Norwegen
Interviews

Eltern-Interviews aus aller Welt: Anna Lena erzählt von ihrem Leben in Norwegen

Über die Mail von Anna Lena, Mama von 4 Kindern zwischen 12 und fast 4 Jahren, und ihrem Angebot, mir meine Eltern-Interview-Fragen zu beantworten, habe ich mich doll gefreut. Ich mein: Norwegen … das ist doch echt auch mal wieder ein wirklich tolles, spannendes Land, über das man maximal so ein paar Touristen-Infos im Kopf hat! Aber was die Besonderheiten in Sachen Familienleben oder Schulbildung oder medizinischer Versorgung sind – tja, da hatte ICH bisher null Ahnung! Dank Anna Lena und ihren Antworten bin ich jetzt viel schlauer und freue mich, sie hier nun mit euch teilen zu können! :D

Eltern-Interviews aus aller Welt: Anna Lena erzählt von ihrem Leben in Norwegen

1. In welchem Land lebst du mit deiner Familie und seit wann?

Wir leben in Norwegen. Ib seit bald 20 Jahren und ich seit 15 Jahren. Die Kinder sind alle hier in Norwegen geboren.

2. Wie ist das mit der Kinderbetreuung bei euch? Gibt es ein ähnliches oder gar dasselbe Konzept wie hier?

Die Städte und Gemeinden sind gesetzlich verpflichtet allen Familien, die dies wünschen, ab dem 1. Lebensjahr des Kindes einen Kindergartenplatz anzubieten, und so gehen die allermeisten Kinder hier in Norwegen beginnen mit einem Jahr in den Kindergarten.

Im norwegischen Bildungssystem wird viel Wert auf Inklusion gelegt und alle Kinder, unabhängig von ihrem Funktionsniveau, gehen gemeinsam in den Kindergarten.

Es gibt ein Kindergartengesetz, das genau regelt, welche Aufgaben Kindergärten haben, welche Beteiligung Eltern haben, welche Hilfestellung Kindergärten sichern müssen (zum Beispiel bei Kindern mit Bedarf für sonderpädagogische Betreuung) und wie viele Betreuer im Kindergarten arbeiten müssen.

Zusätzlich gibt es einen “Rahmenplan für Kindergärten”, der festlegt, was Kindergärten inhaltlich liefern müssen, und die meisten Städte und Gemeinden haben eigene Qualitäts-Entwickungspläne für ihre Kindergärten.

3. Wie alt sind die Kinder bei euch, wenn sie eingeschult werden und was ist an eurem Schulsystem vielleicht anders als an unserem in Deutschland?

Alle Kinder beginnen in dem Jahr, in dem sie sechs Jahre alt werden, im August in der 1. Klasse in dem Schulkreis, wo sie wohnen. Die Schule nennt man “barneskole” (Kinderschule) und sie deckt die Klassenstufen 1 bis 7. Alle Schulen bieten einen Hort für die Kinder der Klassen 1 bis 4 an, und weil eigentlich alle Eltern Vollzeit arbeiten, gehen die meisten Kinder dort hin und verbringen so den Nachmittag mit ihren Freunden im Hort.

Das Jahr in dem die Kinder 13 Jahre alt werden, wechseln alle Jugendlichen an die “ungdomsschule” (Jugendschule). Diese Schule deckt die Klassenstufen 8 bis 10. Auch hier gilt das Prinzip der Nachbarschaftsschule und die allermeisten Jugendlichen gehen auf die Schule in ihrem Schulkreis. In der ungdomsskole werden mehrere barneskole zusammengelegt, so dass die Schüler normalerweise viele neue Mitschüler bekommen.

Nach der 10. Klasse wechseln eigentlich alle Schüler an die weiterführende Schule (“videregående skole”), egal ob sie die Hochschulreife erwerben wollen oder eine Berufsausbildung machen. Für die weiterführende Schule wählen die Jugendlichen die Schule nach dem Profil, das sie wünschen. Einige Schulen bieten klassische Linien an, die zur Hochschulreife führen, andere Schulen haben eine starke Ausrichtung für zum Beispiel Tanz, Theater und Musik, Sport oder Naturwissenschaften.

