Geburtsbericht
Geburtsberichte

Anne erzählt

Freitag. Als die Wehen gegen 18:00 Uhr einsetzen, sitzt der Körnchenpapa vor dem Computer und zockt online mit den Kumpels. Mach ruhig, habe ich vorweg gesagt. Wer weiß, wie oft du noch die Gelegenheit hast. Denn unser Körnchen ist schon sechs Tage überfällig. Also sage ich keinen Mucks, als ich merke, dass ich regelmäßige Wehen habe, sondern schaue nur auf die Uhr. Pünktlich aller 10 Minuten kommt eine, wie ein stärkerer Menstruationsschmerz. Nicht sehr schmerzhaft aber ich weiß sofort: Das ist kein blinder Alarm. Erst als der Körnchenpapa sich vom Computer verabschiedet hat, weihe ich ihn ein. Wir sind beide aufgeregt, allerdings ist uns bei der mangelnden Stärke der Wehen bewusst, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sich wirklich was bewegt – im wortwörtlichen Sinne. Also gehen wir wie gewohnt um 23:00 Uhr schlafen.

Samstag. Für mich ist die Nacht um 02:30 Uhr vorbei. Die Wehen werden stärker, ich kann nicht mehr schlafen. Und aufgeregt bin ich auch. Jetzt will es also bald kommen, unser erstes Kind. Wir wissen nicht, ob es ein Junge oder Mädchen wird, ich erwarte allerdings einen Jungen. Im dunklen Wohnzimmer sitze ich am Schreibtisch und denke voller Vorfreude an die bevorstehende Geburt. Wir haben eine Geburt im Geburtshaus geplant, eine Entbindung im Krankenhaus kam für uns nie in Frage. Keine PDA, keine Kabel und piepsenden Geräte, kein grelles Licht und vor allem keine Ärzte, die mich pieken und über meinen Kopf hinweg entscheiden. Schön natürlich soll es werden, nur begleitet vom Körnchenpapa und meiner Hebamme soll unser Körnchen schlüpfen. Um 8:00 Uhr wecke ich den Körnchenpapa und lege mich zu ihm ins Bett. Noch eine letzte Runde kuscheln zu zweit. Die Wehen kommen immer noch alle 10 Minuten und ziehen inzwischen ordentlich. Später am Vormittag rufe ich meine Hebamme an. Sie sagt mir, ich soll mich entspannen, so lange ich kann, und erneut anrufen, wenn die Wehenabstände auf 3-5 Minuten geschrumpft sind. Gesagt – getan. Bis zum Mittagessen vertreibe ich mir mehr schlecht als recht die Zeit, die Wehen veratme ich. Dann plötzlich verringern sich die Abstände zwischen den Wehen. Erst sind es 8 Minuten, dann 5 und schließlich nur noch 1 oder 2 Minuten Pause. Ich rufe erneut meine Hebamme an und verabrede mich mit ihr im Geburtshaus. Während der Wehen mag ich nicht mehr sprechen und lehne mich an die Küchentheke. Versuche, den Beckenboden zu entspannen. Der Körnchenpapa ruft ein Taxi. Schnell noch einmal die Checkliste für die Geburtstasche durchgehen, dann ab ins Geburtshaus. Während der Autofahrt kommen die Wehen beinah im Minutentakt, jede Bodenunebenheit löst eine neue aus. Ich bekomme langsam eine Vorahnung auf das, was mich erwartet.

