin Typ 1, die „einfachste“ Verlaufsform. Ich habe keine offensichtlichen Veränderungen in der Knochenform, lediglich meine blauen Skleren, langen dünnen Finger sowie die Überstreckbarkeit der Gelenke sind offensichtliche Anzeichen meiner Krankheit. Auf den ersten Blick ist meine Beeinträchtigung also erstmal unsichtbar für die meisten Menschen (außer ich habe natürlich einen Gips).

Der erste Verdacht auf diesen Gendefekt wurde geäußert als ich mir mit 11 Monaten beim Laufen lernen das Bein gebrochen habe. Dabei habe ich mich an einer Kommode hochgezogen, das Bein war aber noch unter der Kommode. Durch meine blauen Skleren (der Augapfel quasi, der sonst weiß ist) kam der behandelnde Arzt damals auf diesen Verdacht. Je häufiger ich mir etwas gebrochen hatte, desto sicherer wurde diese Diagnose. Bei 10 Brüchen habe ich das Zählen aufgehört (gebrochene Zehen habe ich eh nie mitgezählt, damit sind wir nicht mal zum Arzt gegangen). Humangenetisch austesten lassen habe ich mich erst als Erwachsene. Dort wurde die Diagnose Osteogenesis Imperfecta (Glasknochen) genetisch bestätigt.

In meiner Kindheit wurde ich vom Sportunterricht befreit nachdem ich mir im Schwimmunterricht den Ellbogen und das Jahr drauf beide Knochen im Schienbein gebrochen hatte. Kontaktsportarten wie Fußball waren tabu. Muskelaufbauübungen wurden mir ans Herz gelegt – darüber freut sich doch jeder Teenie…
Je älter ich wurde, desto mehr wurden mir die ganzen Begleiterscheinungen bewusst. Als mein Körperwachstum abgeschlossen war, hat sich meine Knochendichte stabilisiert. Ich wurde weniger anfällig für Brüche. Aber auch meine Muskeln, Sehnen und Gelenke sind von dem Gendefekt betroffen. Anstelle von einem Bruch hatte ich also meist eine gerissene Sehne oder ähnliches.

Außerdem bin ich weniger belastbar als im Vergleich zu Gleichaltrigen, auch ermüde ich schneller und habe ein höheres Schlafbedürfnis. Da aber meine Beeinträchtigung nicht ersichtlich ist für die Meisten in meinem Umfeld, bedeutet es für mich: mich zu erklären, immer und immer und immer und immer und immer und immer und immer, immer wieder.

Auf die Dauer finde ich das sehr zermürbend, oft werden mir meine Bedürfnisse (z.B. nach Schlaf) abgesprochen bzw. mir wird nicht geglaubt, dass ich erschöpft bin („Stell dich nicht so an, andere schaffen das auch“). Daher würde ich sagen, dass vor allem dies einen großen Einfluss auf meine Entwicklung genommen hat.
Jeder Bruch ist bei mir gut verheilt, ich musste einige Male operiert werden, habe Schrauben oder Nägel eingesetzt bekommen. Ich denke meine Angst vom Fallen und vor Höhe kommt von den Glasknochen. (Hin)fallen endete meist nie gut…

2. Wolltest du schon immer Mama werden?

Ich wollte schon immer eigene Kinder haben. Am allerliebsten 3 Kinder. Damals war ich weniger informiert als heute. Heute weiß ich um die Vererbung meiner Glasknochen. Ich habe mich oft gefragt, wie es ist, sie unwissentlich zu vererben. Ob mein(e) Kind(er) mir dies einmal vorhalten würden. Ich finde mein Leben absolut lebenswert, trotz der Einschränkungen.
Mit dem Wissen, dass ich den Gendefekt zu 50% vererbe, musste ich aber erstmal klarkommen. Ausschlaggebend für eigene leibliche Kinder war dann aber das Wissen, dass ich die Glasknochen nicht „stärker“ weitergeben kann, als ich sie selbst auch habe. Wobei Glasknochen so vielschichtig sind. Manche Betroffene mit Typ 1 hatten nur einen Bruch. Andere 20…

3. Was waren deine (größten) Ängste in Sachen Schwangerschaft?

Ich hatte wahnsinnigen Respekt vor den körperlichen Veränderungen in einer Schwangerschaft. Ob mein Körper dem gewachsen ist und das schafft. Auch die hormonelle Umstellung kann sich auf die Stabilität der Knochen auswirken.
Die Frage, ob es mein Körper überhaut schafft, einen kleinen Menschen in sich wachsen zu lassen und ausreichend mit allem zu versorgen, hat mich stetig begleitet.

Neben den Sorgen um mich, die meist zweitranging waren, habe ich mir natürlich immer Sorgen ums Baby gemacht. Ob dort alles passt. Ob der Knochenbau sich „normal“ entwickelt. Ob eine altersgerechte Entwicklung stattfindet. Ob das Baby mit allen

wichtigen Nährstoffen versorgt wird, die wichtig sind (Calcium für die Knochen z.B.)

