Geburtsbericht
Geburtsberichte

Geburtsbericht: Leserin Britta erzählt von ihrer ersten Geburt

Ich gehe mit Wehen baden und mache mich kreißsaalfein. Ich bin aufgeregt und freue mich auf dieses Abenteuer, auf das ich so lange gewartet habe. Die Wehen werden stark und oft, kommen in 10 Minuten Abstand. Ich wasche mir die Haare, steige aus der Wanne, und ich habe die absolute Macht über alles, was als nächstes passiert: Ich hänge überm Couchtisch, halte die Wehen aus und veratme sie, ich weiß, wie ich mich bewegen muss. Ich esse noch Pizza, im Stehen, auf den Tisch gestützt. Ich mache die Ansagen, wann wir ins Krankenhaus fahren. Als die Wehen alle 7 Minuten kommen, gehe ich zu Martin runter, der uns fahren soll, und verkünde ihm, dass das Baby kommt und lache über sein Entsetzen. Im Auto bin ich die aufregendste Person der Welt.

Als wir im Kreißsaal ankommen, freuen sich alle, mich zu sehen. Ich bin sehr willkommen.

Beim Blick aufs CTG bin ich stolz: Wehenstärke 300! Das hätte ich nie für möglich gehalten. Mein Mann schaut mich bewundernd an. Die Hebamme sagt, ich hätte einen perfekten Kugelbauch, und deshalb hält der CTG-Gurt nicht.

Dann klettere ich in die Wanne und spüre meine eigene Kraft, ich sehe, wie meine Armmuskeln sich spannen, während ich mich an den Haltegriffen festklammere. Wir machen Witze darüber, dass die Wanne riesig ist und doch viel zu klein. Das laut reinsprudelnde Wasser nervt mich, lenkt mich ab, ich stelle es ab. Im Radio läuft ein ausführlicher Beitrag über das Massaker an Schwänen, das derzeit in Koblenz passiert. Es wird detailliert beschrieben, wie den Tieren die Köpfe abgeschnitten und die Organe rausgerissen werden. Ich kann nicht fassen, wie lange dieser Beitrag geht, und schicke meinen Mann  irgendwann los, das zu beenden. Er drückt alle Knöpfe im Kreißsaal, das Licht geht aus, und irgendwann auch das Radio. Ich halte die Schmerzen in der Wanne länger aus, als ich es für möglich gehalten hätte. Als ich mit der Bitte um Schmerzmittel aussteige, ist der Muttermund schon 8cm ? Offen, die Hebamme jubelt, auch über das Blut in der Wanne.

Ich stehe mitten im Kreißsaal, versuche auf das Handtuch zu bluten und nicht so eine Sauerei zu machen. Ich krümme mich und mache mit der Hüfte Bewegungen wie beim Sex, um das Früchtchen runter zu schieben. Ich habe das Gefühl, als ob mir permanent jemand mit einem Stiefel ins Kreuz tritt. Das Paracetamol verfliegt unbemerkt.

Ich fühle mich ohnmächtig. Es wird immer mehr, immer stärker. Ich irre zitternd aufs Klo, muss dafür den Flur durchqueren, sitze mit Wehen dort, stütze mich rechts und links an der Wand ab, es gibt keine Haltegriffe, während mein Mann mir zuguckt. Es ist saukalt, das Fenster ist offen. Vorm Waschbecken gibt es einen riesigen Platsch. Ich weiß nicht, was es ist. Urin? Fruchtwasser? Wo kam es her?

Ich bin wieder im Kreißsaal. Das Leiden geht weiter. Ich klammere mich an den Bettbügel, beiße fast rein, alle Konzentration geht darauf, nicht in meinen Arm zu beißen. Ich weine vor Angst und Erschöpfung. Ich brauche sofort eine PDA.

„Kann ich bitte eine PDA kriegen?“, frage ich die Hebamme. Sie schaut mich liebevoll an und stimmt mir zu. Sie untersucht mich und stellt fest, dass der Muttermund schon 10cm offen ist. Der Anästhesist kommt und stellt einige Fragen und lässt mich etwas unterschreiben.

Ich muss still halten. Wie soll das gehen? Ich habe alle 30 Sekunden eine Wehe. Der Anästhesist stochert rum und flucht. Ich darf mich nicht bewegen.

Ich sage: „Es kommt eine Wehe!“, die Hebamme sagt: „Das geht jetzt nicht. Du musst trotzdem stillhalten.“ Ich schaffe es. Es dauert lange, bis der Anästhesist aufgibt. Die PDA sitzt nicht richtig. Sie wirkt nur leicht und nur links. Ich soll warten, bis sie auch rechts wirkt. Der Anästhesist und die Hebamme zwicken mich in die Beine, sprühen Desinfektionsmittel darauf und fragen, ob ich das spüre. Ich spüre das alles. Ich genieße den Wehenstopp und habe keine Eile. Ich muss mich erholen. Die Hebamme sagt, das Kind könne am 31. oder am 1. kommen, wie ich wolle, ich müsse es nur sagen. Es ist 23 Uhr. Sie rät davon ab, den Wehenstopp sofort aufzuheben. Ich will noch nicht weitermachen. Mein Mann und ich reden darüber, dass in unserem Haus viel gesungen werden soll. Es soll ein fröhliches Zuhause für unser Früchtchen sein.