Im Geburtshaus angekommen finde ich alles so vor, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Hebamme hat Kerzen aufgestellt, die Atmosphäre ist entspannt und ich fühle mich geborgen. Hier kann ich mich fallen lassen. Der erste Schock folgt jedoch bei der Untersuchung meines Muttermundes: Dieser ist fast überhaupt nicht geöffnet. 12 Stunden Wehen und nichts ist passiert? Ich bin enttäuscht. Meine Hebamme meint dazu noch, es hätte eigentlich keinen Sinn, uns schon da zu behalten und wir warten eine Stunde. Wenn sich bis dahin nichts getan hat, schickt sie uns wieder nach Hause. Das macht mir Angst. Meine Wehen sind so stark und schmerzhaft, dass ich laut auf „Uuuuuuuuh“ ausatme und in die Knie gehe. Wie soll ich denn in diesem Zustand wieder nach Hause und später noch einmal ins Geburtshaus kommen? Der Körnchenpapa beruhigt mich. Erstmal abwarten, sagt er. Also entspanne ich mich und konzentriere mich voll auf die Wehen. Laufe am Arm des Körnchenpapas die Treppen im Geburtshaus hoch und wieder runter, hoch und runter. Veratme die Wehen, die stetig schmerzhafter werden. Nach 2 Stunden schickt meine Hebamme den Körnchenpapa weg, er soll uns was zu essen holen und sich danach selbst etwas hinlegen. Eigentlich ist mir das gar nicht recht aber ich vertraue darauf, dass sie weiß, was zu tun ist. Als wir allein sind, lehne ich mich an den Bettrand und lasse die Hüften kreisen. Meine Hebamme massiert mir dabei den Rücken. Eine Stunde lang machen wir das, dann kann ich nicht mehr. Ich habe bereits das Gefühl, mit meinen Kräften am Ende zu sein und die starken Schmerzen machen mich hilflos. Meine Hebamme untersucht nun erneut den Muttermund und stellt fest, dass dieser sich nur knapp 1,5 cm geöffnet hat. Dabei sind seit Ankunft im Geburtshaus fast 4 Stunden vergangen. Sie stellt uns vor die Wahl: Entweder wir fahren nach Hause und kommen später wieder oder sie fährt nach Hause und lässt uns für ein paar Stunden allein im Geburtshaus. Oder – Alternative 3 – wir verlegen mich ins nahegelegene Krankenhaus, wo für mich die Möglichkeit besteht, Schmerzmittel zu erhalten. Das wollte ich ursprünglich auf keinen Fall, jetzt allerdings finde ich diesen „einfacheren“ Weg mehr als verlockend. Nach kurzer Bedenkzeit entscheiden der Körnchenpapa und ich uns tatsächlich für eine Verlegung. Also geht es los: Geburtstasche wieder einpacken, umziehen. Die Hebamme fährt uns bis zum Krankenhaus und übergibt mich dort an die diensthabende Hebamme.

Diese ist mir sofort unsympathisch. Sie braucht 3 Anläufe, um mir eine Flexüle zu legen und so dauert es, bis ich die ersten Schmerzmittel erhalte. Doch deren Wirkung ist verschwindend gering. Nach kurzer Zeit bekomme ich deshalb die verhasste PDA verpasst. Nun ist von meinen Geburtsvorsätzen bereits nicht mehr viel übrig, doch in dem Moment denke ich nicht weiter darüber nach. Die PDA sorgt dafür, dass es mir innerhalb weniger Minuten sehr viel besser geht. Parallel zu den Schmerzmitteln wird mir ein Wehenmittel verabreicht. Ich laufe durchs Zimmer, liege ab und zu und knie mich auch mal hin, um die Wehen anzuregen. Der Muttermund öffnet sich rasant und ich denke, es wird nun vielleicht noch alles gut, wenn sich die Geburt auch nicht so abspielt, wie es vom Körnchenpapa und mir gewünscht war. Dann wird die Hebamme allerdings skeptisch beim Blick aufs CTG. Sie sagt, das würde nicht so gut aussehen, auf meine Nachfrage, was genau sie meint, erhalte ich aber keine Antwort. Sich undeutlich und in Halbsätzen auszudrücken ist ihre Spezialität. Nach mehreren Stunden erst erhalten wir die Info, dass unser Körnchen sich falsch herum in mein Becken eindreht. Zwar mit dem Kopf zuerst, jedoch längsoval. Es muss sich nochmal drehen, sonst passt es nicht durch. Ich liege nun auf der rechten Seite und die Hebamme drückt auf meinem Bauch herum. Immer wieder fällt ihr kritischer Blick aufs CTG. Uns ist klar, da stimmt was nicht. Aber was, verrät uns immer noch keiner. Schließlich betritt eine Gynäkologin den Kreissaal. Auch sie wirft kritische Blicke aufs CTG und zieht sich danach mit unserer Hebamme in eine Ecke des Kreissaals zurück. Wir hören, wie sie flüsternd über unser Baby sprechen. Dass wir auf unsere Nachfragen keine konkreten Antworten erhalten, macht mich langsam aggressiv. Was nun genau nicht stimmt, möchte ich wissen.

