Ich erinnere mich noch sehr, sehr gut daran, wie ich vor ein paar Jahren im Drogeriemarkt meines Vertrauens mit der damals ungefähr 2,5-jährigen Mausemaus im Schlepp an der Kasse stand … völlig fertig mit den Nerven und schweißgebadet, denn das reizend AUSSEHENDE Töchterlein hatte gerade eben mal wieder einen ihrer berühmt-berüchtigten Trotzanfälle hingelegt und mich damit an den Rand der Verzweiflung getrieben. UND natürlich für viel Publikum gesorgt! Ein laut schreiendes und um sich schlagendes Kleinkind zieht eben nicht nur die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich, sondern ebenfalls die von so ziemlich allen anderen Kunden im Laden, von denen dann natürlich auch mindestens einer zufällig sofort und ungefragt ausgezeichnete Erziehungs-Tipps in Sachen “Richtiger Umgang mit Kindern in der Trotzphase” parat hat. JAKPOT für Muttis geschundene Nerven!
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Was damals der Auslöser für den Unmut der Mausemaus war, weiß ich nicht mehr … aber sehr wohl noch, dass ich auch NACH der Präsentation ihres Repertoires in Sachen Trotzphase (die ich nur mit viel Glück und Gummibärchen als Bestechung in den Griff bekommen hatte) immer noch mit einem Puls von 180 und ernsthaft schnaufend in der Kassen-Schlange stand. Ich wollte nur schnell bezahlen und heim – ich hatte die Schnauze gestrichen voll UND zugegebenermaßen Angst, dass nach dem Runterschlucken des letzten Gummibärchens möglicherweise die nächste Runde eingeläutet würde … als vor mir ein anderes Kind hochging wie eine scharfe Granate. Der kleine Junge war ungefähr im selben Alter wie mein Töchterlein und gab lautstärkentechnisch wirklich von 0 auf 100 alles was so kleine Stimmbänder zu bieten haben. Warum? Weil Mama Nein zum Überraschungs-Ei gesagt hatte.
Während sich bei mir bereits neuer Stress-Schweiß auf den Weg machte, obwohl es nicht mal mein Kind war, blieb diese Mutter ruhig. MEGA RUHIG. Sie wiederholte mit ganz normaler, fast entspannter Stimmlage, dass es jetzt keine Schokolade gäbe – weder für den kleinen Wut-Zwerg, noch für dessen daneben stehenden, großen Bruder – und wendete sich dann dem Kassierer zu, um zu bezahlen und ihre Einkäufe einzupacken. Sie lächelte, bewegte sich nicht schneller als normal und wünschte dem Herrn an der Kasse noch einen schönen Tag, nachdem sie alles beisammen hatte. Anschließend nahm sie ihr brüllendes Kleinkind an die Hand und führte es nach draußen, dicht gefolgt von ihrem größeren Nachwuchs und verschwand in den nebenan liegenden Supermarkt. Ich war völlig perplex und starrte ihr ungläubig hinterher. Sie brach den Einkauf nicht ab. Sie floh nicht nach Hause. Sie machte einfach weiter. Ich war soooo beeindruckt! Und absolut sicher, dass diese Frau hart unter dem Einfluss von Psychopharmaka stand. :D Ich konnte mir wirklich null vorstellen, was es sonst sein könnte, dass ihr die Nervenstärke gab, SO cool auf einen dermaßen lauten Trotzanfall in der Öffentlichkeit zu reagieren.
Heute weiß ich: Sie war nicht zugedröhnt … sie war einfach nur schon länger Mama als ich und dieser kleine Troll nicht ihr erstes Kind. <3
Die eingangs gestellte Frage, ob es einen Unterschied in Sachen Trotzphase zwischen dem ersten und dem zweiten Kind (und wohl auch allen darauffolgenden) gibt, kann man also wohl getrost mit JA beantworten. Definitiv sogar! Und zwar aus mindestens zwei Gründen:
Erstens: Wie immer gilt auch während der Trotzphase – jedes Kind ist anders.