Ich soll immer noch warten, bis die PDA auch rechts wirkt. Inzwischen wirkt sie nicht mal mehr links. Ich sage der Hebamme, sie soll den Wehenstopp aufheben. Es kommen unvorstellbare Schmerzen. Ich habe das Gefühl, dass es nie aufhören wird. Es wird immer mehr. Ich kann nichts tun. „Ich kann das nicht!“, gestehe ich meinem Mann und fühle mich wie die größte Versagerin der Welt. „Doch, du kannst das, du läufst Marathon in unter 2 Stunden!“, sagt er. „Boah!“,sagt die Hebamme, „dann schaffst du das mit links!“. Ich bin wütend auf ihn. Niemand läuft Marathon in unter 2 Stunden. Er hat keine Ahnung, was ich hier erlebe.

Die Hebamme sagt, ich soll mich melden, wenn Presswehen kommen. Die würden sich so anfühlen, als ob ich aufs Klo müsste. Solange muss ich tatenlos aushalten.

Ich liege inzwischen auf dem Rücken und zittere vor Erschöpfung. Irgendwann sage ich ihr, der Druck wäre da, obwohl es nicht stimmt. Sie untersucht mich, sagt, das Kind sitze mitten im Becken.

„Das ist zwar unkonventionell, aber wir versuchen das jetzt einfach mal!“, sagt sie und leitet mich an, mit den Wehen zu pressen. Ich soll mich vorbeugen, sagt sie, aber das weiß ich, mein Körper weiß, was zu tun ist. Ich fühle mich unheimlich stark. Ich merke, wie sich etwas bewegt. Die Hebamme feuert mich an, wie ich noch nie angefeuert wurde. Sie ist außer sich vor Begeisterung und steckt mich damit an.

Der Arzt, der kleine Italiener, schaut herein und sagt guten Tag. Ich freue mich. Er geht wieder, die Hebamme ruft ihm hinterher:

„Aber geh nicht zu weit! Das Kind kommt gleich!“

Ich denke, das Kind kommt durch meinen Arsch, und weiß gleichzeitig, dass das nicht sein kann. Ich denke, mein Arsch platzt. Die Hebamme räumt flugs etwas weg, und ich weiß, dass es Kot ist, und es ist mir gleich.

Ich halte mich rechts und links am Bett fest und an meinem Mann. Ich zittere vor Erschöpfung. Ich bin schon 7 Stunden hier und habe schon 10 Stunden starke Wehen. Aber ich habe Hoffnung, dass es bald vorbei sein wird: Entweder sterbe ich, oder meine Tochter kommt zur Welt.

„Sie hat Haare!“, ruft die Hebamme. Ich lache irre und sage, da wäre sie aber die erste. Dann kommt die nächste Wehe.

„Luft anhalten und pressen!“, ruft die Hebamme.

Ich presse mit aller Kraft, es ist mir egal, dass mein Arsch platzt, mein Rücken bricht, mein Becken zerspringt, meine Scheide zerreißt.

„Aufhören! Ausatmen!“, sagt die Hebamme, ich gehorche, sie hat die Verantwortung. Ich gebe mich den Befehlen bedingungslos hin und liebe sie dafür, dass sie mir das Denken abnimmt, liebe mich, dass ich so gut funktioniere.

Sie bietet mir an, nach dem Kopf zu tasten. Ich lache über diesen absurden Vorschlag. Ich habe keine Hände frei, außerdem habe ich keine Zeit, mich damit aufzuhalten, ich will, dass das aufhört, und ich will mir nicht vorstellen, einen riesigen Kopf in der Vagina zu haben. Sie leitet weiter an zu pressen. Sie jubelt, der Kopf ist draußen! Sie leitet nochmal an zu pressen, der Druck ist weg, mein Baby verlässt mich. Es ist still. Erschöpft und zitternd wage ich einen Blick. Das Kind in ihren Händen ist dunkelblau. Ich schließe entsetzt die Augen. Das habe ich von meiner Eile und der gewaltsamen Presserei, ich habe sie kaputt gemacht, es ist alles vorbei… sie wird mir auf den Bauch gelegt, auf mein Sea-Eye-Shirt, sie regt sich nicht und ist nicht warm. Was ist das für ein Alptraum?