4. Euer erstes Baby – euren Sohn Finjo – musstet ihr zu den Sternen ziehen lassen … gab es da eine Verbindung zu einer potenziellen Glasknochen-Diagnose?

Ich war vor unserem Finjo sogar schon einmal schwanger und hatte in der 10. Woche leider eine Missed Abortion.
Die Freude war riesig, als wir bei Finjo wieder positiv testen durften und es im ersten Ultraschall einen Herzschlag gab (den gab es bei unserem Bläschen nämlich nie). Als wir dann beim erst Trimester Screening die Nachricht bekommen haben, dass Finjo schwer krank ist mit einem Herzfehler und es nicht schaffen wird, hat uns das den Boden unter den Füßen weggezogen. Wir haben uns dafür entschieden, das Fruchtwasser punktieren zu lassen, damit geklärt werden konnte, was unser Finjo hat. In der 15. Schwangerschaftswoche ist unser Finjo dann unser zweiter Stern geworden.
Erstaunlicherweise stellte sich im Anschluss heraus, dass Finjo einen ganz eigenen Gendefekt hatte – das Cornelia DeLange Syndrom – aber nicht meine Glasknochen geerbt hatte. Hatte ja auch schon genug zu kämpfen, der arme Kerl. Daher hatten meine Glasknochen überhaupt keinen Einfluss, es war einfach eine dumme Laune der Natur.
Meine Glasknochen wurden übrigens nicht an mich vererbt, sondern waren eine Spontanmutation.

5. Als du zum dritten Mal schwanger warst … wie schnell durftest du als Kita-Mitarbeiterin ins Beschäftigungsverbot gehen?

Das Beschäftigungsverbot in meiner dritten Schwangerschaft war sehr nervenaufreibend und emotional für mich. Allein aufgrund unserer Vorgeschichte und meiner Beeinträchtigung waren sich sämtliche betreuenden Ärzte sicher, dass eine Kita kein sicherer Ort für mich als Schwangere darstellt. Aussprechen wollte das Beschäftigungsverbot aber kein Arzt. Ich habe mich wirklich gefühlt, als ob man mich im Regen stehen lässt … ach was, im Gewitter!
Zum Glück habe ich einen super tollen Arbeitgeber, der dieses Risiko nicht auf sich nehmen wollte und mich daher von sich aus ins Beschäftigungsverbot geschickt hat. Rückblickend war das Beschäftigungsverbot absolut richtig und wichtig.

6. Wie verlief deine Schwangerschaft?

 Mein Freund und ich wollten uns auf eine genetische Veranlagung für das DeLange Syndrom testen lassen, allerding wurde ich vorher wieder schwanger. Die Zeit bis zum ersten Frauenarzt-Termin und anschließend bis zum First Trimester Screening verging so unendlich langsam. Ich hatte solche Ängste, dass das Baby wieder krank sein könnte, dass ich am liebsten die ganze Zeit geweint hätte. Aber ich habe versucht mich so gut es geht abzulenken. Nach dem ersten Ultraschall mit sichtbaren Herztönen und als die ersten 12 Wochen gut überstanden waren und wir auch beim Screening einen unauffälligen Befund hatten, konnten wir endlich unseren Familien, Freunden und Kollegen von der Schwangerschaft erzählen.
Die Freunde war wirklich riesig, die Sorgen aber ständig präsent. Wir mussten mehrmals zum Arzt bzw. in die Notaufnahme, da ich Blutungen hatte. Diese waren zum Glück unbedenklich, woher sie kamen weiß man nicht genau. Ich hatte eine Vorderwandplazenta, die den Ultraschall komplizierter machte.

Ab der 24. Woche wurde eine Gebärmutterhalsverkürzung festgestellt. Um das Risiko einer Frühgeburt zu minimieren, habe ich ab da also die meiste Zeit liegend im Bett oder am Sofa verbracht. Ich habe Netflix dreimal durchgeschaut. ;)
Zum Glück hat sich der Wert irgendwann stabilisiert und nicht weiter abgenommen. So habe ich mich von Woche zu Woche gehangelt, erst bist zur 12. Woche, dann bis zur 24. (ab da überlebt ein Frühchen meistens), dann bis zur 31. (oder 33., wenn die Lungenreife eintritt), dann bis zur 37. (ab da zählt das Baby nicht mehr als Frühchen).

Mein Freund und ich haben jeden Wochenwechsel zelebriert und in einer App gelesen, was sich in der kommenden Woche so entwickelt.  Ob diese Verkürzung im Zusammenhang mit den Glasknochen steht, weiß ich ehrlich gesagt nicht, bzw. konnte uns kein Arzt Auskunft darüber geben.
Ich habe einen super tollen Frauenarzt, der mich sehr einfühlsam durch alle Schwangerschaften begleitet hat. Bei der Gebärmutterhalsverkürzung nahm er sich wöchentlich Zeit um die aktuelle Lage zu überprüfen und ob ggf. weitere Schritte notwendig wären (z.B. manuelle Verschließung des Gebärmutterhalses). Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar.