Auch wenn es immer mal Eltern gibt, die meinen, dass IHR Kind niemals so ausrasten würde und dass es daher gar keine allgemeine Trotz-, oder heute ja häufiger Autonomiephase genannt, geben könne, lehne ich mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte: Irgendwann trifft es jedes Kind. ALLERDINGS in unterschiedlicher Ausprägung … glücklicherweise ;) . Manche Kinder streifen die Phase des lauten Gebrülls, der Sturköpfigkeit und der kaum zu bremsenden Wutausbrüche nur kurz und leicht, andere stürzen sich – wenn auch unfreiwillig und nie aus böser Absicht – Hals über Kopf hinein und erfüllen über JAHRE hinweg jedes nur erdenkliche Trotz-Klischee. (Wie die Mausemaus ;) )
Klar, viele Senioren, die im Supermarkt erschüttert den Kopf schütteln, wenn sie eine Mutter dabei beobachten, wie sie pädagogisch betrachtet an ihrem sich auf dem Boden wälzenden Kleinkind verkackt, können sich einfach nicht mehr daran erinnern wie es eigentlich wirklich war … mit einem 3-Jährigen klarkommen zu müssen, der gerade dabei ist, seine Emotionen zu entdecken und noch keinen blassen Schimmer hat, wie er aus echter Wut oder Verzweiflung wieder rauskommt?! Denn darum geht es doch während dieser Zeit – und genau das macht es so schwer für uns Eltern, unseren Kindern zu helfen und (sagen wir, wie es ist) die Attacken auszuhalten. WIR wissen es nämlich auch nicht, weil … jedes Kind anders ist. Jeder Mensch genaugenommen. Ich zum Beispiel war als Kleinkind richtig übel drauf, habe gebrüllt und die Luft angehalten bis ich blau war. Geholfen hat mir eine ganz feste, durchaus manchmal aufgezwungene Umarmung. SO konnte ich raus aus der Wut, konnte weinen und mich beruhigen lassen. Bei meiner Mausemaus hat diese Technik überhaupt nicht funktioniert – sie hat in der Hoch-Zeit ihrer Trotzphase gerne versucht, mich ins Gesicht zu beißen, wenn ich sie umarmen wollte. Fand ich – oh, Überraschung – so semi-brauchbar. Also hab ich alles andere ausprobiert, wenn sie ausrastete. Geholfen hat einige Zeit mit ihr gemeinsam zu zählen, weil sie das spannend fand und sich konzentrieren musste. Auch ihr etwas ins Ohr zu flüstern, bremste einige Wutattacken ordentlich runter, weil sie leise sein musste, um mich zu hören. Aber nichts half immer, meist brüllte ich irgendwann schlichtweg zurück, weil ich nur laut zu meinem Kind durchdringen konnte. Definitiv keine schöne Lösung und auch keine, die einen als Mama stolz macht. Doch noch heute verfängt sich mein Töchterlein manchmal so sehr in ihrer Wut, dass nur meine laute Stimme sie durchbrechen kann. Ganz anders das Söhnchen. IHM kann ich fast immer mit einer festen Umarmung helfen, wenn seine Gefühle ihn überfluten. Zwar will er sie nicht sofort, doch wenn ich sie anbiete und ihn selbst kommen lasse, funktioniert es sehr gut. Auch scheint er nie „gefangen“ zu sein in seiner Trotzerei – löse ich sein Problem auf, lächelt er SOFORT wieder und hüpft fröhlich von dannen. Ein Verhalten, was definitiv GANZ anders ist, als ich es vom Töchterchen kenne. Und ich bin sicher, hätten wir noch ein drittes Kind, wäre es wieder ganz anders und würde wieder auf andere „Hilfen“ reagieren.
Zweitens: Eltern lernen dazu; Nerven werden stärker.