„Du musst atmen“, sage ich flehend zu meiner Tochter. „Oh, sie atmet“, sagt die Hebamme. „Sie atmet“, sagt mein Mann in einem beschwörenden Ton. Die Hebamme sagt ihm, er soll Madita abrubbeln, und er tupft halbherzig auf ihr herum. Die Hebamme schubst ihn weg und rubbelt Madita. Endlich. Sie rührt sich. Endlich, sie schreit!

Ich bin einfach nur erledigt. Sie liegt auf meinem Bauch, ich sehe nur ihren Kopf von oben. Mein Mann  macht später Fotos, damit ich sie auf dem Bildschirm seines Handys sehen kann.

Die Plazenta kommt fast unbemerkt. Die Hebamme fragt, ob ich sie sehen will. Ich bin von Grauen erfüllt und will von dieser Geburt nichts mehr sehen, erst recht nichts Blutiges, und wehre sie ab.

Der Arzt und die Hebamme gratulieren zuerst mir. Sie strahlen. Ich nicht.

Ich werde an der Schamlippe genäht, ohne Betäubung. Der Arzt fragt vorher: „Sie hat eine PDA?“. Die Hebamme sagt: „Nein, schon lange nicht mehr.“ Ich werde trotzdem genäht. Ich bin zu entsetzt, um vor Entsetzen zu erstarren. Ich frage mich, ob die Schmerzen je aufhören. Ich zähle die Finger meiner Tochter.

Madita wird untersucht und gewogen und gemessen und fotografiert. Ich sehe sie wie in weiter Ferne auf der Waage liegen. „Was für eine süße Nase!“, sagt die Hebamme, und ich denke, dass man das von hässlichen Babies sagt, denn die Nasen sind alle gleich. Es ist mir egal.

Wir werden alleine gelassen und es vergehen zwei Stunden. Zwischendurch kommt die Hebamme und hilft beim Stillen. Madita ist so flutschig, dass ich sie kaum festhalten und bewegen kann. Irgendjemand legt sie nach 15 Minuten auf die andere Brust, vielleicht ich, vielleicht die Hebamme. Ihr Kopf ist kleiner als meine Brust. Ich muss mit einem Finger auf die Brust drücken, damit wenigstens ein Nasenloch frei ist.

Später will ich aufs Klo. Mir wird eine Bettunterlage in die Netzhose gestopft und trotzdem hinterlasse ich eine Blutspur. Ich wanke zitternd aufs Klo, von der Hebamme begleitet, und bin froh, dass ich noch laufen kann. Zittere auf dem Klo, die Hebamme beobachtet mich, treibt mich an, lässt mich nicht abputzen, damit ich schnell aus der Kälte komme. Danach krieche ich in ein frisches Bett, bekomme Madita in den Arm, halte sie fest, und dann kommt Schwester Ayshe und holt uns ab und ist so freundlich. Ich stehe neben mir, kann nicht glauben, dass ich das bin, die hier taub vor Schmerz und Entsetzen durchs Krankenhaus geschoben wird, mit einem Kind im Arm. Vor der Tür wird mein Mann aufgefordert, sich zu verabschieden. Schwester Ayshe fragt ihn, ob er seine Jacke und seinen Schlüssel hat. Mein Bett ist voll beladen mit meinem ganzen Kram und der Jacke und dem Koffer. Sie schiebt mich ins dunkle Zimmer, neben mir sehe ich große, dunkle Augen, die lächeln. Madita brüllt. Die Schwester nimmt sie mit, um sie anzuziehen, ich wage mich aufs Klo. Es brennt und tut weh, und ich spritze Blut überall hin, das ich mit nassem Klopapier so gut es geht weg wische. Schwester Ayshe kommt wieder, sucht mich, ist erleichtert, mich zu finden, sagt, dass sie Madita neben das Bett geschoben hat. „Sie wird erstmal schlafen. Wenn sie aufwacht, beruhigen Sie sie.“ „Und wie mache ich das?“ frage ich. Ich bin unendlich erschöpft und ratlos und weiß gar nichts mehr. „Sprechen Sie mit ihr, legen Sie ihr die Hand auf“, sagt die Schwester. Ok, das schaffe ich. Rausheben kann ich sie nicht. Ich kann nicht selber aufstehen oder mich aufsetzen. Madita schläft, ich liege aufgekratzt daneben und denke, wie gut die Natur das eingerichtet hat, dass die Kinder vom Colostrum so lange satt sind, wie die Mütter sich vor Schmerz und Erschöpfung nicht rühren können.

PS: Diesen spannenden Geburtsbericht hat Britta geschrieben! 

Der LÄCHELN UND WINKEN Newsletter

Freu dich jeden Samstag über eine Mail von mir, mit allen Links zu den Neuerscheinungen der Woche und verpasse damit keinen Beitrag mehr - ganz egal, welcher Social Media Algorithmus gerade einen Pups quer hängen hat. ;)

Ich verschicke natürlich keinen Spam! Erfahre mehr in meiner Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.