Der größte Unterschied im norwegischen Schulsystem ist vermutlich, dass es erst ab der 8. Klasse Schulnoten gibt, und dass man in der Regel nicht Schuljahre wiederholt. Ich mag, dass die Schulpädagogik hier in Norwegen sehr darauf ausgerichtet ist, dass die Kinder und Jugendlichen lernen zu lernen. Die Lehrpläne fokussieren mehr auf Fertigkeiten, die erlernt werden sollen und nicht welches Wissen die Schüler sich aneignen sollen. Mit meinem deutschen Hintergrund war ich zunächst skeptisch, weil so wenig Zug und Disziplin im Schulsystem ist. Inzwischen muss ich sagen, dass ich das System liebe, weil den Kindern Zeit gibt, sich in ihrem Tempo zu entwickeln. Unsere große Tochter hat lange gebraucht, um eine eigene Motivation fürs Lernen zu entwickeln. In der 6. Klasse fiel dann der Groschen und seitdem freut sie sich über alles Neue, was sie lernt. In Deutschland hätte diese etwas langsamere Entwicklung möglicherweise eine direkte Konsequenz auf ihre schulische Karriere gehabt.

4. Fühlt ihr euch in Sachen medizinische Betreuung mit eurem Nachwuchs gut, schlechter oder vielleicht sogar besser als bei uns aufgehoben?

Ja, wir fühlen uns hier sehr gut aufgehoben. Unser erster Kontakt ist immer unser Hausarzt, der uns dann im System zu Spezialisten weiterleitet, wenn es nötig ist. Man muss dazu allerdings sagen, dass wir in der zweitgrößten Stadt des Landes leben, und so guten Zugang zu Spezialisten und Krankenhäusern haben, sollte das nötig sein.

5. Vermisst du etwas, das es in Deutschland gibt, aber bei euch zuhause nicht?

Interessanterweise vermisse ich noch immer vor allem Essen und Lebensmittel. Für das meiste haben wir inzwischen Ersatzprodukte gefunden, aber einen “deutschen Döner” oder ein Spaghettieis müssen wir immer haben, wenn wir in Deutschland zu Besuch sind.

6. Was ist bei euch – deiner Meinung nach – viel besser als bei uns in „Good old Germany“? ;)

Zwei Dinge fallen mir auf, die mir fehlen würden, sollten wir zurück nach Deutschland ziehen: die Wichtigkeit von Familie und Kindern und deutlich flachere Hierarchie.

Hier in Norwegen wird das Familienleben geschätzt und gefördert. Wir haben fantastische Elternzeitordnungen, Anspruch auf vollbezahlt frei, wenn die Kinder krank sind und alle akzeptieren, dass du spätestens um 16 Uhr das Büro verlässt, weil du dein Kind im Kindergarten abholen musst. Wie hoch das Wohl der Kinder und Jugendlichen geschätzt wird, hat sich auch während der Coronapandemie gezeigt: Die Schulen waren nur vier Wochen komplett geschlossen. Danach haben alle Maßnahmen darauf abgezielt, Kinder und Jugendliche freizuhalten von Begrenzungen.

Die deutlich flachere Hierarchie hier in Norwegen habe ich sehr zu schätzen gelernt. Zusammen mit starken Arbeitnehmerrechten und starken Gewerkschaften in wirklich allen Berufen, führt das zu einem geordneten Arbeitsleben, dass sich mit Familienleben vereinbaren lässt. Ich glaube nicht, dass mein Mann und ich in Deutschland beide Vollzeit arbeiten würden, und ich glaube, dass ich doch sehr anecken würde in einer deutschen Verwaltung mit meiner Sozialisierung aus Norwegen, wo ich deutlich sage, was ich meine und sehr selbstständig arbeite.

Liebe Anna Lena, vielen Dank für diesen Einblick in dein bzw. das (Familien-)Leben in Norwegen!!!

Foto-Credit: Anna Lena privat

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