Die Mausemaus hat mich in ihrer Trotzphase oftmals an meine Grenzen gebracht. Unzählige Male war ich den Tränen nah, weil ich mir einfach nicht erklären konnte, warum das Kind plötzlich – nachdem es zwei Jahre alt geworden war – so „krass abging“ und echt keinen Schimmer hatte, wie ich mit diesen Attacken (soll man sicher nicht so nennen, passt aber gut ;) ) umgehen sollte. Zum Teil hatte ich sogar Angst, mich mit Freunden zu treffen, weil schon allein der Aufruf „Wir gehen jetzt nach Hause!“ mit Garantie einen Trotzanfall auslöste, der den kompletten Heimweg andauerte und durch nichts zu bremsen war. HEUTE hingegen stehe ich ruhig lächelnd neben meinem Zweitgeborenen, während er im Kinderwagen sitzend die komplette Bahn zusammenbrüllt, weil ich ihn nicht während der Fahrt herumlaufen lassen möchte, er einen Stein verloren oder keinen Kräcker mehr hat. Ich halte seine Hand und spreche leise mit ihm … ohne das mir Schweiß ausbricht oder mein Puls hochgeht, obwohl er lauthals schreit und ich die abwertenden Blicke von mehren Zuschauern im Nacken spüre. Ich senke trotzdem nicht beschämt den Kopf, denn ich weiß: Egal was diese Leute denken … es ist keineswegs so, dass ich hier gerade versage. Im Gegenteil: Ich tue mein Bestes für mein Kind, indem ich cool bleibe. Auch wenn es sich für andere schlicht um eine „Lärmbelästigung“ handelt, die ich als Mutter gefälligst umgehend zu unterbinden habe. Würde ich ja, wenn es ginge … doch es geht eben manchmal nicht. So ist es halt mit einem Kind in der Trotzphase. Es ist schade, dass man diese (Selbst-)Sicherheit als Mutter meist erst lernen muss – wie ich, in der Bootcamp-artigen Trotzphase der Tochter. Sie sollte meines Erachtens gleich bei der Geburt mitgeliefert werden … das würde uns vieles erleichtern. :D
Gibt’s den ultimativen Überlebens-Tipp zur Trotzphase?
Leider nein. ABER es gibt dennoch unzählige Tipps, die man auf der Suche nach dem individuell richtigen fürs eigene Kind in der Trotzphase, ausprobieren kann. Wie zum Beispiel zählen oder flüstern, auf Augenhöhe erklären, was gerade warum passiert ODER sich direkt mal daneben schmeißen und genauso laut wie der Zwerg brüllen und wüten. Bei manchen hilft es, bei anderen eben nicht. Am wichtigsten ist aber, und das ist meine ganz subjektive Mutti-Meinung, dass man sich nicht auch noch von Außenstehenden stressen lässt. Zugegebenermaßen empfinde ich es auch heute noch als unangenehm, wenn ich merke, wie ich beobachtet und gleich als miese Mutter bewertet werde, weil ich mich NICHT bei jedem Trotzanfall auf die Knie werfe und mein Kind unter einer Flut von Worten oder gar Drohungen begrabe, nur um es meinem Umfeld recht zu machen. Doch im Gegensatz zu früher SUCHE ich nun in solchen Momenten den Blickkontakt zu meinen Zuschauern, lächle ihnen entgegen und „entwaffne“ sie, indem ich sage: „Es ist so ein schönes Alter, finden Sie nicht auch?!“ Die meisten prusten direkt los und lachen mit mir, einige erzählen von ihren eigenen Kindern und nur die wenigsten rümpfen die Nase und lassen mich stehen. Und dann gehe ich weiter, mit meinem brüllenden Kind an der Hand, zum Einkaufen. Ganz so, wie die Mutter, die ich damals sah und wie eine Heldin feierte … OBWOHL ich sie für zugedröhnt hielt! ;) :D
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Liebe Anke, du sprichst mir mal wieder aus der Seele! Ich bin nur froh und dankbar, dass ich bei meinem Großen “üben” konnte, bevor mein kleiner Dickkopf auf die Welt kam. Ins Schwitzen bringt sie mich auch heute noch, besonders wenn sie den ganzen Supermarkt zusammenbrüllt oder ich gemeinsam mit den Mitarbeitern nach ihr suchen muss, weil sie sich versteckt hat. Beim ersten Kind wäre ich aber vermutlich regelmäßig zusammengebrochen. Man gewöhnt sich an vieles. Blöde Blicke beantwort ich genau wie du und spreche aktiv “Mamis in Not” an, um sie aufzumuntern und vor dummen Kommentaren abzuschirmen. Zusammen ist man weniger verschwitzt :)
lg von Alexandra aka untermdreckistssauber
Da gebe ich dir recht :D
Oh man, ja! Bei Kind 1 dachte ich schon “was gehtn hier ab???”. Nix im Vergleich zu No 2. DIE hat einen langen Atem was das Trotzen angeht, weia! Da hilft manchmal echt nur unter den Arm klemmen und ab. Wenn mehr Zeit ist, abwarten bis ausgetobt.
Hahaha, ja, so war meine Große auch :D
Mal wieder so toll geschrieben! Mein Troll ist erst 1,5 Jahre alt und hat auch schon einiges zu bieten, bis hin zu den eigenen Kopf gegen die Wand hauen ?
Mal sehen was noch auf uns zukommt.
Oh, der scheint Potenzial zu haben ;)