Und wieder durfte ich mich ganz doll über eine Interview-Partnerin aus der Community freuen, die NICHT in Deutschland oder der DACH Region lebt, sondern wo ganz anders auf der Welt und daher PRÄDESTINIERT für diese Reihe auf dem Blog war! Tanja. <3
Die Mama von bald 3 Kindern an der Hand (die große Tochter -4 Jahre- und die kleine Tochter -2 Jahre- dürfen sich nämlich schon bald über ein weiteres Geschwisterchen freuen) und zwei Sternenkindern im Herzen, ist gemeinsam mit ihrem Mann (aber nicht nur :D) schon wirklich viel herum gekommen und erzählt nun, wo sie aktuell lebt und was dort anders ist als bei uns.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen dieses spannenden Interviews:
1. In welchem Land lebst du mit deiner Familie und seit wann?
Wir leben seit drei Jahren in China und werden noch zwei weitere Jahre bleiben.
2. Wie ist das mit der Kinderbetreuung bei euch? Gibt es ein ähnliches oder gar dasselbe Konzept wie hier?
Ein Träumchen und daher anders als in Deutschland ;) Unterstützung anbieten und vor allem auch annehmen, ist in China völlig selbstverständlich. Die Großeltern gehen in Rente, wenn die Enkelkinder auf die Welt kommen, weil es nicht nur um die Kinder, sondern auch um die Mutter geht. Es heißt, eine Schwangerschaft dauert ein Jahr und der Körper benötigt auch ein Jahr, um sich davon zu erholen. Schon alleine deswegen sind die Eltern eingebunden. Natürlich ist es menschlich eine Herausforderung, mit den eigenen Eltern und Schwiegereltern, plötzlich selbst Eltern zu sein. Daher gibt es eigentlich in jeder Familie noch eine Unterstützung, die sich um Einkaufen, Kochen, Haushalt oder die Kinder kümmert.
3. Wie alt sind die Kinder bei euch, wenn sie eingeschult werden und was ist an eurem Schulsystem vielleicht anders als an unserem in Deutschland?
Die Kinder sind hier auch zwischen sechs und sieben Jahre alt, wenn sie im September in die Grundschule kommen. Unsere Kinder sind noch zu klein, als dass ich hier von eigenen Erfahrungen berichten könnte. Aus unserem chinesischen Freundeskreis weiß ich, dass sich das Schulsystem in den letzten Jahren sehr gewandelt haben muss, weil es nicht mehr dem gleicht, was die Eltern selbst erlebt haben. Sie sagen, es sei nun sehr streng und ich merke es schon an den Uhrzeiten. Von 8 bis 17 Uhr in der Grundschule, danach gibt es bis auf Sonntag jeden Tag Kurse: ob schwimmen, tanzen, zeichnen, präsentieren oder sprachen, aber alles mit Lehrkräften. Nach der Grundschule ist es völlig normal, dass an weiterführenden Schulen bis Mitternacht gelernt wird. Auf den Straßen sehe ich Jugendliche außerhalb der Ferien kaum.
4. Fühlt ihr euch in Sachen medizinische Betreuung mit eurem Nachwuchs gut, schlechter oder vielleicht sogar besser als bei uns aufgehoben?
Ich fühle mich für die Schwangerschaft, Geburt und das Jahr danach tatsächlich besser aufgehoben. Hier ist wichtig zu berücksichtigen, dass ich mir private Gesundheitsversorgung leisten kann. Im öffentlichen Gesundheitswesen soll es ganz anders aussehen. Auch in Deutschland möchte ich hier unterscheiden.
In Deutschland war ich ein paar Jahre gesetzlich versichert und die meiste Zeit privat. Als ich gesetzlich versichert war, hat die Routineuntersuchung in der gynäkologischen Praxis 15 Minuten gedauert und als ich privat versichert war, 45 Minuten. Vor diesem Hintergrund sind also meine Erfahrungen zu sehen. In Deutschland war ich bei meinen zwei Sternenkindern und unserer ersten Tochter privat versichert und fühlte mich bei allen Kindern optimal versorgt.
China hat das noch einmal übertroffen. Patienten werden hier wie Kunden behandelt, alle Wünsche werden erfüllt und alle nehmen sich die Zeit, die der Patient für nötig hält. Schon alleine die chinesische Kultur mit ihrer chinesischen Medizin und der ganzheitlichen Gesundheitsbetrachtung führt, auch wenn westliche Schulmedizin angewandt wird, zu einer anderen Herangehensweise. Außerdem gibt es hier keine Generalisten, sondern Spezialisten, also Blutabnahme, Ultraschall, Kinderwunsch, 1. Trimester usw. machen alles Experten ihres Gebietes und nicht eine Person. Das war anfangs sehr ungewöhnlich und unangenehm für mich, mittlerweile bin ich sehr begeistert.
