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Leserin-Geschichte: Kinderwunsch macht einsam

Patricia schreibt: “Ich bin 42 Jahre alt und Mutter einer 8-jährigen Tochter. Ich war bis jetzt 4 Mal schwanger und bin gerade im 2. Versuch, um durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden. Meine Tochter ist aus meiner ersten Schwangerschaft gesund zur Welt gekommen. Ich hatte jedoch schon immer den Wunsch, mehr als ein Kind zu bekommen. In der zweiten Schwangerschaft stellte meine Frauenärztin fest, dass etwas nicht stimmte. Die Tests bestätigten den Verdacht und ergaben, dass das Kind Trisomie 18 hatte. Ich musste also meinen ersten Schwangerschaftsabbruch über mich ergehen lassen. Die dritte Schwangerschaft äußerte sich ganz eindeutig, ich hatte Übelkeit und die üblichen Wehwehchen, aber meine Frauenärztin fand dann heraus, dass kein lebendiges Kind vorhanden war. Ich hatte also den zweiten Schwangerschaftsabbruch. Die vierte Schwangerschaft ergab ebenfalls kein Kind und erforderte einen weiteren Abbruch.

Anfang des Jahres entschieden mein Mann und ich, es mit künstlicher Befruchtung zu versuchen, denn der Wunsch nach einem weiteren Kind ist nach wie vor da. Der erste Versuch war leider nicht erfolgreich. Ich befinde mich gerade im zweiten Versuch.

Ich stelle immer wieder fest, dass Fehlgeburten bzw. der unerfüllte Kinderwunsch ein Tabuthema sind. Es wird nicht darüber geredet. Von Eltern, oder denen die es werden wollen, wird gerade zu erwartet, dass sie in den ersten 3 Monaten niemandem von der Schwangerschaft erzählen. Dies ist meiner Meinung nach nicht dafür da, die Betroffenen zu schützen, denn nicht darüber zu reden, weil es ja noch schief gehen kann, bedeutet doch, dass von ihnen erwartet wird, dass sie auch nicht darüber sprechen, wenn es schief geht. Geschützt werden dadurch die Anderen, weil sie sich mit dem Thema nicht beschäftigen müssen. Wenn die Betroffenen doch darüber reden, dann ist das Reden über die Schwangerschaft bzw. die Risiken – nach meiner Erfahrung – ein Problem für das Gegenüber, also für die Anderen. Die schwangere Frau und der hoffende Vater sind meistens froh, darüber reden zu können, über ihre Ängste, Sorgen und ihre Trauer. Aber die Anderen… wollen es nicht hören und nicht wissen, denn sie wissen nicht wie sie damit umgehen sollen. Es fällt offensichtlich total leicht zu sagen: na es kann aber auch noch schief gehen (als wüssten sie wirklich wovon sie reden). Es fällt aber ganz schwer zuzuhören, wenn es schief geht, auszuhalten, mitzufühlen. Meiner Erfahrung nach muss man als Betroffene, die darüber redet, dann auch noch die Emotionen der anderen über dieses Thema ertragen und auffangen. Reden kann man dagegen gut mit denen die ebenfalls betroffen sind, also denen, die selbst schon mal negative Erfahrungen gemacht haben. Aber die erkennt man nicht immer, da eben grundsätzlich nicht darüber geredet wird.