Im Anschluss an jeden Frauenarzttermin sind wir immer zum güldenen M gefahren, das war quasi das Ritual von meinem Freund und mir.

Wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden erneut Fruchtwasser zu punktieren. Hierbei hätten wir schon in der Schwangerschaft erfahren können, ob die Glasknochen vererbt wurden oder nicht. Die Risiken die so eine Punktion aber mit sich bringt, waren uns aber zu hoch.

 7. Und die Geburt? Wie verlief die?

Die Geburt war absolut komplikationslos und unspektakulär. Ich hatte einen geplanten Kaiserschnitt in der 39. Schwangerschaftswoche. Ich wollte kein Risiko tragen, weder für mich noch für die Kleine.  Wir waren super aufgeregt an dem Tag, ich hatte Angst wie ich die OP und die anschließende Belastung wegstecken würde. Ob alles gut geht.
Oft bekommt man ja als Schwangere kurz vor der Entbindung sämtliche Horrorgeschichten erzählt, von: das Kind wird fallen gelassen … bis: zu die SPA hat nicht gewirkt. Richtig gut, wenn man mit so einem Wissen ins Krankenhaus fährt…. Liebe Mamas, bitte behaltet sowas für euch und erzählt es nicht ungefragt einer Schwangeren!!

Nachdem die SPA gesetzt wurde und wirkte, ging alles super schnell. Mein Freund saß neben mir und gefühlt keine 10 Minuten später haben wir den ersten Schrei unserer kleinen Maus gehört und sie keine 5 Minuten später in die Arme gelegt bekommen. Es war wunderschön!

OP technisch verlief alles ohne Probleme und Komplikationen, auch der Heilungsprozess war normal. Ich würde mich jederzeit wieder für einen Kaiserschnitt entscheiden.

Leider gab es vorab einige Diskussionen mit dem Krankenhaus bzw. den Ärzten, ob man nicht doch erst eine natürliche Geburt probieren sollte… Das war wieder einer der oben beschriebenen Momente, wo ich mich nicht ernst genommen gefühlt habe und mich zum millionsten Mal erklären musste.

 8. Da ich mit einem ausgeprägten Hüftschaden auf die Welt gekommen bin und DAS bei meinen Babys immer als erstes ausgeschlossen sehen wollte, ahne ich, dass auch du schnell wissen wolltest, ob du deinem Kind deine Glasknochen vererbt haben könntest? Wie seid ihr da ran gegangen?

Ich habe in Hamburg einen super Osteologen gefunden, der sich auf Glasknochen spezialisiert hat. Er hat mich in der Schwangerschaft betreut. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich nicht stillen kann / darf, da Stillen dem Körper super viel Calcium entzieht, was die Knochen unter Umständen spröde werden lässt. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich das Okay bekommen habe 3 bis 6 Monate zu stillen. Wie schon beschrieben, haben wir uns gegen eine Punktion des Fruchtwassers entschieden. Mittlerweile kann man Gentests auf Glasknochen ganz einfach per Speichel entnehmen. Diesen Test haben wir dann in der Osteologie in Anspruch genommen als die Kleine ca. 8 Wochen alt war. Wir warten leider immer noch auf das Ergebnis. Sie hat meine blauen Skleren geerbt, aber nicht die langen dünnen Finger. An manchen Tagen bin ich mir sicher, sie hat Glasknochen, an anderen bin ich mir sicher, sie hat sie nicht. Mein Freund ist übrigens überzeugt, dass sie sie nicht geerbt hat. Es bleibt also spannend. Mir war es wichtig, das jetzt schon zu wissen. Um besser damit umgehen zu können. Etwas aussagekräftiges bei Ärzten zu haben und nicht mit dem „Verdacht“ auf diesen Gendefekt leben zu müssen.

9. Gibt es noch etwas, dass du hier loswerden möchtest? <3

Die Kinderwunschzeit ist sooo emotional, von Aufgeregtheit bis zur Freude, der Angst und der Trauer jemanden geliebtes gehen lassen zu müssen, bevor man ihn überhaupt kennenlernen durfte. Wir sind durch die Hölle gegangen um an dem Punkt zu sein wo wir jetzt sind: mit einem kleinen Baby an unserer Hand. Ein Kind, bei dem ich jeden Tag so viel neues entdecke, sie jeden Tag so viel dazulernt und unser Leben einfach nur bereichert und komplett auf den Kopf stellt.

Außerdem würde ich sehr gerne noch kurz einen ganz tollen Verein erwähnen/verlinken, bei dem sich Glasknochen-Betroffene mega toll vernetzen und austauschen können: https://oi-gesellschaft.de

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