5. Vermisst du etwas, das es in Deutschland gibt, aber bei euch zuhause nicht?
Das Kasperletheater für meine Kids kommt mir aktuell als Erstes in den Sinn. Die Augsburger Puppenkiste, aber auch in und um Ulm sowie rund um München gibt es viele süße, kurzweilige, interaktive Handpuppentheater für Kinder. Selbst wenn ich hier ähnliches finden würde, wegen der Sprache könnte ich die Begeisterung nicht so erleben, wie ich es bei dem Theaterstück meiner Patennichte für ihre Cousinen gesehen habe. Sie haben uns hier in China besucht und zum Glück die Figuren und die Bühne geschenkt. Jetzt heißt es für meinen Mann und mich: üben, üben, üben, damit wir die nächsten Geburtstage hier in Shenyang mit einem Kasperletheater rocken.
Der Klassiker ist das Essen. So sehr ich am Anfang alles kosten wollte und völlig unbedarft bin, was fremde Küchen angeht, Heimweh lindert sich über den Magen am besten. Joghurt und Brot machen wir nun selbst, aber neben Milch- und Backwaren fehlen einfach Grießbrei, Müsli, Früchtetee, Landjäger, Kräutertee und gescheiter Bergkäse.
Was mich völlig überrascht hat, wie sehr ich die Farben in Deutschland vermissen würde. Obwohl ich vor China schon über 30 Länder bereist habe, liefert dieser lange Aufenthalt im Ausland ganz besondere Eindrücke über die Heimat. Eigentlich hatte ich intensive, natürliche Farben immer mit Patagonien, Island und den Polarlichtern oder dem Amazonas in Verbindung gebracht, aber seit China steht Deutschland für mich für Farben.
Egal, ob beim Spazierengehen in Deutschland, Einkaufen oder was auch immer der Alltag bietet. Das Grün der Wiesn und Wälder, einfach nur wow, ein so starkes, saftiges und sinnliches Grün. Der Himmel, das Blau, das Weiß der Wolken, am besten noch in den Bergen, aber selbst in der Stadt. Das Meer, die Dünen, die Vegetation an der Nordsee.
Die blauen und weißen Himmelskunstwerke gibt es speziell hier in Shenyang tatsächlich auch ganzjährig, also viel mehr als in Deutschland, im Winter, weil die Sonne selbst im Winter ständig scheint, aber ansonsten habe ich das Gefühl überall einen Schleierfilter im Blick zu haben, was nicht mit dem Smog zusammenhängt, weil der sich stark reduziert hat und es auch auf dem Land so aussieht.
6. Was ist bei euch – deiner Meinung nach – viel besser als bei uns in „Good old Germany“? ;)
Die Zufriedenheit. Im China wird zirkulär, anstatt linear gedacht. Wir deutschen denken in einer Linie. Sie wird von der Vergangenheit, in der Gegenwart, bis in die Zukunft gezogen. Das zeigt nicht nur unsere Planung und unser Leben, sondern auch unsere Sprache mit den verschiedenen Zeitformen. Im Chinesischen verzichtet nicht nur die Sprache auf Zeitformen, sondern auch das Denken.
Wenn ich mit chinesischen Freunden am Montag ein Treffen für Sonntag ausmachen will, heißt es, darüber können wir doch Ende der Woche reden. Nicht weil kein Interesse besteht, sondern weil niemand wissen kann, was der entsprechende Moment bringen wird.
Viel wichtiger als Pflichten, Aufgaben und Termine, sind Gesundheit mit Essen, Schlaf und Ausgeglichenheit. Es wird nur der eigene Moment beachtet und wenn sich verglichen wird, dann nicht wie in Deutschland, wie könnte es besser sein, sondern, eher: schlimmer geht immer, also kann ich auch immer zufrieden sein.
7. Möchtest du gerne noch etwas anderes erzählen??? Dann ist dafür hier natürlich auch noch Platz! <3
Ich wünsche mir, ich könnte die entspannte Stimmung mit nach Deutschland nehmen, wenn wir zurück in die Heimat ziehen. Ich habe Angst in alte Muster zu verfallen, mich lediglich über die Herausforderungen im gesellschaftspolitischen Tagesgeschehen aufzuregen, statt Chancen zu erkennen und vor allem, wie viel so verdammt gut in unserem Land läuft und was wir für eine enorme Lebensqualität haben.
Liebe Tanja, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast! <3
Und für alle, die gerne mehr von Tanja als Mama von Sternenkindern sehen und lesen wollen:
Hallo, vielen Dank für den tollen Einblick in eine fremde Kultur und Denkweise. Viele Grüße Evelyn