Ich habe in den letzten Jahren festgestellt, dass der Kinderwunsch darüber hinaus einsam macht. Ich habe mittlerweile mehrere Freundinnen und Freunde, die selber Kinder haben, bzw. Kinder bekommen haben, die entschieden haben, mir eben genau das nicht zu erzählen. Dass sie schwanger sind, dass sie noch ein Kind wollen, dass sie Nachwuchs bekommen haben. Denn weil sie wissen, dass ich ein weiteres Kind möchte, sind sie der Meinung mich „schützen“ zu müssen. Der Gedanke ist meist: Ich erzähle es ihr lieber nicht, denn es könnte ihr weh tun, sie könnte nicht wissen, wie sie darauf reagieren soll, sie könnte neidisch und traurig sein. Mit diesem Gedanken haben mehrere meiner Freunde den Kontakt zu mir abgebrochen. Wohlgemerkt sie zu mir. Ich wusste im Zweifel noch nicht mal, dass es wegen einer Schwangerschaft war, sondern hab nur festgestellt, dass sie für mich nicht mehr erreichbar waren und sie mit mir nicht mehr kommuniziert haben. Sie haben also meine Reaktion vorweggenommen und für mich entschieden, dass es besser wäre, die Freundschaft abzubrechen, einschlafen zu lassen, nicht weiter zu führen. Mal abgesehen davon, dass ich es anmaßend finde, dass sie die Entscheidung für mich treffen, um mich angeblich zu „schützen“, um mir nicht weh zu tun, kann ich dieses Verhalten auch nicht verstehen. Ist dabei wirklich die Vorstellung, dass eine abgebrochene Freundschaft besser ist, als zu hören, dass gute Freunde Nachwuchs bekommen? Wirklich? So ein Mensch bin ich nicht. Will ich nicht sein. Aber es wird mir unterstellt und ich werde dazu gezwungen. Denn wenn Freunde die Freundschaft zu mir abbrechen – ohne mir zu sagen warum – dann denken sie weiterhin, dass er sie es „für mich“ tun, um mich zu „schützen“.

Ich hatte gerade wieder solch eine Situation, und mein Gedanke dazu ist: Wenn mich „schützen“ bedeutet, dass ich den Freund oder die Freundin verliere, dann will ich nicht „geschützt“ werden. Ein Freund hat mir verheimlicht, dass er und seine Frau letztes Jahr Zwillinge bekommen haben. Damit konfrontiert hat er gemeint, dass er es mir verheimlicht habe „um mich zu schützen“. Er habe aber dann die Freundschaft gar nicht „abgebrochen“, sondern habe lediglich gerade keine Zeit gehabt, um sich zu melden. Aber ganz ehrlich, wie hätte denn Kontakt dann ausgesehen? Miteinander zu kommunizieren aber eben nicht über die Zwillinge? So zu tun, als sei alles so wie vorher? Er erzählte mir dann auch, dass sich ja ansonsten in seinem Leben nicht viel getan hätte, er sei 42, da passiere ja nicht mehr viel. Entschuldigung, drei anstatt ein Kind zu haben, ist eine riesige Veränderung im Leben.

Es ist für mich keine Freundschaft, wenn ich noch nicht einmal weiß, wie viel Kinder meine Freunde haben. Es ist für mich keine Freundschaft, wenn diese lieber beendet wird, als ehrlich zu mir zu sein.

Ich habe eine andere Freundin, die gerade – nach langem Leidensweg – ihr zweites Kind bekommen hat. Diese sprach mehrmals davon, dass sie ja nicht wisse, ob wir weiter befreundet sein werden, wenn ihr zweites Kind da ist. Weil sie Angst hatte, dass es mir weh tut und ich damit nicht umgehen kann. Ich hatte das Gefühl, den Gedanken ihr ausreden zu müssen.

Und damit komme ich zu einem weiteren Problem. Die Emotionen der Anderen. Kinderwunsch und unerfüllter Kinderwunsch und auch Verlust und Tod sind ein riesiges Tabu. Es wird nicht darüber geredet. Und weil es so ein Tabu ist, weiß keiner wie er mit seinen eigenen Emotionen und mit denen der anderen umgehen soll. Die nicht Betroffenen nehmen dann häufig Annahmen und Konsequenzen vorweg in der Vorstellung, sie würden ihr Gegenüber schützen. Aber tatsächlich denke ich mittlerweile, dass es um ihren eigenen Schutz geht, weil sie sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Lieber eine Freundschaft abbrechen führt dazu, dass sie sich nicht mit dem Verlust, der Trauer, dem Neid und allen weiteren Emotionen der Betroffenen auseinandersetzen müssen. Es schützt sie selbst. Ich fühle mich aber dadurch nicht „geschützt“, ich weiß im Zweifel noch nicht mal, dass ich gerade „geschützt“ werde. Und für diesen „Schutz“ werden langjährige Freundschaften geopfert.