Sonntag. Es kommt nun heraus, dass die Geburt zu stressig für unser Kind ist. Es hat sich zwar – wovon mir auch keiner etwas gesagt hat – wieder in die korrekte Position gedreht, rutscht aber nicht tiefer in mein Becken. Das ist eine Situation, die nicht lange haltbar ist, da ja auch das Baby bereits seit vielen Stunden arbeitet und erschöpft ist. Die Gynäkologin, die zwar sehr freundlich ist, jedoch kaum ein Wort Deutsch spricht, meint, sie müsse prüfen, ob unser Körnchen genug Sauerstoff erhält. Auf meine Frage, wie sie das zu tun gedenke, antwortet sie wortwörtlich, sie müsse Probe von Skalp nehmen!! BITTE? Ich möchte genau wissen, was nun passieren soll, doch laut Hebamme ist keine Zeit, es mir zu erklären. Wir sollen ihr vertrauen. Für mich unmöglich, so ganz ohne Informationen. Man schraubt mir die Beine hoch und verpasst mir einen Schlauch mit Sauerstoff, der in der Nase brennt und schon spüre ich, wie die Gynäkologin mit zahlreichem Gerät an meinem Intimbereich werkelt (Später habe ich erfahren, dass sie dem Körnchen einen Blutstropfen aus der Kopfhaut entnommen hat und eine Sonde gelegt hat). Dabei geht die Fruchtblase natürlich kaputt, die bis dahin noch intakt gewesen war. Ich bin traurig, wieder ein Punkt, der nicht wunschgemäß läuft. Ich wollte auf keinen Fall, dass die Fruchtblase meines Kindes manuell gesprengt wird. Aber darauf nimmt hier keiner Rücksicht. Ich fühle mich wie ein Zootier, an dem man einfach herumdoktert. Und langsam bekomme ich Angst. Gynäkologin und Hebamme verschwinden nun, um wenig später mit neuen Informationen aufzutauchen. Ein letzter Check des CTG, dann kommt für mich der Hammer: Wir machen jetzt einen Kaiserschnitt. Wie bitte? Warum? Ich erhalte keine Antwort. Bis heute weiß ich nicht den exakten medizinischen Grund, aus dem der Kaiserschnitt durchgeführt wurde. Da ich genügend Horrorgeschichten von Kaiserschnitten kenne, lehne ich im ersten Moment der Panik rund heraus ab. Die Hebamme schaut mich ohne Mitleid an. Wenn Sie das Leben Ihres Kindes riskieren wollen, bitte. Ansonsten beeilen wir uns jetzt. Haben Sie sich nicht so. Sowas wird jeden Tag gemacht.

Während die Vorbereitungen laufen, versuche ich meiner Panik Herr bzw. Frau zu werden. Nicht nur, dass nun auch mein letztes Geburts-Tabu fällt, ich habe Angst vor Schmerzen, Angst um mein Kind. Dem Körnchenpapa nehme ich den Schwur ab, unser Kind keine Minute allein zu lassen, wenn es da ist (Nach der Geburt verriet er mir, er werde den panischen Ausdruck in meinen Augen niemals vergessen). Er verspricht es und ich fahre in den OP ein.

Während des Kaiserschnittes selbst habe ich keine Schmerzen. Der Körnchenpapa hält meine Hand und nach kurzer Zeit ist das Körnchen da. Es ist 05:24 Uhr. Mein Mann sagt nur: Es hat schon Haare! Dann flitzt er der Schwester hinterher, um sein Versprechen einzulösen. Eine gefühlte Ewigkeit später kommt er wieder. Seine Augen sind rot vom Weinen. Wir haben einen kleinen Herrn, sagt er und grinst. Und dann – endlich, nach über 36 Stunden Wehen – legt mir die Schwester meinen kleinen Sohn in den Arm.

Auch wenn unser Sohn gesund und munter auf die Welt kam (es hat sich herausgestellt, dass er alle paar Schläge einen Extra-Herzschlag hat, was aber ungefährlich ist), ist das für mich nicht alles, was zählt! Das Geburtserlebnis war für mich, den Körnchenpapa und auch für unseren Sohn traumatisch und wir werden uns ein zweites Kind gut überlegen. Ich kann nur allen Frauen mit einem ähnlichen Erlebnis raten, darüber zu sprechen/schreiben und es zu verarbeiten. Ihr habt das Recht zu trauern um ein Erlebnis, um das ihr betrogen wurdet. Das ist so wichtig, damit ihr es akzeptieren und weitergehen könnt.

Diesen eher schmerzlichen Bericht über die Geburt ihres ersten Kindes hat Anne geschrieben :)

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Ein Kommentar für “Anne erzählt

  1. Liebe Anne! Danke für Deinen Bericht – er hat mich sehr berührt! ❤ Bei mir musste auch ein Notkaiserschnitt gemacht werden, da hatte ich lange dran zu knabbern. Falls es Dich noch interessiert oder es Dir beim Verarbeiten hilft kannst Du ja viell. Deinen Berichtvom KH anfordern? Alles Liebe!