Ich habe oft das Problem, dass ich mich nicht nur mit meinen eigenen Emotionen auseinandersetzen muss, sondern dass ich die Emotionen der Anderen auffangen und mich darum kümmern muss. Und dass ich oft nicht weiß, was ich sagen soll, kann oder darf, weil mein Gegenüber überfordert bzw. nicht ehrlich zu mir ist. Ich muss dann die richtigen Worte finden, damit meine Freundin nicht – zu meinem Schutz – die Freundschaft zu mir abbricht.

Das macht einsam. Einsam und müde. Und ehrlicherweise: wütend. Denn wenn das das Ergbnis ist, dann will ich unter keinen Umständen „geschützt“ werden. Trotz unerfülltem Kinderwunsch freue ich mich mit meinen Freunden, wenn sie Nachwuchs bekommen. Trotz unerfülltem Kinderwunsch kann ich gönnen, mich freuen, mitfiebern, mitleiden, unterstützen und liebhaben. Auch dann, wenn ich mal Gefühle habe, wie Neid und Trauer oder Wut, ich kann da trennen. Und übrigens die Gefühle habe ich selbst dann, wenn alle Freunde, die Kinder haben oder bekommen, die Freundschaft mit mir abbrechen würden. Dann wäre ich trotzdem manchmal auf andere Neidisch und traurig oder enttäuscht. Aber darüber hinaus wäre ich insbesondere eins: sehr sehr einsam.

Deswegen möchte ich mit diesem Text sagen: redet darüber. Hört Euch gegenseitig zu, traut Euch zu sprechen, und ertragt gegenseitig Eure Emotionen. Gerade die, die schon viel durchgemacht haben, können das ertragen. Das gehört mit zum Leben. Das macht uns menschlich und das macht die besten Freundschaften aus. Dann sind wir alle zusammen weniger einsam.”

Diesen sehr schönen, wichtigen und von Herzen kommenden Text hat Patricia geschrieben.

 

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4 Kommentare für “Leserin-Geschichte: Kinderwunsch macht einsam

  1. Liebe Patricia, danke für deinen Bericht. Ich kann nur sagen, du bist nicht allein!!!
    Leider habe auch ich diese Erfahrung machen müssen und gerade die Freundin von der ich am meisten Empathie und Verständnis erwartet habe, weil sie selbst auch Fehlgeburten hatte, hatte nur ganz entsetzliche Platitüden zu sagen, die mir heute noch Tränen der Wut in die Augen treiben. Viele verstehen auch einfach nicht, dass egal in welchem Stadium da gerade ein Herzenswunsch und -mensch verabschiedet werden muss. Und ja natürlich gibt es einen kleinen Stich, wenn andere “einfach so” schwanger werden. Aber wie du schon schreibst, deswegen freut man sich nicht weniger mit oder müsste davor “geschützt” werden.

  2. Liebe Patricia,
    Du sprichst mir aus dem Herzen. Als ich deine Worte las, kamen mir die Tränen. Denn mir geht es genauso. Bei meinem ersten Kind, war die Schwangerschaft spontan, schön und unkompliziert. Nachdem wir vor 2 Jahren beschlossen hatten ein zweites zu bekommen, hatten wir direkt eine Fehlgeburt und seitdem will es einfach nicht mehr klappen. Diese zwei Jahre haben mich bzw uns sehr einsam gemacht. Viele Freunde sind einfach verschwunden. Ebenso um mich angeblich zu “schützen”. Kaum einer wollte mit mir über meinen Verlust reden, obwohl ich ganz offen damit umgehe. Leider sind all diese Themen solch ein großes Tabu. Ich hoffe sehr, dass sich das irgendwann ändern wird. Ich wünsche euch ganz viel Kraft und Glück auf eurem weiteren Weg!

  3. Als ich 2004 meinen Sohn gehen lassen musste, habe ich das genau so empfunden. Die einzigen die wirklich für mich da waren, waren meine Töchter (damals10/13). Mir wurden selbst im engsten Familienkreis Schwangerschaften verheimlicht, angeblich um mich zu schützen. Mir kam das wie ein Verrat vor.